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Akihito bangt um sein Vermächtnis

Martin Fritz (aus Tokio)14. Juli 2016

Mit seinem unerwarteten Wunsch nach Abdankung hat der Tenno die japanische Nation erschüttert. Ein wohl kalkulierter Schritt gegen eine Rückkehr zu Nationalismus und Militarismus, analysiert Hofexperte Martin Fritz.

Japans Kaiser Akihito (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Kazuhiro Nogi/AFP/Getty Images

Das Heben und Senken des Chrysanthemenvorhangs sei das Schwierigste, sagte einst der frühere Chef des japanischen Hofamtes Takeshi Umami, der Kaiser Hirohito bis zu seinem Tod 1989 diente. Die Chrysantheme ist das Symbol des Kaiserhauses. Seine Aussage bedeutet: Wenn japanische Medien plötzlich berichten, dass Japans amtierender Kaiser Akihito abdanken will, dann werden damit wahrscheinlich hochpolitische Absichten verfolgt, die sich am Inhalt und Zeitpunkt der Ankündigung ablesen lassen. Wenn das Hofamt die Meldung wie jetzt dementiert, ist das kein Widerspruch, sondern gehört zum Heben und Senken des Vorhangs dazu.

Der inzwischen 82-jährige Akihito ist gesundheitlich angeschlagen. Vor dreizehn Jahren wurde er an der Prostata operiert, 2008 litt er an stressbedingtem Magenbluten. 2012 unterzog er sich einer Bypass-Operation. Im Dezember gestand er öffentlich ein, unter seinem Alter zu leiden und bei Zeremonien Fehler begangen zu haben. Im Mai kündigte das Hofamt an, dem Kaiser weniger Höflichkeitstermine mit ausländischen Staatsgästen und hohen Beamten aufzubürden. Diese Aufgaben werden wohl Kronprinz Naruhito und seine Frau Masako wahrnehmen.

Japans Kronprinz Naruhito Prinzessin MasakoBild: picture-alliance/dpa/Asahi Shimbun

Reaktion auf geplante Verfassungsreform

Doch Akihito will keinen gleitenden Übergang mit immer weniger Aufgaben bis zum Tod, wie er es als Kronprinz selbst mit seinem Vater Hirohito erlebt hat. "Jemand, der die offiziellen Pflichten übernehmen kann, sollte meine Position übernehmen", zitierten die staatsnahen Medien Kyodo und NHK den Kaiser. Was könnten seine Motive sein?

Eine Erklärung ergibt sich aus dem Zeitpunkt der Veröffentlichung drei Tage nach der Oberhauswahl. Dabei gewannen nationalistische Kräfte auch in der zweiten Parlamentskammer eine Zweidrittelmehrheit. Diese Konstellation wollen sie nutzen, um erstmals seit dem Weltkrieg die Verfassung ändern. Die geplanten Revisionen untergraben jedoch das politische Vermächtnis von Akihito.

Nach dem Tod seines Vaters Hirohito, für den Japan in den verheerenden Weltkrieg gezogen war, strengt sich sein Sohn Akihito in seiner ganzen Amtszeit an, dass die Lehren aus diesem historischen Fehltritt des Kaiserhauses nicht in Vergessenheit geraten. Er nannte seine Amtszeit "Heisei" (Frieden schaffen) und besuchte in den vergangenen 27 Jahren Länder und Gebiete, die im Weltkrieg besonders von japanischer Invasion und Gewaltherrschaft betroffen waren. Darunter 1991 Thailand, Malaysia und Indonesien, 1992 China, 1993 die japanische Insel Okinawa. Zuletzt ging das Kaiserpaar in dieser Mission 2015 nach Palau und auf die Philippinen, trotz hohen Alters und angeschlagenen Gesundheitszustands.

Kaiser Akihito mit Kaiserin Michiko in Manila 2015Bild: picture alliance/Kyodo

"Tiefes Bedauern" für Japans Krieg

Zwar unterließ der Tenno dort die häufig geforderte Entschuldigung, auch weil ihm diese politische Geste vom Amte her untersagt ist. Aber er äußerte jeweils "tiefes Bedauern" über die Vorkommnisse und zeigte so viel Mitgefühl wie möglich. Auch zum 70. Jahrestags des Kriegsendes im vergangenen August hatte Akihito die Formulierung "tiefes Bedauern" benutzt und nachdenklichere Worte als der konservative Regierungschef Shinzo Abe gefunden. "Ich bete dafür, dass sich die Tragödie des Krieges nicht wiederholt", sagte er.

Im Dezember erklärte er, die Erinnerung und das Verständnis des Krieges seien für Japans Zukunft "am wichtigsten". Diese Äußerungen wurden von politischen Beobachtern als Gesten gewertet, angesichts des anwachsenden Nationalismus in Japan an der pazifistischen Grundhaltung im Nachkriegsjapan festzuhalten.

Doch mit der Zweidrittelmehrheit im Parlament könnten Regierungschef Abe und einige konservative Verbündete nun das Pazifismusgebot in Artikel 9 einschränken. Nicht nur das. Nach dem Verfassungsentwurf von Abes Liberaldemokratischer Partei, der schon in der Schublade liegt, soll der Kaiser wie vor dem Weltkrieg offizielles Staatsoberhaupt werden. Bisher ist er nur "Symbol des Staates und der Einheit des Volkes". Mit seinem Wunsch nach Abdankung will Akihito offenbar sein politisches Vermächtnis in Erinnerung rufen und die kommende Verfassungsdebatte in seinem Sinne beeinflussen.

Akihito auf der Gedenkzeremonie zum 70. Jahrestag der KapitulationBild: picture-alliance/dpa/K. Ota

Thronfolge als Büchse der Pandora

Zugleich wäre sein Amtsverzicht nur möglich, wenn das Thronfolgegesetz geändert würde. Seine Bitte zwingt Parlament und Regierung dazu, sich mit dem Tenno und seiner Rolle im künftigen Japan auseinanderzusetzen. Dieser Prozess könnte mehrere Jahre dauern, weil es noch andere ungelöste Fragen zur Zukunft des Kaiserhauses gibt. Die letzten Revisionsbemühungen scheiterten kläglich. 2005 versuchte Premier Junichiro Koizumi vergeblich, auch Frauen als Thronfolger zuzulassen. Dabei gibt es bisher nur einen einzigen Enkelsohn von Kaiser Akihito, der die übernächste Tenno-Generation stellen könnte.

2012 lief Premierminister Yoshihiko Noda vor die Wand mit seinem Ansinnen, dass die Töchter trotz Heirat in der Kaiserfamilie bleiben dürfen. Akihito hat drei Enkeltöchter, die bisher durch eine Ehe automatisch das Kaiserhaus verlassen müssten. Beide Vorstöße sollten die Thronfolge langfristig sichern. Doch die Reformen scheiterten an Traditionalisten, die Frauen nicht für gleichwertig halten und Bürgerliche nicht in die Kaiserfamilie aufnehmen wollen. Einige wollen stattdessen die alten Adelsfamilien, die nach dem Krieg ihre Titel verloren, wiederherstellen.

Der Kaiser zwingt Regierung und Parlament nun dazu, diese Büchse der Pandora zu seinen Lebzeiten zu öffnen, vermutlich in der Absicht, dass die Rolle des Kaiserhauses festgelegt und sein Überleben langfristig gesichert wird.

Der freie Japan-Korrespondent Martin Fritz ist langjähriger Beobachter des japanischen Kaiserhauses und Ko-Autor einer Biografie von Kronprinzessin Masako.

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