Kalkuliertes Lob der Revolution
15. Dezember 2014"Der Staat will, dass wir schweigen", schreit Ahmed Moussa, einer der bekanntesten TV-Moderatoren Ägyptens, in die Kamera. Der Frontmann des Senders "Sada El Balad" ist sichtlich verärgert über einen Gesetzentwurf, der öffentliche Kritik an der Revolution vom 25. Januar 2011 sowie am Aufstand von 2013 gegen die Muslimbrüder unter Strafe stellen soll. Moussa ist ein leidenschaftlicher Anhänger des ägyptischen Präsidenten. Aber dass Abdel Fattah Al-Sisi ihm nun verbieten will, gerade die Revolution von 2011 zu kritisieren, die sein Land in den vergangenen vier Jahren in den Abgrund gerissen habe, das will Moussa nicht gutheißen.
Durch den Gesetzentwurf, die bisher einzige Reaktion Al-Sisis auf den Freispruch für Hosni Mubarak, will der ägyptische Präsident seinem Volk signalisieren, dass auch er zu der Revolution von 2011 steht, die den ehemaligen Diktator zu Fall gebracht hat. Für die oppositionellen Kräfte hingegen gilt die gerichtliche Entlastung von Mubarak, seinem Innenminister und weiterer Gehilfen als letzter Schlag gegen die Demokratie-Bestrebungen, für die sie 2011 auf die Straße gegangen sind. Dazu kommt, dass Symbolfiguren der Revolution nach und nach zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Anführer sowie Anhänger der Muslimbruderschaft werden zu Hunderten zum Tode verurteilt. Die Botschaft ist eindeutig: Kritik am Regime wird hart bestraft.
Verlierer der Revolution wollen Privilegien zurück
Bei Moderator Ahmed Moussa allerdings nicht. Denn seine Kritik an Al-Sisi war ja quasi nur ein "Ausrutscher“. Normalerweise sieht seine Sendung "Unter meiner Verantwortung" so aus, dass er stundenlang Regimekritiker beschimpft. Demokratie-Aktivisten seien alle von ausländischen, vorwiegend westlichen Geheimdiensten gesteuert, die Muslimbrüder alle Terroristen, so sein Tenor. Und: Die Revolution von 2011 sei nur Ergebnis einer Verschwörung westlicher Staaten, sowie Qatars und Israels, um das Land am Nil zu destabilisieren.
Ahmed Moussa war der erste ägyptische Moderator, der Hosni Mubarak kurz nach der Einstellung des Verfahrens gegen ihn am 29.11.2014 live in seiner Sendung am Telefon zugeschaltet hatte und der ihm öffentlich gratulierte. Moussa spricht für die Verlierer der Revolution von 2011, die nun ihre Privilegien zurück haben wollen. Und er fordert Konsequenz von seinem Präsidenten: Wenn schon alle Kritiker zum Schweigen gebracht und Mubarak und seine Leute entlastet werden, dann sollte man auch offen sagen dürfen, dass Ägypten wieder genau zu dem werden sollte, was es vor Januar 2011 war.
Doch so offensichtlich wollen und können der Präsident und seine Regierung nicht handeln. Al-Sisi hat in seinen Reden immer wieder anerkennende Worte gefunden für den "Kampf des ägyptischen Volkes" für Brot und Freiheit. Damit meint er die hunderttausenden Menschen, die Anfang 2011 und im Sommer 2013 tagelang auf dem Tahrir-Platz ausgeharrt haben. Es waren diese Massen, die am Ende zwei Präsidenten gestürzt haben, und nicht die Aktivisten alleine. Diese Massen gilt es für Al-Sisi also für sich zu gewinnen. Doch im Moment sind sie wütend, weil Mubarak frei ist und sie sich verraten fühlen. Alles, was die Revolutionen preist, kommt da gerade richtig, so das Kalkül der Machthaber..
Mit der Peitsche an der Macht bleiben
Auf der Straße und vor allem auf dem Tahrir-Platz wird jedoch eine ganz andere Sprache gesprochen: Dicke Panzerfahrzeuge und maskierte Polizisten mit der Hand am Gewehr, schießbereit. Dieses Bild ist in Kairo schon seit ein paar Monaten Normalität. Bei jedem Hauch von Aufruhr wird der Tahrir abgeriegelt. Alles unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung. Die Szenerien von 2011 und 2013 dürfen sich auf keinen Fall wiederholen – davor haben die Machthaber Angst. Nach außen wollen sie zeigen, dass das Land sicher ist. Gerade dieses Signal ist wichtig für das Wirtschaftswunder, das Al-Sisi seinem Volk verspricht. Schon Mitte März 2015 will er einen internationalen Wirtschaftsgipfel ausrichten, um die dringend benötigten Investitionen aus dem Ausland nach Ägypten zu locken. Gerade aus dem Westen dürfte aber kaum etwas kommen. Die westlichen Staaten haben das Vorgehen der Regierung gegen die Opposition immer wieder scharf kritisiert. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Und so wird sich Al-Sisis Versprechen vom wirtschaftlichen Aufschwung auch in der nahen Zukunft kaum erfüllen. Und seine Politik unterscheidet sich schon jetzt kaum von der des ehemaligen Diktators Mubarak: ganz ohne Zuckerbrot und nur mit der Peitsche will er an der Macht bleiben. Das empfinden zumindest die so, die am Abend nach Mubaraks Freispruch versucht haben, den Tahrir-Platz zu stürmen. Trotz des massiven Sicherheitsaufgebots. An dem Abend ist es ihnen nicht gelungen. Aber es war bestimmt nicht der letzte Versuch.