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Kamala Harris: Mobbing und Hass auf Social Media

6. August 2024

Seit Jahren hagelt es rassistische und sexistische Desinformation zu Kamala Harris - umso mehr, seit sie US-Präsidentin werden will. Wie ist dieses Ausmaß zu erklären und: Was wäre anders, wenn sie ein weißer Mann wäre?

Verzerrtes Foto einer Video-Schalte von US-Präsidentschaftskandidaton Kamala
Dass Kamala Harris Generalstaatsanwältin und Justizministerin in Kalifornien war, interessiert in den Sozialen Netzwerken weniger als ihre Dating-VergangenheitBild: Laura Brett/ZUMAPRESS/picture alliance

Kamala Harris tritt bei den US-Präsidentschaftswahlen im November für die Demokraten gegen den republikanischen Kandidaten Donald Trump an. Und sie trifft die vielleicht größte Flut an Falschinformationen und Verunglimpfungen, die es je gegen einen Präsidentschaftskandidaten oder eine Präsidentschaftskandidatin in den Vereinigten Staaten gegeben hat.

So soll sie als Prostituierte gearbeitet und Politikern "ihre Dienste" angeboten haben, um die eigene Karriere voranzutreiben. Einige virale Posts behaupten, sie habe mit dem verurteilten Sexualstraftäter Jeffrey Epstein in Verbindung gestanden. Für andere ist die Tatsache, dass die 59-Jährige keine leiblichen Kinder hat, ein Hinweis darauf, dass sie eine Transfrau sei.

Weithin bekannt ist auch die Falschbehauptung mancher Internetnutzender, dass Harris nicht in den USA geboren worden sei und deshalb nicht rechtmäßig Präsidentin werden könne. Anderen ist sie nicht schwarz genug, um sich schwarz nennen zu können.

Das Ausmaß an Desinformation - also an vorsätzlich verbreiteten Falschinformationen - ist unter anderem damit zu erklären, dass die Sozialen Netzwerke sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt haben. Und auch Technologien wie Künstliche Intelligenz, mit deren Hilfe sich Bilder, Videos und Tonspuren künstlich erstellen oder manipulieren lassen.

Dazu kommt eine extrem polarisierte Gesellschaft und Politik in den Vereinigten Staaten. Und auch ausländische Akteure wie Russland, China und Iran haben ein Interesse, die US-Wahlen zu beeinflussen. Schon bei vorangegangenen Wahlen haben sie fleißig Fake News verbreitet.

Studie: Geschlechtsspezifische Desinformation stark verbreitet

Doch all die Fakes treffen Harris nicht nur mit geballter Kraft, weil sie bei den US-Präsidentschaftswahlen kandidiert. Wäre die 59-Jährige ein weißer Mann, sähe die Desinformation gegen sie anders aus. Was zu der Politikerin und Juristin online zirkuliert, hat oftmals mit ihrem Geschlecht, ihrer Hautfarbe oder ihren indischen und jamaikanischen Wurzeln zu tun.

Das Wilson Center in Washington hat bereits 2020 in einer Studie  die Desinformation gegen 13 Politikerinnen mit verschiedener politischer und ethnischer Zugehörigkeit und unterschiedlichem Bekanntheitsgrad analysiert, darunter Harris. Neben der Erkenntnis, dass geschlechtsspezifische Desinformationsnarrative insgesamt stark verbreitet sind, kam heraus, dass sich 78 Prozent der gefundenen Schlüsselwörter auf die damalige Senatorin bezogen.

Wie Frauenhasser die sozialen Medien erobern

03:29

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Nina Jankowicz, ehemalige Leiterin des Disinformation Governance Board, das ein Beratungsgremium des US-Ministeriums für Heimatschutz war, ist eine der Co-Autorinnen der Wilson-Studie. Im DW-Interview erklärt sie: "Unsere und andere Studien haben festgestellt, dass Frauen, die intersektionelle Identitäten repräsentieren, also etwa sowohl weiblich als auch homosexuell oder eine Frau und schwarz sind, verstärkt Missbrauch und Desinformation ausgesetzt sind. Und Kamala Harris repräsentiert gleich drei Identitäten: die einer Frau, einer schwarzen Frau und einer südasiatischen Frau."

Einschüchterung, Beschämung, Diskreditierung

Es lässt sich zwischen verschiedenen Arten von Online-Sexismus unterscheiden. Die Soziologin Sarah Sobieraj sieht in einer Studie von 2018 drei überlappende Strategien, um den Einfluss von Frauen in der digitalen Öffentlichkeit zu begrenzen: Einschüchterung, Beschämung und Diskreditierung. Jankowicz und ihre Mitforschenden hingegen unterscheiden bezüglich geschlechtsspezifischer Desinformation eher inhaltlich nach sexistischen, transphoben und rassistischen Narrativen. Die Politologin weiß, wovon sie spricht:  Auch sie selbst ist Opfer von sexistischem Online-Hass, erhält sogar Vergewaltigungs- und Todesdrohungen.

Wie viel mehr Frauen über sich ergehen lassen müssen als Männer, wird auch deutlich, wenn man Harris mit dem regierenden Präsidenten Joe Biden oder Ex-Präsident und Präsidentschaftskandidat Trump vergrleicht. Wer hat sich je so minutiös für die Dating-Vergangenheit dieser Männer interessiert oder behauptet, sie hätten sich prostituiert oder ihren Weg "nach oben erschlafen"? Müsste nicht gerade Trump, der wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurde und Schweigegeld an eine Pornodarstellerin zahlte, diesbezüglich viel mehr Interesse hervorrufen als Harris?

Und wie viele Social-Media-Posts gab es dazu, dass Biden oder Trump trans seien? Dass sie keine rechtmäßigen US-Bürger seien oder in Wirklichkeit nicht weiß?

Der Vergleich macht laut Expertin Jankowicz noch deutlicher, in welchem Ausmaß die Harris-Desinformation frauenfeindlich ist: "Frauen in Machtpositionen können anscheinend unmöglich von alleine dorthin gelangt sein. Und sie müssen insgeheim Männer sein, was absurd ist."

Kamala Harris ist kein Einzelfall - aber sie trifft es besonders hart 

Ein anderer Vergleich offenbart, wie strukturell geschlechtsspezifische und rassistische Desinformation ist: Personen, die Harris in dieser Hinsicht ähnlicher sind - wie Michelle und Barack Obama oder Hillary Clinton - sahen oder sehen sich mit ähnlichen Falschinformationen konfrontiert. So wird auch über Michelle Obama behauptet, sie sei eine Transfrau. Der dazugehörige LGBTQ- und frauenfeindliche Verschwörungsmythos heißt "Transvestigation".

Und Barack Obama sah sich ebenfalls mit Fakes konfrontiert, laut denen er nicht auf US-Territorium geboren wurde. Auch hieraus ist eine ganze Bewegung entstanden, die "Birthers".

All das zeigt: Frauen werden eher zu sexuellen Objekten herabgewürdigt, weil sie eben Frauen sind. Bei People of Color wird viel stärker auf familiäre Herkunft oder Bildung geschaut, weil sie eben People of Color sind. Mit den Personen selbst haben die Behauptungen und Fakes meist wenig bis nichts zu tun.

"Gestern war heute gestern", hat Harris nicht gesagt. Es wurde ihr - vermutlich per Künstlicher Intelligenz - in diesem auf Social Media zirkulierenden Video den Mund gelegtBild: X/@MonicaLaredo2

Und diese Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs. Unzählige weitere Narrative sind auf subtilere Weise sexistisch und rassistisch, etwa manipulierte Videos, die Harris Unsinn in den Mund legen, oder aus dem Kontext gerissene Aussagen, die sie als inkompetent darstellen.

Auch sie wirken, indem sie Harris als Frau, als Person of Color, als Politikerin diskreditieren, und sind dem Feld geschlechts- und identitätsspezifischer Desinformation zuzuordnen.

Im Zweifel besser nicht teilen

Dass derartige Narrative sich heutzutage so explosiv vermehren, hat laut Nina Jankowicz auch mit der Art und Weise zu tun, wie Soziale Netzwerke aufgebaut sind. Sie beklagt, dass die Betreibenden immer weniger daran interessiert scheinen, solche Inhalte zu moderieren - die eigentlich ja auch gegen ihre Nutzungsbedingungen verstoßen.

Aber die Nutzende selbst könnten etwas tun, wenn sie nicht Teil der Fake-News-Maschinerie werden wollen, so Jankowicz: "Ob es um Gender-Desinformation geht oder um etwas anderes: Wenn man starke Emotionen wie Wut oder Frustration spürt, nachdem man einen Inhalt konsumiert hat, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man manipuliert wird und dass etwas in der Geschichte nicht stimmt." Dann gilt: Besser einen Moment innehalten, sich bei seriöseren Quellen als Social-Media-Posts von Privatleuten informieren - und im Zweifel lieber nichts teilen.

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