Nach dem Rückzug von US-Präsident Joe Biden scheint US-Vizepräsidentin Kamala Harris die neue Präsidentschaftskandidatin der Demokraten zu werden. Kann sie Donald Trump schlagen? Und für welche Politik steht Harris?
Anzeige
Die Präsidentschaftskampagne von Kamala Harris ist in vollem Gange. US-Präsident Joe Biden war der erste, der ihr den Rücken stärkte. Kurz nachdem er über die sozialen Medien seinen Rückzug aus dem Rennen um die US-Präsidentschaft bekannt gegeben hatte, rief Biden dort dazu auf, Harris als demokratische Präsidentschaftskandidatin zu unterstützen.
Der ehemalige US-Präsident Bill Clinton und Ex-US-Außenministerin Hillary Clinton, Nancy Pelosi, ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses und Grande Dame der Demokratischen Partei, sowie zahlreiche demokratische Kongressmitglieder und Gouverneure folgten diesem Beispiel.
Und für Harris' Kampagne wurde seitdem eifrig gespendet: In den ersten 24 Stunden seit Bidens Appell gingen für ihre Kandidatur 81 Millionen Dollar an Spenden ein - ein Rekord in so kurzer Zeit. Ein weiterer wichtiger Faktor: Das Geld floss von mehr als 888.000 Einzelspendern von der Basis. Und wiederum zwei Drittel von ihnen spendeten in diesem Wahlkampf zum ersten Mal. Sie spendeten also nicht für Bidens Kampagne sondern explizit für Kamala Harris.
Als Vizepräsidentin hat Harris überdies auch Zugang zu allen Geldern, die bisher für Biden gesammelt wurden. Der Wahlkampffonds des derzeitigen Präsidenten erreichte insgesamt fast 96 Millionen Dollar - und wurde vergangenen Sonntag an Harris überwiesen.
Harris selbst sagte in einer Erklärung, sie werde alles in ihrer Macht Stehende tun, "um die Demokratische Partei - und unsere Nation - zu vereinen, um Donald Trump zu besiegen".
Die Demokraten müssen Harris erst nominieren
Die Einigung der Demokratischen Partei ist ein wichtiger erster Schritt, denn Harris ist noch nicht die offizielle Kandidatin. Dazu muss sie die Mehrheit der Delegiertenstimmen auf dem Parteitag der Demokraten gewinnen, der vom 19. bis 22. August in der Stadt Chicago stattfindet.
"Im Moment muss sie eine doppelte Kampagne führen", sagt Stormy-Annika Mildner, Geschäftsführerin des Aspen Institute Germany, einer transatlantischen Denkfabrik mit Sitz in Berlin. Harris müsse "die Demokraten vereinen, damit sie hinter ihr stehen, und mit Blick auf die Wahlen im November auch das [amerikanische] Volk ansprechen und für ihre Kampagne gewinnen."
Das Leben der Kamala Harris: erste Frau in vielen Rollen
Nicht nur als US-Vizepräsidentin - in ihrer Karriere hat Kamala Harris schon oft als erste Frau verschiedene Positionen erkämpft und gläserne Decken durchbrochen. Wird sie nun erste Präsidentin der Vereinigten Staaten?
Bild: Rob Carr/Getty Images
Kind einer Einwandererfamilie
Kamala Devi Harris kommt am 20. Oktober 1964 im kalifornischen Oakland zur Welt. Ihr Vater Donald J. Harris, ein renommierter Wirtschaftswissenschaftler, stammt aus Jamaika. Ihre Mutter Shyamala Gopalan kommt aus Indien in die USA und arbeitet in der Brustkrebsforschung. Dieses undatierte Foto zeigt Kamala Harris im Labor ihrer Mutter an der Berkeley-Universität in Kalifornien.
Bild: picture-alliance/dpa/Kamala Harris Campaign
"Sie erzog uns zu stolzen starken schwarzen Frauen"
Die Eltern trennen sich, Kamala (links) und ihre jüngere Schwester Maya (Mitte) wachsen bei ihrer 2009 verstorbenen Mutter auf. "Sie erzog uns zu stolzen starken schwarzen Frauen. Und sie hat uns beigebracht, unser indisches Erbe zu kennen und darauf stolz zu sein", berichtet Harris 2020 in einer Rede. Zeitweise lebt die Familie im kanadischen Montreal.
Bild: picture-alliance/dpa/Kamala Harris Campaign
Protest gegen Rassismus
Kamala Harris Eltern waren in der Bürgerrechtsbewegung aktiv. Das habe ihre eigene Karriere sehr beeinflusst, bekennt sie in ihrer Autobiografie. Als 18-Jährige nimmt Harris (rechts) hier auf einer Anti-Apartheid-Demonstration teil. Zu dieser Zeit absolviert sie ihr erstes Studienjahr an der Howard University in Washington, DC.
Bild: Courtesy of Kamala Harris/AFP
Frühe Karriere als Juristin
Mit Anfang zwanzig schließt Harris 1986 ihr Bachelor-Studium an der privaten Howard University in Washington ab, drei Jahre später ihr Jura-Studium an der staatlichen University of California in San Francisco. 1990 wird sie in die kalifornische Rechtsanwaltskammer aufgenommen und kann als Anwältin arbeiten.
Bild: Avalon/Photoshot/picture alliance
Das erste Mal "die erste Frau"
2004 wird Harris Bezirksstaatsanwältin von San Francisco. Es ist das erste Mal, dass eine Frau diesen Posten bekleidet. Kamalas Mutter (Mitte) hält während des Amtseids eine Kopie der "Bill of Rights" in der Hand. Diese ersten zehn Zusatzartikel zur Verfassung sichern den Einwohnern der Vereinigten Staaten im Rahmen einer freien und demokratischen Gesellschaft unveräußerliche Grundrechte zu.
Bild: George Nikitin/AP Photo/picture alliance
Erste schwarze Generalstaatsanwältin von Kalifornien
Im Jahr 2011 wird Kamala Harris Generalstaatsanwältin des US-Bundesstaats Kalifornien. Es ist das erste Mal, dass eine Frau und eine Woman of Color in dieses Amt berufen wird. Ihre Amtszeit führt auch zu Konflikten. So lehnt sie als oberste Polizeichefin die Todesstrafe ab - auch bei Polizistenmördern. Strafen gegen Eltern von Schulschwänzenden wiederum treffen oft People of Color.
Bild: Rich Pedroncelli/AP Photo/picture alliance
Für Kaliforniens Demokraten in den US-Senat
2016 wird Harris von der Demokratischen Partei in Kalifornien zur Senatorin gewählt. Ihr Amt als Generalstaatsanwältin gibt sie auf. Auf diesem Bild nimmt der damalige US-Vizepräsident Joe Biden im Januar 2017 Kamala Harris dem Amtseid ab. Dieses Mal steht ihr Ehemann, Rechtsanwalt Douglas Emhoff, bei der Zeremonie neben ihr. Er hält dabei eine Bibel in der Hand.
Bild: Kevin Wolf/AP/dpa/picture alliance
Joe Biden und Kamala Harris als Gegner
Nur zwei Jahre später treffen sich der amtierende US-Vize und die Senatorin Harris als politische Gegner wieder: als Bewerber für die Präsidentschaftskandidatur der Demokratischen Partei - hier bei einem TV-Duell mit dem weiteren Kandidaten Bernie Sanders. Im parteiinternen Wahlkampf gehen Harris und Biden einander hart an.
Bild: SAUL LOEB/AFP/Getty Images
Von Gegnern zum Gewinner-Duo
Harris gibt schließlich ihre Bewerbung als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten wegen niedriger Umfragewerte auf und unterstützt Joe Biden. Er wird von den Demokraten nominiert und beruft Kamala Harris als seine Stellvertreterin im Falle eines Wahlsiegs. Die Demokraten gewinnen die US-Präsidentschaftswahl 2020 mit Biden und Harris.
Bild: Andrew Harnik/AP/dpa/picture alliance
Erste Frau als US-Vizepräsidentin
Am 20. Januar 2021 legt Kamala Harris den Amtseid als Vize-Präsidentin der Vereinigten Staaten ab - als erste Frau in diesem Amt. Die Amtseinführung von Präsident Joe Biden und seiner Vize Harris findet unter extremen Sicherheitsvorkehrungen statt. Denn am 6. Januar hatten Anhänger des abgewählten Präsidenten Donald Trump aus Protest gegen das Wahlergebnis das Kapitol in Washington gestürmt.
Bild: Rob Carr/Getty Images
Schwieriger Job: Harris und die Migration
Eine der ersten Aufgaben, die der US-Präsident seiner Vize zuweist, ist die Migration. Harris soll die unkontrollierte Zuwanderung aus dem Süden in die USA stoppen. Ihre Bemühungen führen sie in verschiedene Staaten Mittelamerikas, wie hier zu Guatemalas Präsident Alejandro Giammattei. Doch die irregulären Grenzübertritte erreichen neue Rekorde. Die Republikaner kritisieren Harris dafür scharf.
Bild: Jacquelyn Martin/picture alliance/AP
Klare Kante auf der Münchner Sicherheitskonferenz
Besser kann sich Harris dagegen im Bereich der Sicherheitspolitik profilieren. Im Februar dieses Jahres bekennt sie sich in einer Rede vor der Münchner Sicherheitskonferenz explizit zur NATO und zur internationalen Zusammenarbeit. Damit grenzt sich die US-Vizepräsidentin deutlich vom republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump ab.
Bild: Felix Zahn/photothek/IMAGO
Entschlossene Unterstützerin der Ukraine
Wie Joe Biden steht auch Harris zur US-Hilfe für die Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Die Vizepräsidentin bezeichnete Russlands Vorgehen in der Ukraine mehrfach als "schreckliche Gräueltaten", "grausam" und "unmenschlich". Den Tod von Oppositionsführers Alexej Nawalny in Haft bezeichnete sie als "weiteres Zeichen für die Brutalität" von Russlands Präsident Wladimir Putin.
Bild: TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images
Einsatz für das Recht auf Abtreibung
Ganz deutlich grenzt sich Harris beim Thema Abtreibung von den Republikanern ab. Nachdem das oberste Gericht der USA die bundesweite Regelung für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gekippt hatte, startet sie eine Kampagne für reproduktive Selbstbestimmung. Vor allem bei jungen Wählern ist das ein wichtiges Thema. Viele Republikaner wollen das Abtreibungsrecht dagegen noch verschärfen.
Bild: Justin Sullivan/Getty Images
Wie stehen Kamala Harris' Chancen als erste US-Präsidentin?
Sollten die Demokraten Harris zu ihrer Präsidentschaftskandidatin küren, blieben ihr nur drei Monate für ihren Wahlkampf. Immerhin flossen nur Stunden nach Bidens Vorschlag, Harris zu nominieren, mehr als 50 Millionen Dollar an Spenden. Einerseits könnte Harris People of Color zur Wahl motivieren, andererseits aber angesichts von Rassen- und Geschlechterdiskriminierung auch Nachteile haben.
Bild: Kevin Dietsch/Getty Images
15 Bilder1 | 15
Als einzige Kandidatin darf Harris die bereits von der Biden-Kampagne gesammelten Spenden in Millionenhöhe verwenden, weil sie Teil des Teams war, für das die Spenden eingingen. Außerdem ist sie als Vizepräsidentin in den USA bekannter als mögliche andere Kandidaten.
Was spricht gegen Kamala Harris als US-Präsidentschaftskandidatin?
"Ihr großer Schwachpunkt ist, dass ihre Beliebtheitswerte nicht viel besser sind als die von Biden", sagt Mildner im DW-Gespräch. Eine weitere Schwäche: Harris war mit der Eindämmung der massiven irregulären Einwanderung aus Mittel- und Lateinamerika betraut - ihre Gegner kritisieren immer wieder, sie sei dieser Aufgabe nicht gewachsen.
"Hier könnte man sage, sie habe versagt. Ich denke, das ist ein bisschen unfair, weil die Situation an der Grenze so schwierig ist", meint Mildner. "Aber das wird in der Trump-Kampagne als starkes Argument gegen sie verwendet werden."
Kann Kamala Harris Donald Trump tatsächlich schlagen?
Bisher konzentrierte sich der Wahlkampf des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump auf und gegen Biden. Nun muss sich sein Kampagnen-Team auf die neue Kandidatin einstellen. Wie aber stehen die Chancen von Harris, die Wahl am 5. November zu gewinnen, sollte sie tatsächlich von den Demokraten als Gegenkandidatin zu Trump aufgestellt werden?
"Wie wir in einigen ersten Umfragen sehen, die sie direkt mit Donald Trump vergleichen, liegt sie mindestens gleichauf mit ihm oder schlägt ihn um zwei bis drei Prozentpunkte", berichtet Cathryn Clüver Ashbrook, Transatlantikexpertin bei der deutschen Bertelsmann-Stiftung, der DW. "Es gibt noch nicht viele Anhaltspunkte, aber zumindest scheinen die Umfragen stabil zu sein - und zu zeigen, dass sie mit Donald Trump mithalten kann. Und sie hat ein enormes Potenzial, in den nächsten 107 Tagen noch mehr zu erreichen."
Die Demokraten hoffen, dass die neue Kandidatin dem Wahlkampf neuen Schwung verleiht. Harris Befürworter sind der Ansicht, dass sie Menschen begeistern kann, die für den Kandidaten Biden vielleicht nicht zur Wahl gegangen wären, so Mildner: junge Menschen, Frauen und People of Color.
Bei den Wählerinnen könnte Harris vor allem ein Faktor helfen: Nachdem der mehrheitlich konservative Oberste Gerichtshof das verfassungsmäßige Recht auf Abtreibung aufgehoben hatte, sprach sich Harris wiederholt gegen das Urteil aus. Sie "war eine führende Stimme bei der Verteidigung des Rechts von Frauen, sich eigenständig zu entscheiden", so Clüver Ashbrook. "In dieser Frage hat sie sich im Wahlkampf sehr lautstark und erfolgreich geäußert."
Anzeige
Wie steht Harris zur NATO, zur Ukraine und zu Israel?
Auf dem Gebiet der Außenpolitik habe Harris noch nicht viel erlebt, so Clüver Ashbrook. Allerdings machte die Vizepräsidentin auf der Münchner Sicherheitskonferenz Anfang dieses Jahres, wie auch auf dem Treffen 2023, sehr deutlich, dass sie die Mitgliedschaft der USA in der NATO sehr schätzt, was Trump nicht tut.
Und Harris will nicht nur die Zusammenarbeit mit den europäischen Verbündeten fortsetzen. Auch der Wert von US-Bündnissen im indopazifischen Raum sei für sie klar, sagt Clüver Ashbrook. "Und natürlich wird die Tatsache, dass sie indische Wurzeln hat, in einigen Teilen der indisch-pazifischen Allianz begrüßt werden."
Mit Blick auf den anhaltenden Krieg in der Ukraine ist Harris wie Biden der Meinung, dass Kiew unterstützt werden muss. Natürlich müsste sie als Präsidentin mit dem Kongress zusammenarbeiten, um finanzielle und militärische Hilfspakete zu verabschieden. Aber sie würde sich wahrscheinlich genauso wie Biden für diese Hilfe einsetzen, weil "sie Russland als große Bedrohung ansieht", meint Stormy-Annika Mildner vom Aspen Institute.
Wie aber würden sich die USA unter einer möglichen Präsidentin Kamala Harris zum Gaza-Krieg positionieren? Diese Frage ist besonders interessant, weil Bidens entschiedene Unterstützung Israels vor allem bei jungen Menschen und arabischen US-Bürgerinnen und Bürgern auf Kritik gestoßen war.
"Ich denke, dass sie den Palästinensern gegenüber etwas mitfühlender war und die humanitäre Katastrophe in Palästina etwas stärker kritisiert hat", so Mildner. "Ich könnte mir also vorstellen, dass sich der Ton ein wenig ändert. Aber die Unterstützung für Israel - das wird sich nicht ändern."