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Politik

Bürgerwehren gegen Boko Haram

Moki Kindzeka / Adrian Kriesch (HA Afrika)14. September 2015

Selbstmordanschläge und Überfälle - nach Nigeria nehmen die Angriffe von Boko Haram auch in Kamerun wieder zu. Die Regierung setzt nicht nur aufs Militär, sondern auch auf Bürgerwehren. Das könnte ein Problem werden.

Bürgerwehr gegen Boko Haram (Foto: Getty Images9
Bild: Getty Images/AFP/A. Abubakar

Ein zwölfjähriges Mädchen und zwei Jungen schöpfen Wasser an einem Bach in der kamerunischen Stadt Kolofata, gleich an der Grenze zu Nigeria. Keine ungewöhnliche Szene, weder für das Militär, noch für die meisten Leute in der Umgebung. Doch in der Nähe stehen Mitglieder der lokalen Bürgerwehr, sie haben die drei noch nie in ihrer Stadt gesehen. Als sie die Jugendlichen ansprechen und ihre Taschen durchsuchen wollen, explodieren plötzlich mehrere Sprengsätze. Neun Menschen sterben, 24 werden teilweise schwer verletzt.

Der Anschlag ereignete sich am Sonntag. Damit setzt sich eine ganze Reihe von Selbstmordattentaten fort, die im Norden Kameruns seit Juli rund einhundert Menschen das Leben gekostet hat. Ahmidou Fouman ist Mitglied der Bürgerwehr in Kolofata und ist stolz auf seine Kollegen - auch wenn viele ihre Arbeit mit ihrem Leben bezahlt haben. "Wenn die Selbstmordattentäter es bis auf einen Markt, in eine Kirche oder Moschee geschafft hätten, wären viel mehr Menschen ums Leben gekommen", sagt Fouman der DW.

Nach dem Anschlag in Kolofata: Sicherheitskräfte am TatortBild: Getty Images/AFP/Stringer

Verteidigungsminister: "Schließt euch den Bürgerwehren an"

Lob kommt auch aus höchsten Regierungskreisen. Verteidigungsminister Edgard Alain Mebe Ngo'o geht nach dem aktuellsten Anschlag sogar noch weiter: "Ich fordere alle Kameruner auf, sich vor allem in den Grenzgebieten den Bürgerwehren anzuschließen und mit dem Militär zusammenzuarbeiten, damit diese neue Form der Angriffe von Boko Haram gestoppt werden kann."

Die Gruppe sieht sich als Teil der Terrormiliz "Islamistischer Staat". Sie begann ihren Aufstand im Nordosten Nigerias, mittlerweile ist sie aber auch in den Grenzgebieten anderer Länder aktiv: im Tschad, im Niger und in Kamerun. Mehr als 13.000 Menschen sind in dieser Region in den letzten sechs Jahren Opfer der islamistischen Gruppe geworden.

Auf Militärerfolge folgen Selbstmordanschläge

In den letzten Monaten konnten die Militärs der betroffenen Länder Erfolge im Kampf gegen den Terror erzielen und nahmen viele besetzte Gebiete wieder ein. Eine multinationale Task Force mit Truppen aus fünf Ländern wurde ins Leben gerufen. Nur einen Tag vor dem Anschlag in Kolofata besuchte der Befehlshaber der Task Force, Iliya Abbah, eine Militärbasis im wenige Kilometer entfernten Ort Mora. "Wir können uns nicht erlauben nur zuzusehen, während dieser Wahnsinn weitergeht", sagte der Nigerianer bei seinem Besuch. "Wir werden gemeinsam arbeiten, um wieder Frieden in die Region zu bringen."

Aber können Bürgerwehren den Frieden bringen? Freiwillige Dorfbewohner, oft arbeitslos, die sich selbst mit Macheten, Knüppeln und alten Gewehren bewaffnen?

Seit Boko Haram immer mehr Territorien verliert, setzt die Gruppe vermehrt auf Selbstmordanschläge. Häufig werden diese von Frauen und jungen Mädchen auf belebten Plätzen in der gesamten Region durchgeführt - und sind deshalb für das Militär nur schwer zu verhindern. Bürgerwehren sind in ihrer Heimat häufig besser vernetzt als das Militär, kennen ihre Nachbarn und mögliche Gefahren. Im Nordosten Nigerias haben diese Gruppen bei der lokalen Bevölkerung seit Jahren mehr Vertrauen als das Militär.

Genießt mehr Vertrauen als das Militär: eine BürgerwehBild: picture-alliance/dpa/Stringer

"Der Job der nationalen Armeen"

Jimam Lar forscht an der Universität Bayreuth zu Bürgerwehren in der Region. In Nigeria haben sich die Gruppen als nützlich im Kampf gegen Boko Haram erwiesen, so der Forscher, das könne jetzt auch in Kamerun passieren. "Sie sind extrem gut darin, lokale Informationen zu sammeln - und darum ist ihre Zusammenarbeit mit den staatlichen Organen sehr nützlich", sagt Larim DW-Gespräch. "Aber: Es ist der Job und die Verantwortung der nationalen Armeen, dann darauf zu reagieren."

Larim weist darauf hin, dass in Nigeria den Bürgerwehren immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden. Häufig würden mutmaßliche Terroristen an Ort und Stelle gelyncht. In armen Gegenden mit kaum vorhandenen Bildungschancen bedeutet die Mitgliedschaft in einer Bürgerwehr für viele Jugendliche, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben Macht und Anerkennung bekommen - eine gefährliche Kombination. Darum fordert Larim von den Staaten eine strenge Kontrolle der Gruppen.

"Wenn man sie jetzt benutzt und am Ende des Aufstandes keine Verwendung mehr für sie hat, können sie zum Problem werden", warnt auch Joshua Abu, politischer Analyst und ehemaliger Hochschulprofessor in Yola im Nordosten Nigerias. Die meisten Bürgerwehren leben von Spenden der lokalen Bevölkerung, in einigen Bundesstaaten Nigerias bekommen sie sogar ein Gehalt vom Staat. "Die Bürgerwehren haben ja auch wirtschaftliche Vorteile durch ihren Job. Wenn sie irgendwann kein Geld mehr verdienen, können sie ein Problem für die Gesellschaft werden." Denn dann könnten sie ihre Waffen nutzen, um sich ihr Einkommen selbst zu erbeuten.

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