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Kaminer: "Grass hat mich als Mensch beeinflusst"

Das Gespräch führte Annabelle Steffes13. April 2015

Eine "Freikarte in die Unsterblichkeit" habe Günter Grass mit seinen Büchern erworben, meint der Schriftsteller Wladimir Kaminer. Und erzählt, wie er den Nobelpreisträger kennengelernt hat.

Deutschland Russland Schriftsteller Wladimir Kaminer
Bild: imago/STAR-MEDIA

Deutsche Welle: Herr Kaminer, Sie haben eben erst von Günter Grass‘ Tod erfahren, wie geht es Ihnen damit?

Wladimir Kaminer: Ich finde, er hat die völlig falsche Zeit dafür gewählt. Jetzt, wo endlich Frühling ist, die Sonne scheint und alles wächst und gedeiht, da muss man nicht sterben.

Wie haben Sie Günter Grass kennengelernt?

Mit viel Witz und Ironie schrieb sich Kaminer in die Bestsellerlisten.Bild: MANHATTAN

Wir haben uns in Polen getroffen. 2006 fuhr eine Delegation nach Polen, um die deutsch-polnischen Beziehungen zu verbessern und zu festigen. Für Günter Grass waren Polen und sein Geburtsort Danzig eine Herzensangelegenheit. Deswegen war er dabei. Ich wurde wegen meines russischen Hintergrunds eingeladen, weil ich als russischer Autor in Deutschland als Schriftsteller arbeite. Und außerdem war auch noch der Bundespräsident Horst Köhler dabei.

Wie war Ihr Verhältnis zu Günter Grass?

Er hat mehrmals versucht, mich mit auf die politische Bahn zu ziehen, aber ich bin immer freundlich, doch entschieden auf Abstand geblieben. Wir standen uns nicht nahe. Wir haben uns nur im Ausland gesehen, in Polen oder auf der Literaturmesse in Paris - bei solchen Gelegenheiten, aber privat nicht.

Waren seine Werke von Bedeutung für Sie?

Ich habe nicht alle seine Werke gelesen, aber einige. Ich betrachte Günter Grass als Kunstprojekt. Er hat sich in allen möglichen Kunstarten versucht. Er hat nicht nur geschrieben, sondern auch als Bildhauer gearbeitet, als Dichter. Ich glaube, er hat so ziemlich alles gemacht, was ein Künstler machen kann - na ja, vielleicht hat er nicht getanzt oder gesungen. Gemalt hat er auch. Und ich habe seine Bilder gesehen, seine Skulpturen.

Künstler durch und durch: Günter Grass hat nicht nur geschrieben, sondern auch gemalt und Skulpturen gefertigt.Bild: picture alliance/dpa/K. Nietfeld

Ich habe vor allem die früheren Bücher gelesen. Ich glaube, das letzte Buch, das ich von ihm gelesen habe, war "Im Krebsgang", also diese Erinnerungsgeschichte. Die Botschaft, die seine Bücher für mich ausstrahlen, liegt mir sehr nahe. Es geht darum, das Vergangene festzuhalten. Das ist, finde ich, eine sehr wichtige Herausforderung in dieser Welt, die sich so schnell verändert. Sie sehen doch selbst, die Menschen sterben plötzlich ohne Vorankündigung, Staaten gehen plötzlich unter, die Häuser werden zu Staub. Das Einzige was bleibt, sind die Geschichten. Vorausgesetzt sie werden klar und deutlich und spannend festgehalten von den Autoren, damit auch die nächsten Generationen Lust bekommt, sie zu lesen. Und ich glaube, Günter Grass konnte das. Das, was er geschrieben hat, wird in 100 Jahren noch gelesen werden.

Hatten Sie ein Lieblingsbuch von ihm?

Ich mochte "Die Blechtrommel" sehr.

Hat eines der Bücher Günter Grass' Sie speziell, im Hinblick auf Ihr eigenes Werk, beeinflusst?

Ich würde nicht sagen, dass er mich als Schriftsteller beeinflusst hat, aber als Mensch. Und seine Haltung zum Beruf ist mir sehr nah. Ich arbeite auch so. Ich sehe meine Aufgabe in erster Linie nicht darin, mir etwas auszudenken, irgendwelche Gefühle zu imitieren, die ich selbst nicht habe, über Menschen zu schreiben, die ich nicht kenne oder über Ereignisse, bei denen ich nicht dabei war. Sondern ich versuche, mich mit der Realität und mit der eigenen Vergangenheit auseinander zu setzen, um zu verstehen, was eigentlich gewesen ist. Weil, wenn man die Vergangenheit nicht versteht, weiß man auch von der eigenen Realität, von der Gegenwart nichts und hat Angst vor der Zukunft. Eigentlich sind seine Bücher und das, was er gemacht hat, seine Freikarte in die Unsterblichkeit. Nur auf diese Weise kann der Mensch die Endlichkeit besiegen und zu einem Teil des Weltkulturerbes werden. Das ist das einzige Erbe, das bleibt.

Günter Grass war ja auch ein sehr streitbarer Geist. Meinen Sie, dass er im Literaturbetrieb fehlen wird?

Ausschnitt aus dem Film zum Roman "Russendisko"Bild: Stephan Rabold

Sicher war Günter Grass ein streitbarer Mensch und ich glaube nicht, dass man ihn durch einen anderen streitbaren Menschen ersetzen kann. Die Zeiten sind anders geworden, aber es werden andere streitbare Geister kommen. Da bin ich mir ganz sicher. Natürlich wird er fehlen! Aber sehen Sie, da ist eine ganze Generation von Autoren, die nach und nach geht. Das sind Autoren, die das Leben und die Geschichte eines Landes beschrieben, das nicht mehr existiert. Dieses Deutschland vor der Wiedervereinigung, dieses Deutschland des 20. Jahrhunderts wird letzten Endes nur in den Werken dieser Menschen bleiben und sie unsterblich machen. Das ist meine Theorie. Es werden neue Zeiten und neue Autoren kommen, die neue Zeiten festhalten werden.

Wie standen Sie seinen kritischen Äußerungen, etwa seinem Israel-Gedicht gegenüber?

Ich sehe dort eine Auseinandersetzung, die nicht abgeschlossen ist. Ich hätte mir gewünscht, dass sich mehr Autoren mit unterschiedlichen Meinungen und Positionen zu politischen Themen äußern würden. Dass er das gemacht hat, das sollte man sich eigentlich zum Vorbild nehmen und es ihm gleich tun.

Wladimir Kaminer (geboren 1967) wanderte 1990 aus der damaligen Sowjetunion aus und lebt seitdem in Berlin. Mit viel Witz und Selbstironie schreibt er seit Mitte der 90er Jahre Kurzgeschichten und Romane über seine Erfahrungen als eingewanderter Russe und schaffte es immer wieder auf die Bestsellerlisten. Zu seinen größten Erfolgen gehört der Erzählband "Russendisko", der 2012 auch verfilmt wurde.

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