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Politik

Kampf für die Umwelt in Zeiten von Corona

25. März 2020

Der Einsatz gegen Umweltzerstörung ist in keiner Weltregion so gefährlich wie in Lateinamerika, jede Woche lassen zwei Umweltaktivisten in der Region ihr Leben. Wegen Corona ist keine Besserung in Sicht - im Gegenteil.

Demonstration gegen den Klimawandel in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota (Archivbild)
Demonstration gegen den Klimawandel in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/J. Barreto

Der Brasilianer Maxciel Pereira dos Santos, der sich seit Jahren für die Landrechte Indigener und den Erhalt des Regenwalds im Amazonas-Gebiet einsetzte - ermordet. Isabel Hernández Juáre aus Guatemala, die für die Wiederaufforstung entwaldeter Landstriche in der Pazifik-Region kämpfte - bei einer Prozession niedergeschossen. Der Mexikaner Samir Flores Soberanes, der gegen ein Gaskraftwerk demonstrierte - mit zwei Schüssen in den Kopf getötet.

Nur drei von unzähligen Umweltschützern in Lateinamerika, die 2019 ihren Einsatz für die Umwelt mit dem Leben bezahlten. Auf keinem anderen Flecken der Welt sind diese so gefährdet - und gleichzeitig so schutzlos. Sei es, weil sich die Aktivisten gegen die Zerstörung ihres Lebensraums durch den Bau von Staudämmen, durch Ölförderung oder illegale Abholzung wehren oder weil sie die herrschende Straflosigkeit anprangern. Opfer sind vor allem Indigene.

Coronavirus als Entschuldigung für weitere Umweltzerstörung?

Alex Villca ist jemand, der sich seit Jahren für die Indigenen und ihren Lebensraum einsetzt. Gerne hätte der junge Menschenrechts- und Umweltaktivist aus Bolivien auch in Deutschland von seinem Engagement berichtet, er hatte sogar schon seine Koffer gepackt. Doch das Coronavirus machte ihm einen Strich durch die Rechnung, eine für März im Rahmen der Lateinamerika-Karibik-Woche in Berlin geplante Podiumsdiskussion der DW Akademie musste aus Sicherheitsgründen abgesagt werden.

Der Umweltaktivist Alex VillcaBild: Privat

Jetzt sitzt Villca, der sich seit Jahren für die Rechte von indigenen Territorien und Schutzzonen einsetzt, in La Paz und sagt: "Während die Regierungen in der ganzen Welt uns alle wegen des Coronavirus festsetzen, beuten sie unsere Naturschätze und Ressourcen mit noch mehr Gewalt aus."

Es ist nicht so, dass er kein Verständnis für die rigiden Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus hätte, gerade hat Bolivien auch die für den 3.Mai geplanten Präsidentschaftswahlen auf unbestimmte Zeit verschoben. Doch Villca befürchtet, dass Regierung und Wirtschaft ihre Politik des Extraktivismus in diesen Zeiten noch intensivieren: "Das Coronavirus und die damit verbundene wirtschaftliche Katastrophe wird als willkommene Entschuldigung dienen, Länder mit einer großen Biodiversität auszurauben - also vor allem Staaten in Lateinamerika."

Permanente Bedrohungen von Umweltaktivisten

Aktivisten wie Alex Villca haben es in Bolivien schon vor Corona schwer gehabt: Immer wieder müssen sie sich für ihren Kampf rechtfertigen, werden kritisiert und abqualifiziert als Verweigerer des Fortschritts, die sich außerdem von ausländischen NGOs bezahlen und vor den Karren spannen lassen. "Wir sind die Bösewichte in diesem Film", sagt der Bolivianer, der sich sogar schon den Vorwurf gefallen lassen musste, gar kein richtiger Indigener zu sein, weil er ja studiert habe und damit nicht repräsentativ für die indigene Bevölkerung sei.

Zerstörung des Amazonas-RegenwaldesBild: Misereor/Florian Kopp

Hinzu kommen die permanenten Angriffe gegen ihn und seine Familie: "Meine Mutter und meine Geschwister werden ständig eingeschüchtert, mir drohen sie, meine Existenz zu vernichten und mich ins Gefängnis zu stecken." Doch Alex Villca will nicht aufgeben, für Menschenrechte und Umwelt in Bolivien zu kämpfen. Der Bolivianer ist optimistisch, dass das Virus bei vielen für ein Umdenken sorgt: "Ich hoffe, dass die Pandemie bei der Zivilgesellschaft die Solidarität stärkt und das Bewusstsein weckt, wie wichtig der Schutz der Umwelt ist."

Datenjournalisten sammeln Übergriffe gegen Umweltaktivisten

Auch Dora Montero hatte sich schon mächtig auf Berlin gefreut, wollte die kolumbianische Journalistin doch einer breiten Öffentlichkeit ihr Projekt Tierra de Resistentes vorstellen. Montero hatte die Idee für das ambitionierte Datenjournalismus-Projekt, das mittlerweile über 1300 Übergriffe gegen indigene Umweltaktivisten in sieben lateinamerikanischen Ländern dokumentiert und das von der DW Akademie unterstützt wird. Journalisten aus Kolumbien, Ecuador, Bolivien, Peru, Mexiko, Guatemala und Brasilien berichten darin über Fälle von physischer Bedrohung über juristische Verfolgung bis hin zu Mord - aus einem Zeitraum von zehn Jahren.

Die kolumbianische Journalistin Dora MonteroBild: Consejo de Redacción

Montero, mittlerweile eines der Gesichter des lateinamerikanischen Umweltjournalismus, fürchtet ebenfalls, dass der Umweltschutz und der Schutz der Aktivisten wegen Corona geopfert wird. "Manchmal verdrängt das Notwendige das Wichtige", sagt die Journalistin aus Bogotá. "Natürlich müssen wir jetzt alle im Kampf gegen das Virus zusammenstehen. Aber währenddessen werden weiter Wälder zerstört, Umweltaktivisten ermordet und Bewohnern von Gemeinden vertrieben, die dem Drogenhandel in Kolumbien im Weg stehen." Auf Satellitenbildern sei zum Beispiel zu erkennen, dass der Kahlschlag an Bäumen in einem Naturschutzgebiet unvermindert anhalte.

Friedensvertrag verschärft den Kampf um die Umwelt

Dora Montero ist über Umwege zur Umweltjournalistin geworden. Jahrelang hat sie über den kolumbianischen Bürgerkrieg berichtet, doch nun hat sich ihr Fokus ein wenig verschoben. Auch weil durch den Friedensvertrag zwischen Regierung und der FARC-Guerilla ein Machtvakuum in Kolumbien entstanden ist: In Regionen, die früher die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens kontrollierten, kämpfen nun Drogenhändler, Paramilitärs und die Guerilleros der ELN gegeneinander - und Menschenrechts- und Umweltaktivisten leben gefährlicher als je zuvor, während der Staat mehr oder weniger tatenlos zuschaut.

Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos (l.) und FARC-Chef Rodrigo Londoño (r.) 2016 beim Friedenschluss in HavannaBild: picture-alliance/dpa/A. Ernesto

"Die Aktivisten und sozialen Anführer haben nicht den geringsten Rückhalt für ihren Einsatz", sagt Montero, "im Gegenteil, sie werden noch stigmatisiert. Und niemand übernimmt die Verantwortung für ihre Sicherheit, obwohl ihr Kampf lebensgefährlich ist." Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres seien 120 Kolumbianer ums Leben gekommen, berichtet die Journalistin, die auch dem renommierten Netzwerk von Investigativ-Journalisten in Kolumbien, Consejo de Redacción, vorsteht. Jüngstes Opfer dieser Woche: Marco Rivadaneira, der sich seit Jahren in Putumayo für die Rechte von Indigenen und Bauern einsetzt, wurde während eines Treffens mit kolumbianischen Bauern von drei Männern entführt und kaltblütig ermordet.

"Durch Corona sind Journalisten, Aktivisten und soziale Anführer nun zur Quarantäne gezwungen. Und werden den Kriminellen quasi auf dem Silbertablett serviert", befürchtet die kolumbianische Journalistin. Das Coronavirus könnte sich zu einem der größten Feinde des Umweltschutzes in Lateinamerika entwickeln, glaubt Dora Montero, weil die Prioritäten jetzt andere seien: "Viele der ohnehin schon zu niedrigen finanziellen Mittel, die für den Waldschutz und die Umwelt gedacht waren, dürften jetzt umgeleitet werden für die Corona-Bekämpfung. Und wir haben kein großes Vertrauen, dass unsere Regierungen die finanziellen Mittel während und nach dem Ausnahmezustand sinnvoll verteilen."

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