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Politik

Kampf gegen Verkehrskollaps

29. Oktober 2016

Südostasiens Megacities kämpfen mit Dauerstaus und Luftverschmutzung. Ein deutsches Unternehmen unterstützt Vietnam und Thailand beim Verkehrsmanagement. Allerdings sind die Ausgangsbedingungen sehr verschieden.

Vietnam Motorradfahrer in Hanoi
Bild: Xuan Thang Nguyen

Mehr als eine Stunde durch Abgase, Lärm und Dreck. Für nicht einmal 20 Kilometer. Jeden Morgen und jeden Abend. Sechs Tage die Woche. Dieses Schicksal teilen Thang und seine Frau Lien mit Hundertausenden Einwohnern der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi. Der Innenarchitekt und die Werbefachfrau gehören zur wachsenden Mittelschicht der bald acht Millionen Einwohner zählenden Metropole. Sie wohnen in einem kleinen Ort vor der Stadt. Häuser sind dort noch bezahlbar, die Luft ist besser und - fast am wichtigsten - die Großeltern leben dort und können auf die bald dreijährige Tochter aufpassen. Denn durch den Verkehr sind die Eltern inklusive Arbeit jeden Tag mindestens zwölf Stunden unterwegs, manchmal auch 14 oder 16.  

Hanoi ist typisch für die schnell wachsenden Städte Südostasiens. Die Infrastruktur und das Transportsystem können den Zuwachs kaum bewältigen. Der in der thailändischen Hauptstadt Bangkok lebende Experte für Stadtentwicklung Yap Kioe Sheng fasst die Probleme im Gespräch mit der Deutschen Welle zusammen: "Es gibt die Luftverschmutzung, den Lärm, einen unnötigen Treibstoffverbrauch und es gibt ein Zeitproblem. Das Zeitproblem ist natürlich ein wirtschaftliches, aber vor allem ein soziales. - Wenn du deine Kinder kaum siehst, was für eine Art Familienleben gibt es dann noch?"

Thang auf dem Weg zur Arbeit. In den Vororten ist der Verkehr noch harmlos.Bild: Xuan Thang Nguyen

Statussymbol Auto

Und die Verkehrsprobleme in Hanoi werden sich weiter verschärfen, ist der Verkehrsexperte überzeugt. Es werde so kommen wie in Bangkok, wo heute über acht Millionen Menschen leben, die immer mehr Autos kaufen. "Was macht die neue Mittelschicht?", fragt Yap rhetorisch. "Sie kauft Autos und das ist ein Desaster." Denn die Straßen Bangkoks und Hanois sind schon mit Millionen von Rollern, Mopeds und Tuk Tuks völlig verstopft. Wenn diese alle durch Autos ersetzt werden, geht nichts mehr. In Bangkok, das Hanoi in der Stadtentwicklung vielleicht 15 Jahre voraus ist, so Yap, hat der Autoboom zu Dauerstaus geführt.

Die große Begeisterung für Autos erklärt Yap unter anderem mit dem wirtschaftlichen Aufstieg der Länder. "Das klingt ein wenig herablassend, aber wir müssen auf die Familien der Mittelklasse blicken. Die Eltern waren Bauern oder hatten ein kleines Geschäft und jetzt können die Kinder sich ein Auto leisten. Es ist natürlich immer prestigeträchtiger mit einem Auto im Stau zu stehen als in einer U-Bahn zu fahren." Dieser Trend werde sich so schnell nicht aufhalten lassen.

Nichts geht mehr. Kilometerlange Autoschlangen in Bangkok.Bild: AFP/Getty Images/S. Khan

Tatsächlich hat Thangs älterer Bruder vor kurzem das erste eigene Auto der Familie gekauft. Es ist ein Statussymbol, aber vor allem bietet es einen gewissen Schutz vor den Abgasen, dem Dreck und Lärm. Allerdings braucht er noch länger zur Arbeit als mit dem Roller, da er sich nicht mehr so leicht durchschlängeln kann.

Expertise aus Deutschland

Die offensichtliche Lösung, so Yap, sei der öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Den würden die Menschen aber nur dann nutzen, wenn er erschwinglich, bequem und effizient ist. Ein ÖPNV, den sich die meisten nicht leisten können, oder von dem aus es keinen Anschluss an die Vorstädte und Dörfer gibt, läuft ins Leere, sagt der Experte. Erst ein Netzwerk von effizient ineinandergreifenden Verbindungen macht den Nahverkehr attraktiv.

Genau hier setzt das deutsche Unternehmen IVU Traffic Technologies aus Berlin an. Es ist mit seinen rund 400 Ingenieuren darauf spezialisiert, den Verkehr in großen Metropolen zu managen. "Unsere Systeme unterstützen Verkehrsunternehmen oder Bahnen bei allen Aufgaben", erklärt Frank Nagel von IVU. "Von der Planung der Fahrzeuge, dem Management des Personals über die Steuerung der Flotten bis zur Fahrgastinformation, dem Ticketing und der Abrechnung." Seit mehreren Jahren ist das Unternehmen sowohl in Thailand als auch in Vietnam aktiv.

IVU hat auch das vietnamesische Zugsystem modernisiert. Hier ein neuer Bordcomputer.Bild: IVU

ÖPNV attraktiv machen

In Bangkok war IVU unter anderem beteiligt an der im August 2016 eröffneten "Purple Line". Die neue 23 Kilometer lange Hochbahn, verbindet die nordwestlichen Vororte Bangkoks mit dem Thonburi Distrikt im Zentrum der Stadt. Das gesamte Schnellbahnsystem der Stadt transportiert täglich etwa 250.000 Menschen. Um den Ablauf so reibungslos wie möglich zu gestalten, registriert die Software von IVU das Passagieraufkommen, koordiniert die An- und Abfahrtszeiten der Züge, indem es die Daten an die Systeme zur Signalsteuerung an der Strecke weitergibt. Nicht zuletzt wird den Kunden in Echtzeit angezeigt, wann der nächste Zug eintrifft. So wird der ÖPNV attraktiv.

Soweit ist Vietnam noch lange nicht. Die erste Hochbahn ist noch im Bau. Zurzeit müssen sich die Menschen auf den Bus verlassen. Nagel, der die Situation vor Ort gut kennt, sagt: "Die Busse, die auf den Straßen unterwegs sind, sind veraltet und viel zu wenige für den Mobilitätsbedarf der Einwohner." Ein Bus-Schnellsystem, das vor einigen Jahren unter anderem mit der Unterstützung von IVU gestartet wurde, sei ins Stocken geraten. Besser laufe dagegen das von IVU zusammen mit der Universität für Transport und Kommunikation in Hanoi gegründete Schulungszentrum für Verkehrsmanager. Mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums würden hier moderne Kenntnisse in der Verkehrsplanung, dem Flottenmanagement oder beim Ticketing vermittelt. Nur mit einer umfassenden Verkehrsplanung könne Hanoi den Verkehrskollaps entgehen.

Im Trainingscenter von IVU werden vietnamesische Verkehrsmanager fortgebildetBild: IVU

Gute Zukunft?

Thang ist skeptisch, was die Modernisierung des ÖPNV in Vietnam betrifft. Die Busse sind nicht nur veraltet, unpünktlich und chronisch überfüllt, sondern haben auch einen schlechten Ruf. Sie gelten als Eldorado für Taschendiebe. Nur arme Leute, Schüler und Studenten, die keine Wahl haben, nutzen den Bus. Wenn sich das ändern würde, könnte er sich aber durchaus vorstellen, mit Bus und Bahn zur Arbeit zu fahren.

Yap sieht keine Alternative zu Ausbau und Verbesserung des ÖPNV. "Ich lebe seit 30 Jahren in Bangkok. Ich habe erlebt, wie der Skytrain und die U-Bahn den Betrieb aufgenommen haben. Das funktioniert sehr gut. Sie haben die Verkehrsprobleme zwar nicht gelöst, aber ohne sie wäre es ohne Zweifel noch schlimmer." Und er blickt durchaus optimistisch in die Zukunft. "Ich sehe viele junge Leute, die den öffentlichen Nahverkehr wie selbstverständlich nutzen. Ich hoffe, dass sich daraus eine dauerhafte Kultur entwickelt."