Ein warmes Essen für Arme
17. Dezember 2008Noch nie sind in den USA so viele Menschen auf Lebensmittelhilfe angewiesen gewesen wie heute. Jeder zehnte Amerikaner hat nach Angaben der US-Regierung im September Lebensmittelmarken beantragt. Das hat es seit Beginn des Hilfsprogramms in den 60er Jahren nicht gegeben. Doch bei ständig steigenden Preisen reichen selbst die Lebensmittelmarken oft nicht für eine warme und nahrhafte Mahlzeit am Tag bis zum Monatsende. Hilfe bieten hier karitative Einrichtungen wie "Miriam's Kitchen“ in der Innenstadt von Washington, DC. Dort gibt es jeden Morgen von Montag bis Freitag ein Frühstück umsonst. Das geht aber nur, weil die meisten Lebensmittel gespendet werden - und die Helfer ihre Arbeit freiwillig leisten.
Einmal im Monat Küchenhilfe
Einer von ihnen ist Campbell Graeub. Er ist in der Schweiz geboren, lebt aber schon seit 60 Jahren in den USA. Campbell Graeub steht in der Küche im Kellergeschoss der Western Presbyterian Church und schneidet Melonen. "Ich liebe es, den frischen Fruchtsalat zu präparieren. Ich habe auch andere Arbeiten gemacht, aber gewöhnlich arbeite ich mit den Früchten.“ Zuhause stehe er höchstens am Grill, da sei für das Kochen seine Frau Joy zuständig. Aber einmal im Monat kommt der 75-Jährige morgens zu "Miriam's Kitchen“. Die gemeinnützige Organisation darf die Küche und den großen Aufenthaltsraum der Kirche für ihre Arbeit nutzen.
Hauptsache gesundes Essen
Es herrscht Betriebsamkeit in der professionell eingerichteten Küche. Würstchen werden geschnitten und gebraten, Nudeln gekocht. Denn das Frühstück besteht nicht nur aus Brötchen und Kaffee, Müsli und Saft. Montags, mittwochs und freitags gebe es Essen, das mit Eiern zubereitet wird, also Omelett, Crepe oder Rührei oder Ei-Schinken-Sandwich, sagt Küchenchef Steven Badt. "Es gibt immer etwas mit frischen Früchten - Obstsalat oder ein Smoothie", erzählt er. "Und es gibt immer auch Gemüse.“
Die Gäste von "Miriam's Kitchen“ sollen ein gesundes und leckeres Mahl erhalten. Für viele der überwiegend obdachlosen Männer, die hier essen gehen, ist es die einzige warme Mahlzeit am Tag. Mehr als 36 Millionen Amerikaner, so die neueste Zahl vom US-Landwirtschaftsministerium, können sich nicht darauf verlassen, dass sie jeden Tag eine warme Mahlzeit haben.
Deshalb kochen Steven und seine Mitarbeiter selbst - alles "sehr ausgewogen und nahrhaft." Wenn jemand zum Beispiel 400 Donuts spenden wolle, dann werfe er die weg, genauso wie Kekse und Kuchen. "Das ist alles Junk Food", sagt Steven. Die Jungs würden den restlichen Tag sowieso meist Junk Food essen, also sollten sie wenigstens hier ihren Tag mit einem vernünftigen Essen beginnen, so der Küchenchef.
Lange Warteliste für die Freiwilligen
Mehr als 63.000 Suppenküchen oder andere Einrichtungen, die sich um Bedürftige kümmern, gibt es in den USA. Sie funktionieren, weil Menschen sich und ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Freiwilliger bei "Miriam's Kitchen“ zu werden, ist nicht einfach. Insgesamt arbeiten hier 1500 Männer, Frauen und Jugendliche. Sie kommen einzeln oder in Gruppen, mit ihren Kirchengemeinden, Kollegen oder Klassen. Die Warteliste ist lang. Nur, wenn jemand wegzieht oder aus anderen Gründen mit der Arbeit aufhört, rücke ein anderer nach, erklärt Steven.
Heute führt Ashley das Kommando. Sie ist wie Steven eine von 14 Festangestellten bei "Miriam's Kitchen“. Die Einrichtung muss mit einem jährlichen Etat von einer Million Dollar auskommen und sich fast ausschließlich aus Geld-, Sach- und Lebensmittelspenden finanzieren. Im letzten Jahr wurden davon zum Beispiel fast 53.000 Mahlzeiten serviert.
Kosmetik und Rechtsberatung
Ohne die Freiwilligen könnte "Miriam's Kitchen" gar nicht existieren, sagt Ashley. Und es gebe ein gutes System hier: "24 Leute sind jeden Morgen eingeteilt. Dann kann man davon ausgehen, dass 18 bis 20 Leute kommen." Denn bei einigen kommt immer mal was dazwischen oder sie sind verreist. Die Freiwilligen sind ehemalige Mitarbeiter der Weltbank, pensionierte Diplomaten oder Hausfrauen. Sie kommen aus allen Berufen und Schichten.
Dell war früher Versicherungsvertreterin. Bei „Miriam's Kitchen“ hilft sie nicht nur in der Küche. "Ich bin die Spa-Day-Lady. Ich mache Maniküre und Kosmetik, aber nicht nur für Frauen." Es gebe so viele Männer, die in Obdachlosenheimen leben und dort keine Nagelschere besitzen dürfen, weil sie zu spitz ist. Gerade sie würden diesen persönlichen Service sehr genießen.
Adam Rocap ist für alle anderen Dienstleitungen zuständig, die "Miriam's Kitchen" neben dem Frühstück bietet. Wichtig sei es, diese Angebote direkt in den Speisesaal zu bringen. Denn für viele Menschen sei es ein großes Problem, wenn sie in dem einen Stadtteil zu ihrem Psychiater gehen und dann ganz woanders einen anderen Arzt aufsuchen müssten. "Je mehr wir also hierher bringen können, umso besser. Wir haben auch Freiwillige, die zum Beispiel Haare schneiden, ein Psychiater kommt hierher und eine rollende Arztpraxis." Und es gebe Partnerschaften mit anderen Hilfsorganisationen, die zum Beispiel rechtliche Beratung anbieten.
"Jeden kann es treffen"
Ursachen für Obdachlosigkeit gibt es viele. Der Verlust des Arbeitsplatzes, eine Krankheit, die die Ersparnisse auffrisst oder auch die Trennung vom Partner. Das Nationale Zentrum für Obdachlosigkeit und Armut schätzt, dass jedes Jahr rund 3,5 Millionen Amerikaner obdachlos sind - manche für kurze Zeit, andere länger. Weil es jeden treffen kann, kommt auch Jeanette zu Miriam`s Kittchen. "Das Leben meint es sehr gut mit mir und meiner Familie. Aber die Menschen, die hierher zum Essen kommen, sind nicht so viel anders als wir." Jeder könne den Job verlieren und sich in der gleichen Situation wieder finden. Und alle, die es sich leisten könnten, sollten sich die Zeit nehmen, um den anderen zu helfen, damit die wenigstens ab und zu eine warme Mahlzeit bekämen.
Einer der besseren Plätze
Um acht müssen die Tische im Aufenthaltsraum abgeräumt werden. Auch das erledigen die Freiwilligen. Mr. C. hat es heute wieder gut geschmeckt. Der korpulente Mann mit der roten Mütze ist seit vielen Jahren Gast bei "Miriam's Kitchen“ und er kennt sich aus. "Das ist einer der besseren Plätze, zu denen man gehen kann, wenn man obdachlos ist. Besonders, wenn man etwas Gutes essen möchte.“
Mr. C. hat inzwischen Arbeit gefunden und kann bei einem Freund auf der Couch schlafen. Er hofft, bald so viel zu verdienen, dass er sich ein eigenes Zimmer leisten kann. Er komme vor allem wegen des Kunstprogramms nach dem Frühstück, sagt er. Gerade malt er an einem Bild, das man wie ein Mobile aufhängen kann: Ein keines Raumschiff fliegt auf einen grünen Planeten zu. Mr. C. fühlt sich wohl in "Miriam's Kitchen". Denn hier kennt jeder kennt jeden. Für ihn ist es wie in einer großen Familie, sagt er. "Als würde man zur Nachbarschaft gehören."