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"Die politische Aufgabe ist größer"

Dennis Stute27. Januar 2015

Die Milizen in Kobane feiern den Sieg über die Terrorgruppe "Islamischer Staat". Der deutsche Regierungsberater Volker Perthes erklärt, warum diese Symbolik wichtig ist - obwohl sie ein falsches Bild vermittelt.

Kämpfer der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) feiern ihren Sieg (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/Str

DW: Kurdische Milizen kontrollieren nach US-Angaben wieder 90 Prozent der umkämpften nordsyrischen Stadt Kobane. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" habe "durch ihr Versagen in Kobane eines ihrer strategischen Ziele verfehlt", heißt es vom US-Zentralkommando, das den Kampf mit Luftschlägen unterstützt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Volker Perthes: Es ist ein wichtiger symbolischer Sieg. Im vergangenen Sommer sah es so aus, als ließe sich die Expansion des IS nicht stoppen. Insofern ist es wichtig, dass bei einem strategischen Ziel des IS - es gibt in Kobane Getreidesilos und einen Grenzübergang zur Türkei - gezeigt worden ist, dass der IS aufgehalten werden kann. Die Konzentration der Amerikaner auf Kobane hatte genau damit zu tun: Man wollte den Vormarsch an einer sehr sichtbaren Stelle stoppen. Kobane war zuvor überall aufgewertet worden - auch deshalb, weil Journalisten von der anderen Seite der türkischen Grenze so gut zuschauen konnten.

Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: picture-alliance/dpa

Warum ist diese Symbolik wichtig?

Krieg wird auch in den Köpfen geführt. Eines der wichtigen Rekrutierungselemente des IS war die Botschaft: "Wir sind siegreich und das zeigt, dass wir auf der von Gott unterstützen Seite sind." In den IS-Medien wandelt sich seit den ersten Rückschlägen der Diskurs: "Gott verlangt auch Geduld und Ausdauer". Die einfache Botschaft, dass sich niemand dem IS entgegenstellen kann, lässt sich also etwas schwerer verbreiten.

Die USA haben im Kampf gegen den IS seit Anfang August mehr als 5000 Bomben in Syrien und dem Irak abgeworfen. Welchen Effekt hatte das bislang?

Weniger als man vielleicht von 5000 Bomben erwartet. Es hat zwei Effekte gezeitigt: Der eine ist, dass die rasche Ausdehnung des IS gestoppt wurde. Nicht, dass er zurückgedrängt werden konnte. Aber wir sollten nicht vergessen, dass wir im August alle über die Expansion des IS gesprochen haben und darüber, wann er in Jordanien oder Saudi-Arabien steht. Das andere ist, und darauf legen die Amerikaner in ihrer Analyse der Bombenkampagne großen Wert, dass wesentliche Ressourcen des IS getroffen wurden. Dazu gehören insbesondere Ölraffinerien, die es dem IS erlaubt haben, sich zu finanzieren. Es scheint so, dass der IS sich jetzt bemühen muss, über Schmuggel Sprit für die eigenen Fahrzeuge zu kaufen.

In Ländern wie Pakistan oder dem Jemen versuchen die USA bereits seit Jahren, das Terrorismus-Problem aus der Luft zu lösen. Wie lautet Ihre Bilanz?

Sie können Terrorismus nicht aus der Luft besiegen. Sie können ihn so zu einem gewissen Grad bekämpfen, aber der Sieg über den IS oder über Al-Kaida im Jemen ist eine militärische und politische Aufgabe, die nur von den lokalen Akteuren geleistet werden kann. Die politische Aufgabe ist fast größer als die militärische oder, präziser gesagt: Der militärische Teil wird nur erfolgreich sein, wenn er durch glaubwürdige Politik unterstützt wird.

Daran scheint es zu fehlen. Der IS-Vormarsch im Irak gilt als hausgemacht: Der schiitische Ex-Premier Nuri al-Maliki schwächte mit seiner sektiererischen Politik die Armee und trieb die Sunniten dem IS zu. Hat sich die Situation unter dem neuen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi verbessert?

Es ist nicht alles geleistet worden, was zu leisten ist. Ministerpräsident Abadi weiß, wie mir scheint, was notwendig ist und hat ein ernsthaftes Interesse, das auch umzusetzen: eine inklusive Regierung zu bilden und der arabisch-sunnitischen Bevölkerung zu vermitteln, dass der Staat auch für sie da ist. Er hat aber viele Interessen zu bedienen, die das schwierig machen. Das Gesetz zur Dezentralisierung der Sicherheitskräfte etwa ist noch nicht umgesetzt worden, weil die Armee und bestimmte schiitische Parteien sich dagegen wehren. Denn sunnitische Gruppen und die Provinzgouverneure haben zum Teil weitergehende Forderungen, als die Zentralregierung zugestehen möchte. Im Detail steckt der bekannte Teufel.

US-Kampfjets fliegen Angriffe gegen IS-Stellungen (Photo: AP Photo/Hasan Jamali)Bild: picture-alliance/AP Photo/H. Jamali

Lässt sich der IS überhaupt zurückdrängen, solange Schiiten und Sunniten keinen Ausgleich finden und solange in Syrien der Bürgerkrieg anhält?

Es gibt drei wesentliche Bedingungen dafür, dass wir Hoffnung haben könnten, die politische, ideologische und militärische Herausforderung des IS zu bewältigen. Das erste sind glaubwürdige und inklusive Regierungen in Damaskus und Bagdad. In Syrien würde eine solche inklusive Regierung ein Ende des Bürgerkrieges zwischen allen anderen Fraktionen bedeuten. Die zweite Bedingung ist so etwas wie ein politisch-theologisches Alternativangebot aus Saudi-Arabien. Das Land ist in dieser seltsamen Doppelsituation: Einerseits ist es die führende arabisch-sunnitische Macht in der Koalition gegen den IS und greift mit Flugzeugen IS-Stellungen an. Auf der anderen Seite aber liefert es mit seinem wahhabitischen Staats-Islam nach wie vor die wichtigste ideologische Inspiration für den IS und andere Islamisten. Die dritte Voraussetzung ist eine Entspannung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Deren Hegemonialkonflikt enthält viel Sprengstoff für die gesamten regionalen Beziehungen; er befeuert den Bürgerkrieg in Syrien und den Konfessionalismus.

Bei keiner dieser Bedingungen ist derzeit absehbar, ob es irgendwann einmal in diese Richtung geht. Was ist derzeit möglich?

Unter den gegebenen Bedingungen ist möglich, was stattfindet: Die Eindämmung des IS, die Stärkung der gegenwärtigen Regierung in Bagdad und die Unterstützung von Staaten und Regionalregierungen, die mittelbar oder unmittelbar durch eine weitere Expansion des IS bedroht werden. Es gibt inzwischen eine Tendenz bei politischen Akteuren in der EU und in den USA zu sagen: "Wir haben so viel Chaos im Nahen Osten, dass wir am liebsten nichts damit zu tun haben würden. Wir sollten eine Containment-Politik gegen alle Risiken betreiben, indem wir uns etwa gegen Flüchtlinge oder Terroristen abschotten." Die Botschaft, die ich politischen Entscheidern zu vermitteln versuche, lautet, dass uns das nicht gelingen wird. Wir brauchen eine neue Form des Engagements, insbesondere mit dem Libanon, Jordanien, der kurdischen Regionalregierung, dem Irak und auch Saudi-Arabien. Ziel sollte sein, diese Staaten gegen die innenpolitische Herausforderungen des islamischen Staates zu stärken - nicht nur durch militärische Ausrüstung, sondern auch durch Unterstützung beim Umgang mit den Flüchtlingsströmen und durch die Ermutigung zu notwendigen politischen Reformen, um die Bevölkerung gegen die Versuchungen des IS immuner zu machen. Dazu gehört auch, sich weiter um Konfliktlösungen zu bemühen - auch wenn es manchmal aussichtslos scheint, den Bürgerkrieg in Syrien abzukühlen oder bestenfalls zu beenden.

Volker Perthes ist Direktor der "Stiftung Wissenschaft und Politik" und Berater der Bundesregierung. Zu seinen Forschungsgebieten gehören der politische Wandel im Nahen Osten und die sicherheitspolitischen Herausforderungen Deutschlands und der EU.

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