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Politik

Kampf gegen Islamismus im Gefängnis

Esther Felden | Matthias von Hein
7. August 2019

Die Attentäter von Paris, Brüssel und Berlin haben sich im Gefängnis radikalisiert. In Deutschland gehen Politik und Justiz neue Wege, um zu verhindern, dass aus Häftlingen Extremisten werden.

Häftling in einer Gefängniszelle von hinten am Fenster stehend
Bild: picture alliance / dpa

Der von der Decke hängende hölzerne Jesus blickt aus seiner Vogelperspektive auf Milchglasscheiben, die von dekorativen blauen Streifen durchsetzt sind. Dahinter sieht man – ganz schwach - Gitterstäbe durchschimmern. Wären sie nicht da, man könnte glatt vergessen, dass man in der Gefängniskirche der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bochum ist. Das Gefängnis liegt im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW). In NRW gibt es mehr radikale Islamisten als in anderen Teilen der Republik.

Der Raum der Bochumer Gefängniskirche ist groß und hell. Auf dem hölzernen Altar liegt eine aufgeschlagene Bibel, an den Seiten stehen Kerzen. Inzwischen finden hier auch regelmäßig muslimische Gebete statt. Die Tür geht auf, und ein massiger Mann wird hereingeführt. Er ist Mitte, vielleicht auch schon Ende 50: schwarze Baseballkappe, hinten ein kurzer, dünner Zopf, dazu eine Cargohose und Sportschuhe. Er grüßt mit festem Händedruck und schaut seinem Gegenüber in die Augen. Seinen Namen nennt der Strafgefangene nicht. In dieser Geschichte soll er Batuhan heißen.

Jeder vierte Häftling in NRW ist Moslem

Batuhan dürfte in etwa so sein, wie sich die deutschen Behörden den muslimischen Musterhäftling wünschen: Er ist reuig, reflektiert und tolerant. Der gebürtige Türke lebt seit seinem vierten Lebensjahr in Deutschland. Seit März 2014 sitzt er in Haft, verurteilt wegen Betruges. Er habe beruflich mit Autos und Immobilien zu tun gehabt, schildert er. Näher möchte er darauf nicht eingehen.

Batuhan ist einer von rund 16.000 Strafgefangenen, die derzeit in NRW inhaftiert sind. Ein gutes Viertel davon sind Muslime. Zur Mitte dieses Jahres saßen 33 Personen "aus dem islamistischen Spektrum" in nordrhein-westfälischen Gefängnissen ein, teilt das Landesjustizministerium auf Anfrage der Deutschen Welle mit.

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Diese sogenannten Gefährder sind auf verschiedene Anstalten verteilt, damit sie sich nirgendwo geballt zu einer radikale Zelle zusammenfinden können. Auch Bochum gehört dazu. Doch die DW bekommt keinen Zugang zu ihnen. Erlaubt ist nur ein Gespräch mit einem Mann wie Batuhan.

Nationalität und Religion, sagt er, spiele für viele Strafgefangene im Gefängnisalltag eine wichtige Rolle. Auch er selber fand erst hinter Gittern zu Gott, "weil man hier nicht viel hat außer (seinen) Gruppen." 

Gefahr erkannt – aber nicht gebannt

Die Verantwortlichen stellen sich derzeit darauf ein, dass die Anzahl radikaler Islamisten in deutschen Gefängnissen steigen wird. Allein im vergangenen Jahr hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe 855 Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche radikale Islamisten eingeleitet.

Hinzu kommt: Nach der militärischen Niederlage des IS werden in den kurdischen Gebieten Syriens nach Recherchen des öffentlich-rechtlichen Senders WDR mehr als 120 Dschihadisten mit Deutschlandbezug festgehalten. Weitere sitzen in irakischen Gefängnissen in Haft. Sollten sie zurückkehren, wird vielen von ihnen voraussichtlich in Deutschland der Prozess gemacht werden.

Ein kritischer Moment, warnt der bekannte Extremismusforscher Michael Kiefer. "Wenn clevere Kader-Persönlichkeiten zurückkommen, die in ihren Ansichten noch sehr gefestigt sind, dann werden sie mit ihrer Agitation in den Gefängnisse nicht aufhören."

Als Krimineller in den Knast - als Radikaler wieder raus

Der Großteil islamistischer Terrorakte in Europa wurde von Menschen begangen, die sich im Gefängnis radikalisiert hatten. Wie die Attentäter von Paris und Brüssel. Und wie Anis Amri, der im Dezember 2016 mit einem LKW in einen Berliner Weihnachtsmarkt raste und elf Menschen tötete.

Verwüstung auf dem Berliner Breitscheidplatz nach der Amokfahrt des Terroristen Anis Amri im Dezember 2016Bild: picture-alliance/dpa/B.v. Jutrczenka

Mehr als die Hälfte der über 5000 Dschihadisten, die aus Westeuropa in die Kampfgebiete des IS ausgereist sind, hat eine kriminelle Vergangenheit. Viele waren Bandenmitglieder, Drogenhändler oder Diebe. Zu diesem Ergebnis kommt eine 2018 herausgebrachte Studie des Internationalen Zentrums für Radikalisierungsforschung am Londoner King's College.

Die deutschen Gefängnisse versuchen darauf zu achten, dass Extremisten nicht missionieren und keinen Kontakt zu Gleichgesinnten haben. Sie werden in Haft verstärkt beobachtet und von anderen Häftlingen getrennt. Doch sie werden nicht 24 Stunden komplett isoliert. Dass sie versuchen könnten, andere zu beeinflussen, hält der Bochumer Häftling Batuhan für möglich. "Hier drinnen ist es einfacher, jemanden zu überzeugen." Selber erlebt habe er das aber noch nicht, versichert er.

DW-Redakteurin Esther Felden im Gespräch mit Häftling Batuhan, der im Gefängnis zum Glauben fandBild: DW/M. Von-Hein

Leichte Beute für Islamisten

Numan Özer ist davon überzeugt, dass Gefängnisse der perfekte Nährboden für extremistische Gruppen sind. Der junge Jurist mit türkischen Wurzeln arbeitet seit sieben Jahren für die Kölner Initiative "180 Grad Wende", die inzwischen auch mit Bundesmitteln finanziert wird.

Özer besucht seit 2015 regelmäßig die Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen. In vier bietet seine Initiative regelmäßige Gesprächskreise für muslimische Gefangene an. Darin geht es um Regeln für ein gutes Miteinander, um Selbstreflexion und Einsicht. "Die Häftlinge befinden sich in einem Loch, zumindest emotional", berichtet Özer. Damit würden sie zur leichten Beute für Islamisten. Die würden ihnen dann erklären, dass das System schuld an ihrer Lage sei. Manchmal, so Özer, würden Verbrechen regelrecht religiös verklärt.

Nach radikal-islamistischer Lesart führt der Westen Krieg gegen die Muslime. Und im Krieg erlaube es der Koran, Beute zu machen. Mit diesem Argument würden dann Einkünfte aus Diebstahl, Raub oder Drogenhandel kurzerhand zur legitimen Kriegsbeute erklärt und Kleinkriminelle zu Helden stilisiert. "Damit können die Extremisten diese jungen Männer ohne weiteres abholen", glaubt Özer.

Ein gefährliches Szenario: Verzweifelte, aggressive, einsame und oft perspektivlose junge Männer treffen in Gefangenschaft auf Personen, die ihnen einfache Antworten auf sämtliche Fragen präsentieren.

Mustafa Doymus berät die 36 Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen, wenn es um Fragen zum radikalen Islamismus gehtBild: DW/M. Von-Hein

Wie Politik und Justiz vorbeugen wollen

Das haben auch die Verantwortlichen erkannt: Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen setzt vor allem auf Prävention. Inzwischen haben viele NRW-Gefängnisse Integrationsbeauftragte ernannt, damit Häftlinge mit Migrationshintergrund eine eigene Anlaufstelle haben.

Außerdem arbeiten die Haftanstalten eng mit Islamwissenschaftlern wie Mustafa Doymus und Mehmet Bilekli zusammen. Die beiden haben seit 2016 im Auftrag des Justizministeriums knapp 3000 von insgesamt rund 8600 Vollzugsbeamten in NRW geschult. Der Verlust der Freiheit löse bei den Häftlingen zwangsläufig persönliche Krisen aus, die "jeden zum Philosophen machen", sagt Doymus. Manche stellten sich dann auch religiöse Fragen. Es gehe in ihrer Arbeit um die "Sensibilisierung" der Justizbeamten. Damit sie im Krisenfall helfen können. Und damit sie Anzeichen für eine Radikalisierung möglichst früh erkennen - zum Beispiel, wenn sie bei einer Zellendurchsuchung auffällige Schriften und Bücher entdecken. Oder wenn Gefangene auffällige Briefe von außen bekommen.

Innerhalb der radikal-islamistischen Szene existieren Netzwerke, die Häftlingen Briefe und Päckchen ins Gefängnis schicken. Eine vermeintliche Geste der Nächstenliebe - die aber darauf abzielt, die Gefangenen ideologisch zu stärken und neue Anhänger zu rekrutieren.

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Neuland muslimische Gefangenenseelsorge

Nicht nur bei gefährdeten, sondern auch bei bereits radikalisierten Insassen müsse man die Zeit im Gefängnis nutzen, um "ein Einlenken, ein Hinterfragen und eine Distanzierung" zu erreichen, ist Islamwissenschaftler Bilekli überzeugt. Und erinnert daran, dass die Gefangenen "irgendwann wieder auf die Gesellschaft losgelassen werden". Seit ein paar Jahren wächst deshalb auch das Verständnis für die Bedeutung der muslimischen Seelsorge hinter Gittern. "Wenn man hier Beistand und Unterstützung erfährt, kann das eine immunisierende Wirkung haben", glaubt auch Extremismus-Forscher Michael Kiefer.

Für die 36 Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen gibt es 26 Gefängnis-Imame. Alle haben eine Sicherheitsprüfung durchlaufen. Leben können die muslimischen Geistlichen von ihrer Arbeit hinter Gittern bisher nicht. Ganze zehn Stunden pro Woche darf ein Gefängnis-Imam arbeiten, bei einer Bezahlung von 20 Euro pro Stunde. Auch das gilt erst seit 2016, vorher bekamen sie überhaupt kein Geld.

Freitagsgebet in der Justizvollzugsanstalt der Landeshauptstadt DüsseldorfBild: DW/E. Felden

Zum Vergleich: Evangelische und katholische Seelsorger werden vom Staat bezahlt, arbeiten hauptamtlich und können sich ganz auf ihre Arbeit im Gefängnis konzentrieren. Die beiden christlichen Kirchen leisten sich in NRW insgesamt 86 Gefängnisseelsorger.

Die Imame bieten persönliche Sprechzeiten an, Freitagsgebete finden alle 14 Tage statt. Wer radikalisiert sei, den könne er mit seinen Botschaften nicht erreichen, gibt der Imam des Gefängnisses in der Landeshauptstadt Düsseldorf offen zu. Auch er konzentriert sich auf die Prävention. 

Der Bochumer Häftling Batuhan nimmt jedes Angebot an, das die Monotonie seines Gefängnisalltags durchbricht. Vorher, in Freiheit, habe Religion in seinem Leben kaum eine Rolle gespielt, sagt er. Was zählte waren Hobbies, Freunde, die Familie. Doch im Gefängnis hatte er auf einmal massenhaft Zeit zum Grübeln. Eingesperrt auf wenigen Quadratmetern mit den eigenen Gedanken. Bis zur Freilassung 2021. Seine neu entdeckte Religiosität werde er sich auch in Freiheit behalten, davon ist Batuhan überzeugt. "Das ist jetzt einmal drin, das geht nicht mehr raus."

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