Putins Schattenflotte: Wie Europa und die NATO gegenhalten
5. Oktober 2025
Die russische Schattenflotte ist ein Netzwerk vor allem älterer Öltanker mit verschleierten Eigentumsstrukturen. Damit umgeht Russland den Ölpreisdeckel, auf den sich die G7-Staaten im Dezember 2022 als Reaktion auf Russlands Überfall auf die Ukraine geeinigt hatten.
Typisch für die Schattenflotte sind häufige Flaggen- und Namenswechsel, das zeitweise Abschalten des Identifikationssystems (AIS) und "Briefkasten-Versicherungen". Die Ladung der Tanker mit Rohöl und Ölprodukten wird in der Regel nicht im Hafen, sondern auf Reede oder in küstennahen Zonen von einem Schiff auf ein anderes gepumpt.
Damit können die Schiffe den von der Preisdeckel-Koalition eingeführten Mechanismus umgehen, dessen dynamische Schwelle in der Europäischen Union und in Großbritannien aktuell bei 47,60 US-Dollar pro Barrel liegt. In der EU ist der Kauf von russischem Rohöl und Ölprodukten grundsätzlich verboten. Daher sind vor allem Indien, China die Hauptabnehmer, aber auch weitere Länder werden beliefert.
Bis zu 1600 russische Schattentanker unterwegs
Schätzungen gehen davon aus, dass mittlerweile mehr als 900 Schattentanker zur russischen Öl-Flotte zählen. Die Zahlen sind zuletzt deutlich gestiegen, der Graubereich wird auf bis zu 1200-1600 Tanker geschätzt. Die EU hat bereits hunderte Schiffe auf eine Sanktionsliste gesetzt, doch solange die Tanker keine europäischen Häfen anlaufen, passiert ihnen nichts.
Ein erheblicher Teil russischer Seelieferungen wurde in den vergangenen Monaten von solchen Tankern transportiert. Zahlreiche betagte Tanker stammen sogar aus der Europäischen Union. Über Strohfirmen werden vor allem Schiffe aus Griechenland an Drittstaaten veräußert. Fachleute fordern seit langem, den Verkauf alter EU-Tanker an Strohleute zu stoppen.
Macrons "Koalition der Willigen" gegen die Flotte
Frankreichs Marine hat in dieser Woche vor Saint-Nazaire den 244 Meter langen Tanker "Pushpa" (alias "Boracay", zuvor "Kiwala") geentert. Laut der Tageszeitung Le Monde hat das Schiff 13 Flaggenwechsel in lediglich drei Jahren hinter sich. Der chinesische Kapitän und der Erste Offizier wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sprach von "schwerwiegenden Verfehlungen" und warb für eine "Koalition der Willigen" gegen die Schattenflotte. Die Flotte generiere dutzende Milliarden Euro für Russlands Kriegskasse und finanziere rund 40 Prozent des russischen Kriegseinsatzes.
Macron fordert nun ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen, um verdächtige Schiffe der Schattenflotte zu blockieren oder wochenlang festzuhalten. So würde sich der Preis für das russische Öl verteuern. "Wenn wir die Schiffe mehrere Tage oder Wochen festhalten, (...) dann zerstören wir das Geschäftsmodell", so Macron. Dies sei ein "wichtiger Schritt, um unseren Druck auf Russland zu erhöhen" und den Kreml an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Im Fall der "Pushpa" stützten die französischen Behörden ihre Maßnahmen auf Zweifel an Flagge und Registrierung des Schiffs. Diese Vergehen zählen zu den wenigen Fällen, in denen laut Seerecht auch Zugriffe auf hoher See möglich sind. Der Tanker, der unter der Flagge von Benin fährt, soll zeitweise auch im Umfeld ungeklärter Drohnenüberflüge über Dänemark aufgetaucht sein, aber ein direkter Zusammenhang ist bislang nicht bewiesen. Mittlerweile haben Tanker und Besatzung ihre Fahrt wieder fortgesetzt.
Welche Gefahren gehen von Russlands Schattenflotte aus?
Schattenflotten-Tanker sind im Schnitt deutlich älter als die reguläre Handelsflotte auf den Weltmeeren und oft unzureichend versichert. Vorwürfe reichen von riskanten Manövern über Fahrten mit abgeschaltetem oder manipuliertem AIS bis hin zu mutmaßlicher Sabotage an Unterseekabeln. Im Fall der "Eagle S" im Finnischen Meerbusen wurde der Besatzung vorgeworfen, mit ihrem Tanker Strom- und Datenleitungen auf dem Meeresboden beschädigt zu haben.
Das Amtsgericht von Helsinki hat allerdings am Freitag (3.10.) die Anklage gegen den Kapitän und zwei Offiziere verworfen. Für den Fall fehle den Behörden Finnlands die Zuständigkeit, außerdem sei kein Vorsatz nachweisbar. Etwaige Fahrlässigkeit müsse vom Flaggenstaat (Cook Islands) oder den Heimatstaaten der Beschuldigten verfolgt werden. Das Verfahren zeigt, wie hoch die Beweis- und Zuständigkeitshürden liegen, sobald Vorfälle außerhalb territorialer Gewässer passieren.
Hohe rechtliche Hürden im Seerecht
Das UN-Seerecht räumt der "unschädlichen Durchfahrt" Vorrang ein. Kontrollen in der ausschließlichen Wirtschaftszone sind nur in engen Ausnahmefällen möglich, etwa bei Piraterie, eindeutigen Umweltvergehen oder Staatenlosigkeit.
In den dänischen Meerengen, die von vielen Schattentankern genutzt wird, gilt zusätzlich die Kopenhagen-Konvention von 1857. Die Konvention schaffte die dänischen Sundzölle ab und gewährt dauerhafte, freie Durchfahrt für ausländische Handelsschiffe durch die Meerengen Öresund, Großer und Kleiner Belt. Ein "verdächtiges" Zickzack über Kabeltrassen reicht daher nicht für eine Kontrolle durch Anrainerstaaten.
Die Vorfälle in Finnland, Estland und Frankreich zeigen gleichwohl, dass immer mehr EU-Staaten Nischen nutzen, um die Tanker trotzdem zu kontrollieren und festzusetzen.
Lässt sich die Schattenflotte finanziell bekämpfen?
Der wirtschaftliche Kampf gegen die Schattenflotte spielt sich auf mehreren Ebenen ab. Die EU setzt auf ein Bündel aus Sanktionen und dem G7-Preisdeckel. Gelistet werden nicht nur Schiffe, sondern auch Eigner, Versicherer und Dienstleister. Zusätzliche Hafenverbote sollen die Logistikkette austrocknen. Doch solange Abnehmer in Asien die Fracht kaufen und der Marktpreis über dem Preisdeckel liegt, bleiben die Umgehungswege für Russland profitabel.
Laut Studien wäre eine bessere Abstimmung der Sanktionsmaßnahmen hilfreich. Je häufiger EU, USA und Großbritannien dieselben Schiffe erfassen, desto deutlicher brechen die Transporte ein. Bislang aber sind die Überschneidungen begrenzt.
Schärfere Hebel an Drittstaaten anzulegen, können ebenfalls helfen. Sekundärsanktionen gegen Raffinerien, Händler und Häfen wirken abschreckend. Die EU ringt politisch derzeit um ein solches Vorgehen, das die US-Seite schon lange fordert.
Was übernehmen EU und NATO gegen Russlands Schattenflotte?
Brüssel hat die Sanktionsschraube angezogen. Mit dem 18. Paket vom 18. Juli 2025 werden nun 444 Schiffe gelistet (+105 Schiffe) und mit Hafen- sowie Dienstleistungsverboten belegt. Ein 19. Sanktionspaket, das weitere Verschärfungen enthalten soll, befindet sich derzeit in der Abstimmung.
Auch militärisch wächst der Druck. Die NATO hat im Januar die Mission Baltic Sentry gestartet, um ihre Präsenz in der Ostsee zu erhöhen und kritische Unterwasser-Infrastruktur besser zu schützen. Auch Anrainer wie Schweden fahren ihre Küstenwachen hoch, nicht zuletzt nach Drohnensichtungen und Kabelvorfällen.
Die EU-Seesicherheitsagentur EMSA (European Maritime Safety Agency) bündelt Satellitenaufklärung und liefert nahezu in Echtzeit Hinweise auf Ölspuren und verdeckte Aktivitäten und unterstützt so gezielte Kontrollen durch die Mitgliedstaaten.
Schließlich haben EU und NATO ihre Abstimmung zur Infrastruktur-Resilienz ausgebaut: Seit 2023 existieren eine gemeinsame Task-Force sowie eine Koordinierungszelle bei der NATO für kritische Untersee-Infrastruktur, die Industrie und Behörden vernetzt. Doch bislang konnten sämtliche Maßnahmen nicht verhindern, dass die russische Schattenflotte profitabel und gefährlich agiert.