Kampf um Berg-Karabach: Sorge und Solidarität
28. September 2020Nachdem Armenien und Aserbaidschan am Sonntag offiziell das Kriegsrecht verhängt haben, bemühen sich internationale Akteure um Deeskalation - darunter auch Armeniens Schutzmacht Russland. Das Außenministerium in Moskau mahnte beide Seiten, Kampfhandlungen sofort einzustellen und Gespräche aufzunehmen. Der russische Präsident Wladimir Putin telefonierte mit dem armenischen Ministerpräsidenten Nikol Paschinjan. Dieser forderte die internationale Staatengemeinschaft auf, eine Einmischung der Türkei, die Aserbaidschan als enger Verbündeter unterstützt, zu verhindern.
UN-Generalsekretär António Guterres verlangte ein sofortiges Ende der Kämpfe in der von beiden Seiten beanspruchten Region Berg-Karabach und mahnte eine diplomatische Beilegung des Konflikts an. Auch Deutschland, Frankreich, Italien und die EU riefen die beiden Kaukasusländer zu einem Ende der Gewalt auf. Der Konflikt könne nur auf dem Verhandlungsweg gelöst werden, erklärte Bundesaußenminister Heiko Maas. Die Bundesregierung steht nach Aussagen von Sprecher Steffen Seibert im Kontakt mit beiden Seiten, um einen Waffenstillstand und sofortige Verhandlungen zu erwirken. Es handele sich um eine "gefährliche Lage", sagte Seibert. Auch die US-Regierung nahm eigenen Angaben zufolge Kontakt zu beiden Seiten auf, um auf ein Ende der Kämpfe zu dringen.
Die Türkei und das Gas
Die Türkei richtete ihren Friedensappell lediglich an die armenische Seite: Sie rief die Regierung in Jerewan auf, Feindseligkeiten gegenüber Aserbaidschan zu beenden. Dem dortigen Präsidenten Ilham Alijew sicherte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan hingegen "verstärkte" Solidarität seines Landes zu. Die Bevölkerungen der Türkei und der früheren Sowjetrepublik Aserbaidschan teilen ethnische und sprachliche Gemeinsamkeiten.
Beide Länder sprechen voneinander als "zwei Staaten, eine Nation" und führen enge wirtschaftliche Beziehungen: Das mehrheitlich von Muslimen bewohnte Aserbaidschan spielt eine Schlüsselrolle im großen geopolitischen Projekt der Türkei, die Abhängigkeit von Russland als Erdgaslieferant zu verringern. Mehrere Pipelines transportieren aserbaidschanisches Erdgas vom Kaspischen Meer über den Kaukasus bis in die Türkei.
Armeniens Außenministerium warf der Türkei vor, etwa 4000 Armeeangehörige von Syrien nach Aserbaidschan verlegt zu haben. Diese würden in Berg-Karabach eingesetzt. Die türkischen Militärexperten kämpften "Seite an Seite" mit Aserbaidschan und setzten Drohnen und Kampfflugzeuge ein, hieß es. Die Regierung in Baku wies die Behauptung über eine türkische Truppenverlegung zurück.
Aufflammen eines alten Konflikts
Die Türkei hatte im Juli mit Drohungen und einseitigen Schuldzuweisungen in Richtung Armenien auf einen Zwischenfall in der nordarmenischen Provinz Tawusch reagiert. Dort waren mehr als ein Dutzend Soldaten getötet worden - bei den ersten schweren Gefechten zwischen beiden Seiten seit einigen Jahren. Zuvor hatte es sogar Hoffnung auf einen Neuanfang im Berg-Karabach-Konflikt gegeben. Die Region wird mehrheitlich von Armeniern bevölkert, wurde jedoch beim Zerfall der Sowjetunion Aserbaidschan zugeschlagen. Anfang der 1990er-Jahre eroberten pro-armenische Rebellen das Gebiet, das sich darauf für unabhängig erklärte. Die Unabhängigkeit wird international nicht anerkannt, die Friedensbemühungen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) blieben erfolglos. Die bislang letzte große Friedensinitiative scheiterte 2010. Seit April 2016 war es verhältnismäßig ruhig.
Am Sonntag folgte die jüngste Eskalation, als beide Seiten einander den Krieg erklärten. Die pro-armenische Regionalregierung vermeldet bislang 32 getötete Kämpfer, von aserbaidschanischer Seite gibt es Angaben über sechs Tote und 19 Verletzte. Zudem sind bereits sieben Zivilisten getötet worden. Aserbeidschan ordnete eine Teil-Mobilmachung an, Armenien hatte bereits am Sonntag alle männlichen Bürger mobilisiert.
ehl/se (dpa, afp, rtr)