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PolitikPolen

Kampf um Medien in Polen: Opposition spricht von "Putsch"

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
21. Dezember 2023

Jaroslaw Kaczynski hat die öffentlich-rechtlichen Medien zum Sprachrohr seiner PiS-Partei degradiert. Die Regierung von Donald Tusk will die Kontrolle zurückgewinnen, stößt aber auf Widerstand. Wer setzt sich durch?

Eine Gruppe von Polizisten steht in er Eingangshalle eines Gebäudes (TVP)
Polizisten in der Eingangshalle von TVP in Warschau am 20.12.2023, nachdem PiS-Politiker das Gebäude besetzt hattenBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Der Informationskanal TVP-Info war acht Jahre lang die Hauptwaffe in dem Informationskrieg, den die bis vor kurzem regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski gegen die demokratische Opposition und alle Andersdenkenden in Polen führte. Die Hauptaufgabe des Senders bestand darin, den früheren Oppositionschef und neuen polnischen Premier Donald Tusk mal als deutschen, mal als russischen Agenten zu diffamieren, um seine Erfolgschancen bei Parlamentswahlen zu mindern. Die Vereidigung der Mitte-Links-Regierung vor einer Woche hat daran nichts geändert - die Hetze gegen Tusk und seine Koalition wurde noch gesteigert.

Die PiS-treuen Zuschauer, für die TVP-Info oft die einzige Informationsquelle ist, erlebten am Mittwoch eine böse Überraschung. Kurz nach 11 Uhr, mitten in einer Sendung, in der es um die vermeintlich hinterhältigen Machenschaften der neuen Regierung ging, wurde die Übertragung abgeschaltet. Stattdessen wurde die vom ersten Programm übernommene historische Serie "Krone der Könige" ausgestrahlt. Auch die Internetseite des Senders war plötzlich verschwunden.

Polens neue Regierung unter Premier Donald Tusk (vorne re.) bei ihrer Vereidigung am 13.12.2023Bild: Pawel Supernak/PAP7dpa/picture alliance

Kurz zuvor hatte der Kulturminister Bartlomiej Sienkiewicz mitgeteilt, dass er am Vortag die Vorstandschefs und die Aufsichtsräte von Telewizja Polska, Polskie Radio sowie der Nachrichtenagentur Polska Agencja Prasowa (PAP) abberufen und durch neue Führungspersonen ersetzt hatte. Die drei Medien sind Aktiengesellschaften in 100-prozentigem Staatsbesitz. Der Kulturminister handelte folglich als ausführendes Organ des Eigentümers. Der neue TVP-Intendant ist Tomasz Sygut, ein erfahrener Journalist, der bis 2015 beim Sender gearbeitet hatte. 

Parlament fordert Medien-Reform

Bereits am Dienstag hatte die Mitte-Links-Koalition im Parlament einen Entschluss gefasst, in dem die Regierung aufgefordert wurde, in den öffentlich-rechtlichen Medien "die rechtliche Ordnung, die Objektivität und Redlichkeit" wiederherzustellen. Zur Begründung des Entschlusses hieß es: Diese Medien hätten in den vergangenen acht Jahren Propagandaaufgaben des Regierungslagers ausgeführt und der Gesellschaft auch nach dem Regierungswechsel ein "völlig falsches Bild der Wirklichkeit" vermittelt.

Besetzung des TVP-Gebäudes durch PiS-Politiker am 20.12.2023 in WarschauBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Kaczynskis Nationalkonservative sind nicht bereit, "ihre" Medien kampflos aufzugeben. Sie halten die Entscheidung des Kulturministers für rechtswidrig und sprechen von einem "Putsch" und einem "Attentat auf Medien". Und es bleibt nicht bei Worten.

PiS-Politiker besetzen TVP-Zentrale

Seit Dienstagabend halten sich PiS-Abgeordnete in der TVP-Zentrale in Warschau auf, unter ihnen Parteichef Kaczynski und Ex-Regierungschef Mateusz Morawiecki. Zunächst war von einer "Besetzung" die Rede, später von "parlamentarischer Kontrolle". "Wir protestieren, um die Demokratie zu verteidigen, weil es ohne Pluralismus der Medien und ohne starke regierungskritische Medien keine Demokratie gibt", erläuterte Kaczynski seine Motive.

Jaroslaw Kaczynski (Mitte) beteiligt sich an der Besetzung des TVP-Gebäudes am 20.12.2023 in WarschauBild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Der Protest wurde in der Nacht zum Donnerstag fortgesetzt. Mehrmals wurde die Polizei ins Haus gerufen. Bei der Überprüfung der Ausweise sei es zu einem Handgemenge gekommen, meldeten mehrere Portale. Die PiS erhielt inzwischen auch Schützenhilfe von Staatspräsident Andrzej Duda. In einem Interview für Radio Zet nannte Duda die Entscheidung des Kulturministers eine "grobe Verletzung der Verfassung". Das sei "rechtswidriges Handeln, das ist Anarchie", sagte er am Donnnerstag.

Vorbild Viktor Orban

Nach ihren Erfolgen bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl 2015 hatte das rechtspopulistische Lager um Kaczynski die Kontrolle über Medien und Justiz zum Hauptziel ihrer Politik erklärt. Als Vorbild diente Viktor Orbans Medienpolitik in Ungarn. Die Einberufung eines neuen Gremiums im Jahr 2016, des Nationalen Medienrats (RMN), ermöglichte es der PiS, eine personelle Säuberung in den öffentlich-rechtlichen Medien durchzuführen und sie auf Parteilinie zu bringen. Mehr als 200 Journalisten wurden entlassen oder kündigten selbst.

"Freie Medien": Protest gegen die Vereinnahmung der öffentlichen-rechtlichen Medien durch die PiS in Warschau am 10.02.2021Bild: Aleksander Kalka/ZUMA Wire/picture alliance

An die Spitze des TVP wurde Jacek Kurski gestellt - im Jahr 2005 Ideengeber einer Kampagne gegen Donald Tusk. Damals hatten die Mitarbeiter des PiS-Wahlstabs in den Medien das Gerücht lanciert, Tusks Großvater hätte sich einst freiwillig zur deutschen Wehrmacht gemeldet. Die Programmlinie der Hauptnachrichtensendung "Wiadomosci", des polnischen Pendants zur deutschen Tagesschau, war unter Kurskis Aufsicht einfach: die Opposition verdammen, die Regierung loben und Skandale verschweigen.

"Wir haben Propaganda auf einem Niveau betrieben, das schlechter als in den 1970er Jahren ist. Diese Nation wurde gedemütigt", sagte selbstkritisch unlängst Marcin Wolski, ein Mitarbeiter von TVP-Info.

PiS: "Repolonisierung" der Medien

Zur Belohnung wurde Kurski im vergangenen Jahr als Polens Vertreter in die Weltbank nach Washington geschickt, mit einem Jahresgehalt von eine Million Zloty, umgerechnet rund 230.000 Euro - steuerfrei. Am Dienstag wurde er vom neuen polnischen Finanzminister abberufen.

Im Rahmen der "Repolonisierung" der Medien durch die PiS kaufte vor drei Jahren der staatliche Mineralölkonzern Orlen von der Verlagsgruppe Passau mehr als 100 regionale Zeitungen und Online-Portale und verwandelte sie in ein Propagandainstrument. Unabhängige Redaktionen wurden mit Strafprozessen überzogen und bekamen keine Anzeigenaufträge mehr. Im Ranking zur Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen rutschte Polen vom 18. Platz 2015 auf den 57. Platz in diesem Jahr.

Protest gegen die Vereinnahmung von Medien durch die einstige Regierungspartei PiS im Dezember 2021 in Krakau/KrakowBild: Beata Zawrzel/NurPhoto/picture alliance

Ein Dorn im Auge der Nationalkonservativen blieben die privaten Medien, vor allem der Fernsehsender TVN. Ein Versuch, den US-amerikanischen Eigentümer zu verdrängen, scheiterte aber an Präsident Andrzej Duda. Aus Angst vor der Verschlechterung der Beziehungen zu Polens Hauptverbündeten, den USA, legte das Staatsoberhaupt sein Veto ein.

Keine Propaganda mehr

"Die PiS weiß, dass sie keine Chance hat, ihren Einfluss auf TVP zu behalten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie sich mit der Niederlage abfinden muss. Das Ziel dieses politischen Theaters ist es, die Stammwählerschaft zu mobilisieren", schreibt Michal Szuldrzynski in der gemäßigt konservativen Zeitung "Rzeczpospolita".

Ungeachtet des Protests der PiS-Abgeordneten in der TVP-Zentrale bereitet sich die neue "Wiadomosci"-Redaktion auf ihren ersten Auftritt vor. Am Mittwoch um 19:30 Uhr wurde im ersten TVP-Programm keine Nachrichtensendung ausgestrahlt. Stattdessen lud Marek Czyz, der die neuen "Wiadomosci" moderieren soll, die Zuschauer für Donnerstagabend ein. "Wir werden keine Propaganda senden, sondern redliche, professionelle und ehrliche Information anbieten", sagte der Journalist, der TVP-Info 2016 verlassen hatte. "Statt Propaganda-Suppe wird reines Wasser geliefert."

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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