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Politik

Kampf um nach Japan entführte Kinder

Felix Lill
26. Juli 2019

Kindesentführungen durch den Partner nach einer Trennung sind in Japan nicht ungewöhnlich. Meistens haben die Väter das Nachsehen – sogar und trotz anderslautender Abkommen auf internationaler Ebene.

Japan Mutter mit Kind
Die meisten Kindesentführungen in Japan gehen von den Müttern ausBild: YOSHIKAZU TSUNO/AFP/Getty Images

Eigentlich sollte Björn Echternach nach dieser Woche seine beiden Söhne in den Armen halten. Dafür war er von Berlin bis nach Tokio gereist, vor Ort wurde er durch einen Tross japanischer Gerichtsvollzieher begleitet. Drei Termine waren angesetzt, um die Beschlüsse durchzusetzen, die dem 41jährigen Informatiker und gebürtigen Franken das Sorgerecht zusprechen. Doch nach einigen Klopfversuchen, Telefonanrufen und Wartestunden vor der Wohnung der Kinder und der Mutter wurde der Vollzug vorzeitig abgebrochen. "Meine beiden Söhne gelten weiterhin als verschwunden", sagt Echternach am Mittwochabend mit erschöpfter Stimme der DW.

Sein Fazit: "Niemand scheint wirklich zu versuchen, Karl und Johann zu finden." Mittlerweile sind zwei Jahre vergangen, seit Echternach zum letzten Mal seine Kinder gesehen hat, ehe diese von ihrer japanischen Mutter und Echternachs Frau entführt wurden.

"Meine Frau und ich waren Schulfreunde", erzählt Echternach. "Sie ist Japanerin und wuchs im selben Ort in Bayrisch-Schwaben auf wie ich. Irgendwann heirateten wir und lebten zusammen bei Berlin. Aber nach der ersten Geburt stritten wir immer mehr, und irgendwann drohte mir meine Frau: 'Wenn du dich trennen lässt, wirst du die Kinder nie wiedersehen'." Nachdem sich Björn Echternach dennoch getrennt hatte, begann ein Rechtsstreit. Die Mutter forderte das alleinige Sorgerecht, der Vater suchte eine paritätische Lösung.

Björn Echternach mit seinen Söhnen in Deutschland vor ihrer Entführung nach Japan. (Foto des Sohnes zum Schutz bearbeitet) Bild: privat

Ausreise bei Nacht und Nebel

Vor Gericht wurde dem Vater von häuslicher Gewalt bis zu Kindesmissbrauch vieles vorgeworfen. Die offiziellen Gutachten, die der Deutschen Welle vorliegen, wiesen alles davon zurück. Doch als der Mutter nach abgebrochenen Mediationsversuchen dämmerte, dass sie das erhoffte alleinige Sorgerecht nicht bekommen würde, machte diese ihre Drohung an den Ehemann wahr: Noch während des Prozesses und ohne Absprache reiste sie mit den zwei Söhnen Karl und Johann aus und setzte sich nach Japan ab.

Im September 2017 sprach das Amtsgericht Nauen in Brandenburg dem Vater das alleinige Sorgerecht zu. Doch das Urteil hat keine praktische Konsequenz. Björn Echternach hat seit rund zwei Jahren kein Lebenszeichen von seinen Kindern erhalten. Medienanfragen an die Mutter ließen sowohl die japanischen als auch die deutschen Anwälte unbeantwortet.

Eigentlich dürfte es solche Fälle gar nicht geben. Mit dem Haager Kindesentführungsübereinkommen von 1980 verpflichten sich die teilnehmenden Staaten, widerrechtlich entführte Kinder zurückzubringen. Auf großen Druck trat 2014 auch Japan dem Vertrag bei. Allerdings sind die diplomatischen Unstimmigkeiten seitdem eher stärker geworden. Die USA stuften Japan Anfang 2018 als "non-compliant" ein, also als den Haager Vertrag nicht beachtend. An internationalen Fällen sind allein in Deutschland sieben anhängig, bei denen der japanische Elternteil mindestens ein Kind in die Heimat entführt hat. Aus der Schweiz sind es zwei Fälle, aus Frankreich sechs, aus den USA sogar 42. Weltweit sind es 108 Entführungen aus dem Ausland nach Japan, bei denen bisher keine Rückführung gelungen ist.

Wann er sie wiedersehen wird, steht in den Sternen Bild: DW/F. Lill

Verbreitete Praxis innerhalb Japans

Erst diese Fälle aus dem Ausland haben die in Japan verbreitete Praxis der Kindesentführungen wieder stärker in die öffentliche Debatte geführt. Schätzungen gehen davon aus, dass in Japan sechs von zehn Kindern durch die Trennung ihrer Eltern den Kontakt zum Vater (die meisten Fälle) oder der Mutter völlig verlieren. Fast immer geschieht dies ohne das Einverständnis des zurückgelassenen Elternteils. Rund 150.000 Kinder werden demnach jedes Jahr in Japan bei Trennungen entführt.

Zumeist ist es die Mutter, die mit den Kindern oder dem Kind auszieht, und danach das Sorgerecht erhält, weil die Kinder bei ihr wohnen. Und Sorgerecht bedeutet gleichzeitig, dass die Mutter dem Vater den Umgang mit den Kindern verwehren darf. Oder dass die Behörden es nicht umsetzen wollen oder können, wenn der Vater das Recht zum Umgang erhält.

Scheidungsanwälte raten ihren Mandanten, die ihren Partner nicht mehr wollen, ihr Kind aber schon, ganz offen zu folgendem Ablauf: Zuerst mit dem Nachwuchs verschwinden, dann gegen den Ex-Partner Anzeige auf Missbrauch erstatten, und zuletzt mögliche Gerichtsentscheidungen einfach ignorieren, die einen Umgang des Ex-Partners mit dem Kind sichern sollen. Denn in Japan ist keine Behörde imstande, die Einhaltung solcher Urteile auch durchzusetzen.

In einer solchen Klasse könnten auch Karl und Johann sein - ohne dass der Vater davon erfährtBild: picture-alliance/NurPhoto/R. Atrero de Guzman

Bürokratische Hürden unüberwindlich

Das musste auch Björn Echternach schmerzlich erfahren. Anders als die meisten ausländischen Eltern hat er vor japanischen Gerichten in mehreren Instanzen Recht bekommen. Im Dezember 2018 beschloss das Tokioter Familiengericht einen indirekten Vollzug des Haager Abkommens, wodurch die Mutter durch jeden verstrichenen Monat, den sie ihre zwei Kinder nicht an den Vater übergibt, Strafgeld zahlen muss. Nachdem über drei Monate weder gezahlt noch die Kinder übergeben wurden, entschied das Gericht im März auf einen direkten Vollzug.

Dieser hätte nun in Tokio erfolgen sollen. Allerdings war das Vorhaben von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die japanischen Gerichtsvollzieher sind nämlich trotz rechtskräftigen Urteils nicht befugt, die Kinder ohne Zustimmung der Mutter mitzunehmen. So blieb Echternach nur die Möglichkeit, nun noch eine Vermisstenanzeige in Japan aufgegeben.

Dass Kinder beide Eltern brauchen, wird in Japan oft missachtet Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/T. Yoshida

"Japan verletzt die Rechte von Eltern und Kindern"

"Was mich am traurigsten macht, ist der Gedanke daran, dass Karl und Johann sich manchmal einsam fühlen, und ich dann nicht für sie da sein kann." Manchmal denke er darüber nach, sagt er, was für eine Version der Trennung wohl bei den Kindern angekommen ist. "Wahrscheinlich hat ihre Mutter ihnen entweder gesagt, dass ihr Vater sie nicht mehr liebt, oder dass er tot ist."

Bis auf weiteres kann der Vater erst ab der Volljährigkeit der beiden Söhne in 15 beziehungsweise 16 Jahren mit ihnen Kontakt aufnehmen, ohne mit der japanischen Polizei in Konflikt zu geraten. Für die Zwischenzeit hat sich Björn Echternach geschworen, jede Stunde, die er sonst mit seinen Kindern verbracht hätte, dem Kampf für die Rechte betroffener Eltern und Kinder einzusetzen. Er hat mit anderen Eltern den Verein "Japan Child Abduction" gegründet, der über die Entführungen informiert, Rechtsberatung gibt und bei Regierungen vorstellig wird. "Es ist alles, was wir tun können, aber das müssen wir tun. Japan verletzt die Rechte der Eltern und vor allem die der Kinder."

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