1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Erdogans Traum - Istanbuls Albtraum

Daniel Derya Bellut
1. Januar 2020

Der türkische Präsident Erdogan will einen zweiten Bosporus schaffen. Der Schaden für Wirtschaft und Umwelt wäre enorm. Darum will Istanbuls Bürgermeister Imamoglu den Bau verhindern. Es tobt ein erbitterter Machtkampf.

Türkei Istanbul - Bosporus Kanal
Bild: Getty Images/C. McGrath

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist bekannt für seine Vorliebe für gigantomanische Bauprojekte in Istanbul: Einen neuen Flughafen, die größte Moschee der Türkei oder einen Tunnel, der unter dem Bosporus verläuft - das alles hat er in kürzester Zeit aus dem Boden stampfen lassen. Doch diese Prestigeobjekte sind nichts im Vergleich zu seinem neuesten Bauvorhaben: dem Kanal Istanbul.

Die türkische Regierung plant nichts Geringeres als die Erschaffung eines zweiten Bosporus - eine Kopie der Meerenge, die sich mitten durch die 16-Millionen-Metropole Istanbul schlängelt. Im Westen der Stadt soll der künstlich angelegte 45-Kilometer-Kanal parallel zum Bosporus entstehen und das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden. Man wolle den intensiven Schiffsverkehr auf dem Bosporus entlasten und Unfälle vermeiden, heißt es aus Regierungskreisen.

Bereits im Jahr 2011 begannen die Planungen für das Projekt, dann stagnierten sie jahrelang. Doch jetzt hat die türkische Regierung die Pläne wieder ausgekramt. Erdogan kündigte an, dass bald die Ausschreibung für den Kanalbau beginnen werde. Das Ministerium für Umwelt und Städtebau hat die Umweltverträglichkeit des Bauvorhabens geprüft und "positiv" eingeschätzt.

Gegenwind von Bürgermeister Imamoglu

Doch die Realisierung von Erdogans jüngstem Mega-Bauprojekt wird erschwert, weil sich die Machtverhältnisse in der Bosporus-Metropole im Juni verändert haben. Seitdem ist der Sozialdemokrat Ekrem Imamoglu von der CHP Bürgermeister und somit Herr über die Stadtkasse - und der erste Bürgermeister seit 25 Jahren, der nicht Erdogans Partei AKP angehört. Er stemmt sich gegen den geplanten Bau.

Imamoglu bezeichnet das Projekt als "Verrat an Istanbul" und als "Mordprojekt" und verspricht: "16 Millionen Menschen werden sich widersetzen." Den Worten ließ er Taten folgen: Er kündigte ein Protokoll über Zusammenarbeit, das die vorherige Stadtverwaltung mit der Regierung vereinbart hatte.

Gegen das "Mordprojekt": Istanbuls Bürgermeister Ekrem ImamogluBild: picture-alliance/AP Photo/L. Pitarakis

Die Ablehnung des Istanbuler Bürgermeisters, aber auch von Stadtbewohnern und Wissenschaftlern, liegt vor allem in den hohen Baukosten und schweren Umweltbedenken begründet.

Das Projekt könnte erhebliche Auswirkungen auf die Natur der Region haben, sagt Umweltexperte Doganay Tolunay von der Universität Istanbul. Der Kanal werde wichtige Wasserressourcen verbrauchen, denn dort, wo er verlaufen soll, werden die Wasservorräte Istanbuls gespeichert. Er gefährde auch das komplexe Ökosystem der Region. "Die Dünenlandschaften im Norden der Stadt beheimaten geschützte Wälder, Bäche und Weiden, die wichtig für das Ökosystem sind und hunderte Pflanzen- und Tierarten beheimaten", warnt Tolunay. Eine gravierende Störung des Ökosystems hätte möglicherweise ökonomische Folgen: "Fischer im Schwarzmeer und Landwirte müssten die Region verlassen."

Mega-Projekt mit Mega-Kosten

Hinzu kommen die enormen Baukosten. Offiziell ist von umgerechnet 11,5 Milliarden Euro die Rede. Doch Experten rechnen mit viel höheren Kosten für den neuen Kanal. Das Projekt werde "auf dem Rücken der Steuerzahler" verwirklicht, lautet daher die Kritik der größten Oppositionspartei CHP.

Besorgte Bürger - hier bei Eingaben gegen das Projekt Kanal Istanbul in Izmir Ende Dezember 2019Bild: DHA

"Das Projekt entbehrt jeder wirtschaftlichen Vernunft", meint auch der Ökonom Mustafa Sönmez. Der Bosporus garantiere bereits gute Bedingungen für die Schifffahrt und ermögliche ausreichend Durchfahrten.

Erhöhtes Erdbebenrisiko

Kritiker warnen davor, dass der Kanal sich auf die tektonischen Bruchlinien, die sich tief im Istanbuler Boden befinden, negativ auswirken könnte - ein erhöhtes Erdbebenrisiko wäre die Folge. Das Amt für Katastrophen- und Notfallmanagement (AFAD) widerspricht - es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem Erdbebenrisiko und dem Bau des Kanals. Das überzeugt viele Stadtbewohner nicht. Ihre Angst greift Imamoglu auf. Er warnt davor, dass eine Art Insel zwischen Kanal und Bosporus entsteht - acht Millionen Menschen seien durch diese Insellage in einem erdbebengefährdeten Areal "eingeklemmt".

Platz genug für den Schiffsverkehr - Blick über den BosporusBild: picture alliance/prisma

Der Istanbuler Bürgermeister bemängelt auch, dass die Grundstücke entlang dem Kanal bereits an arabische Investoren - darunter Angehörige von Königsfamilien - verramscht worden seien. Erdogans Antwort: "Ist das etwa verboten? Wenn es Hans und George wären, hätte niemand ein Problem damit."

"Der Kanal wird gebaut"

Das Bauprojekt falle überhaupt nicht in den den Verantwortungsbereich von Bürgermeister Imamoglu und der Istanbuler Stadtverwaltung - darauf weist die AKP-Führung immer wieder hin. Denn der Kanal Istanbul sei kein lokales, sondern ein nationales Projekt.

Seit Jahren bezeichnet Erdogan das Projekt als seinen "Traum". Skeptikern bringt er kein Verständnis entgegen. "Ob es denen gefällt oder nicht, Kanal Istanbul wird gebaut", so Erdogan. "Wir werden nicht zulassen, dass Menschen ohne Visionen, die keine Ziele, keine Liebe und Hoffnung für unser Land haben, uns davon abbringen", schwört er. "Wir werden uns niemals mit der bösartigen Agenda der Opposition befassen, weil wir keine einzige Sekunde verschwenden wollen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen