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Kanal oder Bioreservat in Indien?

Ana Lehmann19. Juli 2005

Indien hat sich Großes vorgenommen: Zwischen der Südspitze und Sri Lanka soll ein Schifffahrtsweg gegraben werden. Die Wirtschaft verspricht sich einen Schub - Umweltschützer dagegen fürchten um die Meeresökologie.

Indiens Schifffahrt erhofft sich AufschwungBild: AP

Seit mehr als 140 Jahren gibt es in Indien die Idee, die Ost- und die Westküste des Landes durch einen Schifffahrtsweg zu verbinden. Die neue Fahrrinne soll Frachtschiffen den langen Weg um Sri Lanka herum ersparen und damit die Fahrzeit zwischen indischen Häfen erheblich verkürzen. Rund 550 Millionen Dollar wird der sogenannte Sethusamudram-Kanal kosten.

Verkürzung der Fahrzeit um 36 Stunden

Sethusamudram-Kanal: Geplanter Schifffahrtsweg zwischen Sri Lanka und Indien

Doch erst jetzt wird die Idee in die Tat umgesetzt. Als historischen Tag bezeichnete daher Premierminister Manmohan Singh den Beginn der Bauarbeiten am 2. Juli. In deren weiterem Verlauf sollen die Gewässer bei der Inselgruppe Adams Bridge und der so genannten Palk Strait ausgebaggert werden. Knotenpunkt und neuer Umschlagplatz für Schiffe wird die Hafenstadt Tuticorin im südlichen Bundesstaat Tamil Nadu. Dort wurde auch die staatliche "Sethusamudram Corporation" angesiedelt, die das ehrgeizige Wasserbauprojekt durchführen soll. "Bisher mussten die Schiffe den langen Weg um Sri Lanka herum nehmen", erklärt der Direktor der Kanalbehörde, N.K. Raghupathy. Doch das soll nun anders werden: "Der Hauptvorteil des Schifffahrtkanals ist die Reduzierung der Entfernungen bei Seereisen um 424 Seemeilen", sagt Raghupathy. Damit könnte die Fahrzeit um bis zu 36 Stunden verkürzt werden. Die Schiffe verringern auf diese Weise ihre Ladungs- und Treibstoffkosten.

Schnellere und kürzere Wege beleben das Geschäft. Denn: Wer preiswerter transportieren kann, der kann auch seine Produkte preiswerter auf den Markt bringen. Eine solche Entwicklung könnte den inner-indischen Konsum ankurbeln, hoffen die Initiatoren. Und auch die Exportwirtschaft werde profitieren, meint Raghupathy, weil die indischen Produkte durch niedrigere Preise international konkurrenzfähiger werden. Aus all diesen Gründen geht der oberste Projektleiter davon aus, dass der Kanal nach der geplanten Fertigstellung im Jahr 2008 sofort stark genutzt wird. Im ersten Betriebsjahr rechnen die Betreiber mit 3000 Schiffen, die den Kanal passieren. Eine konservativ Schätzung, glaubt man dem Direktor: "Der Handel zwischen ost- und westindischen Häfen wird sich in vielfacher Hinsicht verbessern, wenn der Kanal entsteht."

Artenreiches Bioreservat

In den kommenden drei Jahren soll nun auf einer Länge von knapp 170 Kilometern eine 300 Meter breite Fahrrinne ausgebaggert werden. Mehr als 80 Millionen Kubikmeter Meeresboden müssen dazu beiseite geschafft werden. Doch diese Aussicht bringt indische und internationale Umweltschutzorganisationen auf die Barrikaden. Denn die Gewässer enthalten eines der artenreichsten Biosphäre-Reservate der Erde. "Das ganze Gebiet zwischen Sri Lanka und Indien ist ziemlich flaches Gewässer", sagt Harald Zindler von der Umweltorganisation Greenpeace International. "Es blüht, die Pflanzen wachsen dort, weil das Sonnenlicht so intensiv ist. Dieses Flachgewässer hat eine ganz besondere Intensität jeder Art von Marinelebewesen."

3600 verschiedene Arten von Meereslebewesen, seltene Korallen, Schwämme und ohnehin schon gefährdete Seekühe und Schildkröten bevölkern die Gewässer. Deren bisher intakte Natur werde durch das Ausbaggern zerstört, warnt Zindler. Und damit nicht genug: Die Frage ist, wohin mit dem ausgegrabenen Meeresboden? Das Baggergut soll nach Informationen von Greenpeace nicht an Land gebracht, sondern in den beiden anliegenden Flachwassergebieten verklappt werden. Man spritzt es über das Wasser und danach setzt sich der Meeressand drauf. "Damit wird auch die Fischbrut und all das, was sie zum Leben braucht, mit Sand bedeckt", sagt Zindler. "Das wird sich nach einer Weile wieder durchgraben, aber mit der Lebenszeit des Kanals wird das immer wieder aufgefüllt und immer wieder beeinträchtigt."

Ängste der Fischer

Mehrere hunderttausend Fischer an der Südküste Indiens fürchten um die Fischbestände und damit um die eigene Existenz. Zusammen mit den Umweltorganisationen lehnen sie das Sethusamudram Projekt ab und fordern die Erhaltung dieser wertvollen Naturressource. Doch laut Regierung wird der Bau des Kanals keine negative Auswirkung auf die Meeresökologie haben. "Wir haben erst verschiedene Varianten des Projekts auf ihre Umweltbeeinflussung überprüft. Und dann haben wir die Variante ermittelt, die so gut wie keine Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht in der Region hat", sagt Projektleiter Raghupathy. Tatsächlich sei die technisch-wirtschaftliche Planung erst nach ökologischen Untersuchungen begonnen worden.

Greenpeace glaubt das nicht. "Solch eine Wasserstraße unterliegt Strömungen von allen Seiten", erklärt Zindler. "Wenn man den indischen Kanal laufend auf einer geplanten Tiefe von zwölf Metern halten will, muss die Rinne immer wieder ausgebaggert werden, rund um die Uhr", so der Umweltexperte. Er verweist auf ähnliche Erfahrungen mit dem Suez-Kanal in Afrika. Doch der habe noch nicht einmal die Querströmung, die an der indischen Südküste herrscht. Zindlers Fazit: "Hier wird ein sehr großer Fehler gemacht. Es ist nicht nur ein einmaliger Eingriff in die Natur, sondern eine Dauerbeeinflussung. Und diese Beeinflussung wird die Fischerei und das Leben unter Wasser sehr stark beeinflussen."

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