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GesellschaftChina

Kann China den Bevölkerungsrückgang stoppen?

William Yang
31. Januar 2023

Chinas Regierung versucht, jungen Menschen Anreize zu geben, damit sie eine Familie gründen. Doch für viele Frauen ist die demografische Krise des Landes noch lange kein Grund, Kinder zu bekommen.

China Peking Familie mit drei Kindern beim Einkauf
Familien mit mehreren Kindern sind in China seltenBild: Andy Wong/AP/picture alliance

Für 2022 verzeichnete China zum ersten Mal seit 60 Jahren einen Bevölkerungsrückgang. Prognosen gehen davon aus, dass sich dieser Trend über die nächsten 30 Jahre fortsetzen wird. Die Regierung versucht mit verschiedensten Maßnahmen, die Geburtsrate wieder zu steigern, sei es durch finanzielle Unterstützung oder anderen Leistungen für Familien.

Viele junge Chinesen, mit denen die DW sprach, blicken jedoch pessimistisch in die Zukunft, eine Haltung, die sich auch in ihrer Einstellung zu Ehe und Familienplanung spiegelt. "Junge Menschen in China haben im Allgemeinen das Gefühl, dass die Zukunft düster aussieht und das Leben anstrengend ist", erzählt die 25-jährige Emma Li, die in Shanghai lebt. "Mit Kindern wird das Leben noch stressiger. Viele haben sich dafür entschieden, in ihrer Familie die 'letzte Generation' zu werden."

Auch die Nachricht, dass die Bevölkerung in China zum ersten Mal seit Jahrzehnten schrumpft, hat ihre Meinung nicht ändern können. "Ich habe mich mit vielen Freunden über Ehe und Kinder unterhalten und viele von ihnen haben keine Lust, dem traditionellen Weg der Familienplanung zu folgen," versichert sie. "Viele junge Menschen in China sind sehr gut ausgebildet und lassen sich nur schwer davon überzeugen, dass junge Frauen auf jeden Fall aus Liebe heiraten, glücklich leben und ein harmonisches Familienleben führen sollen."

Was hält junge Menschen davon ab, eine Familie zu gründen?

Auch das aufreibende Leben in China und die Belastungen des Alltags halten viele davon ab, eine Familie zu gründen. "Lange Arbeitszeiten, unbefriedigende Jobs und die Schwierigkeiten, während einer Inflation mit niedrigem Einkommen zu überleben, machen es uns unmöglich, Kinder großzuziehen", sagt die 27-jährige Cynthia Liu aus Peking. "Wegen der strengen staatlichen Zensur von Büchern, Filmen und sogar Videospielen wissen wir nicht, wie wir unseren Kindern eine glückliche Kindheit geben können. Unser Mitgefühl und Verantwortungsgefühl haben uns weitgehend davon überzeugt, kein neues Leben in diese Welt zu setzen", fügt sie hinzu.

Jahrzehntelang durften die meisten Familien in China nicht mehr als ein Kind bekommenBild: Wang Zhao/AFP/Getty Images

Im Jahr 2021 führte die chinesische Regierung Regelungen ein, um die Zeit, die Kinder mit Online-Spielen verbringen, auf drei Stunden in der Woche zu begrenzen. Die chinesische Behörde für Radio, Film und Fernsehen erließ zudem ein Verbot von Cartoons, die "Gewalt, Blut, Vulgarität und Pornographie" zeigten.

Yun Zhou ist Juniorprofessorin für Soziologie an der Universität von Michigan in den USA. Sie erzählt der DW, dass viele Frauen in China mehr Wert auf die Verfolgung individualistischer Ziele wie eine erfolgreiche Karriere legen. "Die geschlechtsspezifische Diskriminierung auf dem chinesischen Arbeitsmarkt und die extremen Erwartungen, die an Mütter gestellt werden, halten viele davon ab, zu heiraten oder Kinder zu bekommen", erklärt sie.

Mehr Jugendarbeitslosigkeit wegen Corona

Die Lockdownsund die verstärkte Kontrolle durch die Behörden während der Corona-Pandemie hatten ebenfalls spürbare Auswirkungen auf die chinesische Gesellschaft und darauf, wie zuversichtlich die Menschen in die Zukunft blicken. "Die wiederholten Lockdowns in den letzten drei Jahren haben viele Menschen um ihre Ersparnisse und ihr Gefühl der Sicherheit gebracht", erklärt der 26-jährige Adam Wang aus Tianjin.

Die strengen Lockdowns der letzten Jahre haben die Arbeitslosigkeit nach oben schnellen lassenBild: STR/AFP

"Fabriken und Zustelldienste können ihren Arbeitern nicht einmal grundlegende Leistungen bieten. Gleichzeitig bemühen sich immer mehr Menschen um eine Anstellung bei den Behörden, während die Jugendarbeitslosigkeit während der Pandemie einen neuen Höchstwert erreichte", führt er aus. Die schlechter werdenden Konjunkturaussichten haben dazu geführt, dass es immer mehr jungen Menschen schwer fällt, über die Runden zu kommen. "Viele von uns haben einfach nicht die Kapazitäten, um darüber nachzudenken, zu heiraten oder Kinder zu bekommen, weil wir uns noch nicht einmal selbst einen anständigen Lebensstil leisten können."

Die seit 2020 immer wieder über Städte in ganz China verhängten Lockdowns ließen die Zahl der Arbeitslosen zwischen 16 und 24 Jahren im Land ansteigen. Im Dezember 2022 erreichte diese Zahl 20 Millionen. Der chinesischen Statistikbehörde zufolge waren 19,9 Prozent der jungen Menschen im Juli 2022 arbeitslos.

Wie erfolgreich sind die Maßnahmen der Regierung?

Zum letzten Mal ging die Bevölkerungszahl Chinas im Jahr 1961, dem letzten Jahr der großen Hungersnot, zurück. Prognosen zufolge wird Indien China im Jahr 2023 als bevölkerungsreichstes Land der Welt überholen. Die UN gehen davon aus, dass die Bevölkerung Chinas von heute mehr als 1,4 Milliarden bis zum Jahr 2050 auf 1,3 Milliarden und bis zum Jahr 2100 sogar auf unter 800 Millionen fallen wird.

Diese demografische Zeitbombe will die chinesische Regierung mit einer Reihe von Maßnahmen entschärfen, die junge Menschen dazu bringen soll, mehr Kinder zu bekommen. In einigen Städten versprechen die Behörden Familien mit drei Kindern staatliche Hilfen, während andere Unterstützung beim Kauf eines Eigenheims anbieten.

Ob diese Maßnahmen jedoch ausreichen, um genügend Leute davon zu überzeugen, eine Familie zu gründen, bleibt abzuwarten. "Wohlhabende Städte wie Shenzhen und Jinan versprechen Familien mit drei Kindern bis zu 20.000 Yuan (2700 Euro) über drei Jahre, aber ich denke, diese Zuschüsse werden nur Familien beantragen, die bereits mehrere Kinder haben wollen", meint Cynthia Lui aus Peking. "Frauen, die keine weiteren Kinder wollen, können innerhalb von sechs Monaten leicht größere Summen verdienen. Diese Maßnahmen, mit denen Menschen ermutigt werden sollen, mehr Kinder zu bekommen, sind größtenteils nicht mehr als leere Slogans", fügt sie hinzu.

Emma Li aus Shanghai erzählt, dass viele ihrer unverheirateten Freundinnen und Familienmitglieder der Meinung sind, dass die Unterstützung, die die Regierung anbietet, nicht ausreicht, damit Frauen sich für Kinder entscheiden. "Selbst bei den Frauen, die mehr Kinder haben wollen, sind gewöhnlich nicht die Maßnahmen der Regierung ausschlaggebend," sagt sie. "Ich glaube, die Geburtenrate in China wird weiter sinken, aber die Lebensqualität junger Menschen in China wird sich in naher Zukunft verbessern, denn sie werden über mehr Geld verfügen, das sie für sich selbst ausgeben können."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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