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Politik

Kann die SPD von Labour lernen?

Robert Mudge
28. September 2017

Seit Jeremy Corbyn Chef der britischen Labour-Partei ist, geht es mit ihr wieder steil aufwärts. Vielleicht hält er ein Modell für die deutschen Sozialdemokraten im Wählertief bereit.

Bildkombo Jeremy Corbyn Martin Schulz
Jeremy Corbyn (li) und Martin Schulz

Jeremy Corbyn lief in seiner Rede vor den Parteitagsdelegierten in Brighton wieder mal zu Hochform auf. Labour, sagte er, sei jetzt "die politische Mitte" und "zum Regieren bereit". Zum Thema Brexit warf er Premierministerin Theresa May "eigennütziges Gepfusche" vor und sagte, die Labour-Partei sei "bereit, ein neues und progressives Verhältnis zu Europa aufzubauen".

Während Corbyn sich im neuen Glanz der Partei sonnt, können die deutschen Sozialdemokraten von solchem Selbstbewusstsein nur träumen. Bedrückend für die deutschen Genossen ist vor allem, welche Achterbahnfahrt sie in nur wenigen Monaten hinter sich haben: Galten sie lange als abgeschriebene politische Kraft, führte sie Martin Schulz Anfang des Jahres zunächst zu - für ihre Begriffe - ungeahnten Höhen in den Umfragen. Schon bald war es aber mit der Euphorie vorbei. Bei der Bundestagswahl übersprang die SPD gerade so die 20-Prozent-Marke, es war das schlechteste Ergebnis seit Bestehen der Bundesrepublik. Jetzt glauben die Sozialdemokraten, sich nur in der Opposition regenerieren zu können.  

Ihre britischen Parteifreunde kennen das Gefühl nur zu gut. Nach den Hochzeiten unter Premierminister Tony Blair, der dem Land einen neuen, coolen Anstrich verpasste, brachte die Partei Jahre mit inneren Streitigkeiten zu und verlor einen Großteil ihrer traditionellen Wähler. Interessanterweise fielen die guten Labour-Jahre unter Blair auch etwa mit den Zeiten der SPD-geführten Bundesregierungen unter Bundeskanzler Gerhard Schröder in Deutschland zusammen.

Erst nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien erwachte die Labour-Partei langsam wieder aus ihrem Schlummer. Dazu kam noch, dass sich die konservative Regierungschefin Theresa May gründlich verkalkuliert hatte, als sie für den Juni dieses Jahres Unterhauswahlen ansetzte, um die Machtbasis der Konservativen zu verbreitern. Das Gegenteil war der Fall: Die Tories büßten viel von ihrem Vorsprung ein.

Vor allem für junge Leute verkörpern Corbyn und Labour wieder HoffnungBild: picture-alliance/AA/I. Infantes

Wiederaufstieg

Labours Wiederaufstieg ist vor allem Jeremy Corbyn zu verdanken. Er hat aus Mays verwirrender und verwirrter Brexit-Politik Kapital geschlagen. "Corbyn hat es geschafft, Labour als klare Alternative zur amtierenden Regierung hinzustellen. Das ist der SPD nicht gelungen", sagt der Politikwissenschaftler Leopold Traugott von der Denkfabrik Open Europe.

Charlie Lees von der Universität Bath vergleicht die Parteisysteme verschiedener Länder. Großbritannien, sagt er, habe sich in den vergangenen 25 Jahren mehr als jedes andere Industrieland globalisiert. "Den Widerstand gegen eine solche technokratische, globalisierungsfreundliche Politik haben seit Ende der 1990er Jahre alle Parteien zu spüren bekommen, aber vor allem sozialdemokratische Parteien. Die Frustration darüber habe sich aber bei Labour früher gezeigt als bei der SPD, und das habe den Altlinken Corbyn ins Rampenlicht gebracht, den die Labour-Unterhausfraktion gar nicht haben wollte, der aber an der Basis beliebt ist.

Auch Labour ist zwar für den Brexit. Aber der Wunsch nach einem Wandel in Teilen der britischen Gesellschaft scheint der wichtigste Grund für den Wiederaufstieg der Labour-Partei zu sein. Außerdem, so Lees, wirke Corbyn "echt". Sein politisches Angebot greife im Grunde auf die 1970er Jahre zurück, "doch vor allem für eine neue Generation von Aktivisten wirkt das frisch".

Unklare Brexit-Position

Corbyns unklare Position zum Brexit hat ihm bisher wenig geschadet. "Labour ist unglaublich gespalten und schwankt in der Frage ständig hin und her. Aber wenn es keine klare Haltung zum Brexit gibt, lässt sich das auch leichter verteidigen", sagt Traugott. Lees stimmt der Einschätzung zu und meint, als Opposition könne sich Labour  eine unklare Position zum Brexit leisten. Doch habe Corbyn auch das Problem, dass viele EU-freundliche Labour-Anhänger auf ihn gesetzt hätten, jetzt aber merkten, "dass es da auch eine sehr starke Tradition eines linken Euroskeptizismus gibt".

Tony Blair (l.) und Gerhard Schröder rückten ihre Parteien nach rechtsBild: picture-alliance/dpa/J. Eggitt

Kann die SPD etwas vom Wandel der Labour-Partei lernen? Traugott sieht da nur wenig: "In den vergangenen zehn Jahren haben sich Labour in Großbritannien und die SPD in Deutschland von traditionellen Arbeiterparteien in Vertreter des sogenannten Dritten Weges verändert, für den Blair und Schröder standen. Labour hat in dieser Zeit zusammengehalten, und unter Corbyn ist die Partei wieder nach links gerückt. In Deutschland dagegen ist die SPD zur Mitte gerückt, während neben ihr die Linkspartei größer wurde."

Corbyns Erfolg beruht auch darauf, dass er junge Wähler ansprechen konnte, zum Teil über Bewegungen wie Momentum, die nach Lees' Einschätzung "die intellektuelle Kraft hinter dieser mehr kreativen Form von Corbyns Revolution" geworden ist. Doch man müsse solche Organisationsmodelle auch zulassen. Sie unterschieden sich sehr "von den Instinkten der SPD, die mehr in Richtung Befehl und Kontrolle nach traditioneller sozialdemokratischer Art gehen".

Eine sozialdemokratische Revolution?

Schulz, glaubt Traugott, könnte das nicht einfach kopieren: "In Deutschland gibt es einfach nicht den jungen, revolutionären Geist, den es in Großbritannien gibt." Es ist aber die Frage, ob eine Revolution überhaupt eine Antwort auf die Probleme der SPD wäre. Wenn die SPD und andere sozialdemokratische Parteien unter Revolution eine Rückkehr zu ihren Wurzeln und traditionellen Überzeugungen verstehen, könnte es womöglich der richtige Ansatz sein.

"Den sozialdemokratischen Parteien wird vorgeworfen, sie kümmerten sich nicht um ihre eigenen Leute. Deshalb konnten vor allem die populistischen Parteien diese Lücke ausfüllen und die verbreitete Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen", sagt Lees. "Ich glaube, alle sozialdemokratischen Parteien haben nach Mitte der 1990er Jahre unter Blair und Schröder den Blick für das verloren, wofür sie eigentlich da sind." 

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