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Kann KI in zehn Jahren wirklich alle Krankheiten heilen?

28. April 2025

Im Netz macht die Aussage von Chemie-Nobelpreisträger Demis Hassabis die Runde, Künstliche Intelligenz werde schon bald alle Krankheiten heilen können. Was ist da dran?

Auf einem Computer-Tablet ist das Wort "KI" zusehen, daneben liegen eine Spritze, ein Stethoskop und Tabletten.
Kann KI künftig Ärztinnen und Ärzte ersetzen?Bild: Michael Bihlmayer/CHROMORANGE/picture alliance

Angeblich will der Chemie-Nobelpreisträger Demis Hassabis in nur zehn Jahren mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) alle Krankheiten heilen können – so zumindest liest es sich vielfach im Netz.

In der Sendung "60 Minutes" des US-amerikanischen Nachrichtenkanals CBS News war Hassabis zu verschiedenen Dingen rund um KI interviewt worden. Der 49-jährige Brite ist Chef der auf KI spezialisierten Google-Tochterfirma DeepMind.

Zusammen mit einem Kollegen entwickelte er dort das KI-Modell AlphaFold2, mit dessen Hilfe sich die Strukturen praktisch aller bisher bekannten 200 Millionen Proteine vorhersagen lassen. Dafür gewannen die Forscher im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Chemie.

 

"Eines Tages können wir vielleicht alle Krankheiten mit Hilfe von KI heilen"

Proteine erfüllen im menschlichen Körper eine Vielzahl biologischer Funktionen. Kommt es dabei zu Störungen bei Produktion, Struktur oder Funktion, können Krankheiten entstehen.

Im Interview sagte der Nobelpreisträger, die Entwicklung von Medikamenten könnte künftig durch KI auf Monate oder Wochen verkürzt werden. Und weiter: "Ich denke, eines Tages können wir vielleicht alle Krankheiten mit Hilfe der KI heilen."

Moderator Scott Pelley fragte: "Das Ende aller Krankheiten?" Das sei in Reichweite, so Hassabis. "Vielleicht sogar innerhalb des nächsten Jahrzehnts, ich wüsste nicht, warum nicht."

KI revolutioniert die Medizin

Oft könne man anhand der 3D-Struktur eines Proteins abschätzen, welche Funktion es habe, "denn das wissen wir von den meisten Proteinen im menschlichen Körper noch nicht", erklärt die Biochemikerin und Informatikerin Katharina Zweig im Gespräch mit der DW. Die Professorin leitet das Algorithm Accountability Lab an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.

Wenn man die Funktion kenne und sehe, dass bei bestimmten Krankheiten die Proteinstruktur verändert sei, könnte das vielleicht der Grund für diese Krankheiten sein, so Zweig. "Dann könnte man ein Medikament entwickeln, das verhindert, dass ein Protein eine falsche Struktur annimmt."

Früher habe es eine ganze Doktorarbeit gebraucht, um eine einzelne Proteinstruktur zu erkennen, zu berechnen und zu modellieren. "Das dauerte drei bis fünf Jahre. Die KI von Hassabis ist wirklich eine Revolution."

Die Schnörkel und Spiralen in diesem Proteinmodell bestehen aus spezifischen Aminosäuresequenzen, ihre Struktur beeinflusst die Funktion des ProteinsBild: ingimage/IMAGO

Zwar ließen sich Krankheitsursachen in der Regel nicht nur auf einzelne Elemente reduzieren, sagt Florian Geissler, leitender Forscher am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme, IKS der DW. "Aber es gibt sehr viele Beispiele, wo Proteine eine große Rolle spielen."

Laut Geissler ist das Potential für KI-basierte Anwendungen in der Medizin gewaltig. "KI wird in den kommenden Jahren Dinge ermöglichen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können."

Vor der Marktreife von Medikamenten liegt ein weiter Weg

Trotzdem werde man in zehn Jahren aber noch nicht in der Lage sein, alle Krankheiten zu heilen, urteilt Professorin Zweig. Denn es sei gar nicht so eindeutig zu sagen, welche der vielen Proteine eine bestimmte Krankheit auslösen.

"Es gibt ja auch Mutationen, die abnormale 3D-Strukturen haben. Die können zwar statistisch so wirken, als wären sie der Grund für Krankheitssymptome, sind aber harmlos."

Und selbst wenn klar sei, dass eine bestimmte Proteinstruktur zu einer Krankheit führe, folge ein langwieriger Prozess, bevor ein Medikament auf den Markt komme. "Das muss in klinischen Studien erprobt werden, dafür braucht man ausreichend Patienten, das muss genehmigt werden - deswegen wird es aus meiner Sicht nicht so schnell gehen."

Wo KI schon jetzt in der Medizin hilft

Bei bildbasierten Diagnosen auf Grundlage von CT-Scans könne man mit KI-Hilfe deutlich leichter erkennen, ob krankhafte Veränderungen vorliegen, sagt Florian Geissler. KI könne auch bei Fragen nach unerwarteten Nebenwirkungen bei einer Kombination von Medikamenten helfen. Und so zu optimierten Behandlungsmethoden führen.

Zudem könnte KI das Gesundheitssystem entlasten. "KI-Systeme könnten etwa Patientengespräche automatisch zusammenfassen und strukturierte Berichte für die Krankenkasse vorbereiten. Das spart im Gesundheitssystem wichtige Zeit. Hier wird KI eine entscheidende Rolle spielen."

Wird KI bald den Arzt ersetzen?

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Wird KI Medikamente und Behandlungen billiger machen?

Professorin Zweig gibt aber zu bedenken, dass die Heilung von Krankheiten trotz KI-Unterstützung immer große finanzielle Ressourcen erfordert.

"Deswegen werden auch weiterhin nur dort Medikamente entwickelt werden, wo es genügend Patienten mit genügend Geld gibt, um die Medikamente anschließend zu bezahlen."

Warum KI bei den meisten Diagnosen versagt 

Generell ließen sich nur wenige medizinische Diagnosen anhand von klaren Regeln treffen, so Zweig. Ein Beispiel dafür sei Diabetes. "Da gibt es einen ganz klaren Schwellwert und eine klare Messmethode und dann hat man Diabetes diagnostiziert."

Die meisten anderen Diagnosen erforderten aber sehr viel Urteilsvermögen und viel Erfahrung. "Da kenne ich keine KI-Systeme, die das heute schon so zuverlässig  machen, dass sie Ärzte und Ärztinnen ersetzen."

Auch Florian Geissler geht davon aus, dass die Behandlungsentscheidung auf absehbare Zeit eine menschliche Domäne bleiben wird. "Vor allem aus ethischen und rechtlichen Gründen."

Und wohl auch, weil KI-Systeme in der Regel noch eine Art Blackbox sind, wie Geissler es ausdrückt, "wo man etwas hineingibt und dann etwas herausbekommt, aber nicht hundertprozentig versteht, wie es zu dieser Entscheidung kam."

Katharina Zweig drückt es so aus: "Wir können der Maschine beim Lernen und dabei, wie sie ihre Diagnose trifft, nicht zusehen. Wir können also nicht nachvollziehen, ob sie das nach Kriterien tut, die wir auch als Menschen anlegen würden."

Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima, Umwelt und Wissenschaft