Kann man Bolsonaro zum Umweltschutz zwingen?
17. September 2019Kriminelle Banden, die immer schneller den Amazonaswald zerstören und Umweltaktivisten ermorden, während Behörden und die Justiz meist nur zuschauen: Dieses düstere Szenario zeigt der am Dienstag in Sao Paulo veröffentlichte Bericht "Rainforest Mafias" der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). In den nächsten Tagen wird HRW das Papier den Menschenrechtsgremien der Vereinten Nationen vorstellen. Die indigene Politikerin Sonia Guajajara will die Verstöße gegen Menschen- und Umweltrechte auch bei Treffen mit EU-Vertretern und vor dem EU-Parlament ansprechen. "Ich wünsche mir, dass man im Ausland anerkennt, dass Brasilien gegen Menschen- und Umweltrechte verstößt."
Der Druck auf Brasiliens Regierung müsse auch über die Märkte kommen, so Guajajara. "Die Unternehmen müssen in die Verantwortung genommen werden, also die, die kaufen und produzieren." Zudem tritt die Politikerin für die Anerkennung des Begriffs des "Ökozids" ein. "Die internationalen Organisationen müssen den Ökozid als Verbrechen gegen die Menschheit anerkennen. Und wer diese Taten begeht, muss bestraft werden."
Carlos Rittl vom Klima-Think-Tank Observatório do Clima ist überzeugt, dass die Regierung von Präsident Jair Messias Bolsonaro letztlich dem Druck aus dem Ausland nachgeben werde. "Der Druck, der von den Märkten kommen wird, wird der Regierung sehr schmerzliche Lektionen erteilen. Denn man kann nicht morden und abholzen lassen, auf der Basis von Blut produzieren und die Wälder zerstören, und glauben dass die Produkte trotzdem gekauft werden."
Die ehemalige Umweltministerin Marina Silva reagierte auf den HRW-Bericht mit "einer Mischung aus Traurigkeit und Empörung". Unter ihr waren Umweltstandards und Kontrollen erhöht und damit die Abholzung um 80 Prozent reduziert worden. "Jetzt wird in acht Monaten die Arbeit von Jahrzehnten zerstört. Und die Regierung macht dies auf zwei Ebenen: mit einem Diskurs, der die Illegalität stimuliert, und mit einer Reihe von Maßnahmen, die das Gefühl der Straffreiheit erzeugt. Zum ersten Mal überhaupt spricht sich der offizielle Diskurs der Regierung gegen die Politik des Umweltschutzes aus."
Wird der internationale Druck etwas bewirken?
Silva sieht die Chancen gering, mit internationalem Druck etwas auszurichten. "Leider akzeptiert diese Regierung weder internen noch externen Druck. Der Präsident glaubt nicht an den Klimawandel und hat eine Vision wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass man Naturschätze einfach ungestraft zerstören darf."
Der ehemalige Umweltminister und Botschafter Brasiliens in Washington, Rubens Ricupero, erhofft sich jedoch viel von einer Reaktion aus dem Ausland. "Der Druck ist sehr wichtig, ohne ihn wird sich nichts ändern. Und selbst wenn die Regierung darauf negativ reagiert und sagt, sich dem nicht zu beugen, so zeigt die Erfahrung seit der Diktatur doch, dass Druck stets wirkt."
Es sei zu erwarten, so Ricupero weiter, dass die Regierung die Einmischung in interne Angelegenheiten als Angriff auf Brasiliens Souveränität werten werde. "Die Regierungen mögen keinen Druck aus dem Ausland und verteidigen sich stets mit diesem falschen Argument, dass es um die Souveränität geht. Aber je mehr Druck, je größer die Hoffnung, dass sich etwas ändert. Und wenn es wirtschaftlicher Druck ist, umso besser. Denn das wird die großen Wirtschafts-Player wie Exporteure dazu bringen, sich zu bewegen."
Brasiliens Ansehen leidet
Die fortlaufenden negativen Nachrichten über Umweltzerstörung in Brasilien beschädigen Brasiliens Image zusehends, so der Politologe Oliver Stuenkel von der Fundacão Getúlio Vargas. "Brasilien ist gerade der globale Außenseiter, hat Probleme, sein Image zu schützen. Und im Ausland führt es zu Verwunderung, weil gerade die Reaktion Bolsonaros auf die Waldbrände diese globale Debatte überhaupt erst ausgelöst hat."
Der Präsident hatte mit Spott und Ironie auf Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reagiert, man sorge sich um den Amazonaswald. Zudem gab Bolsonaro Nichtregierungsorganisationen eine Mitschuld an den Waldbränden und lehnte internationale Hilfe als Teil einer Verschwörung gegen Brasilien ab. "Bolsonaro steht jetzt willentlich als der Bösewicht in der globalen Klimafrage dar. Da hat er sich verzockt, weil er auf die externe Kritik genauso reagiert hat wie auf die interne, also mit Provokation und Hohn", so Stuenkel. Bolsonaro drohe es nun, von ausländischen Regierungen gemieden zu werden, so Stuenkel. Dies würde Brasiliens globalen politischen Einfluss gefährden. "Es ist möglich, dass Bolsonaro seinen Diskurs jetzt ändert. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Klimapolitik Brasiliens sich ändern wird."
Erste wirtschaftliche Konsequenzen durch Unternehmen
In den letzten Wochen hatten erste Unternehmen Boykotte gegen Brasilien angekündigt. Diese Unternehmen wollen derzeit nicht mit Brasilien assoziiert werden, so Stuenkel. "Und das könnte sich ausbreiten." Allerdings, erklärt Stuenl, sei auch eine andere Entwicklung denkbar. "Der internationale Druck kann im Falle Brasiliens auch dazu führen, dass die Regierung dies nutzt, um ihr nationalistisches Argument noch zu stärken: Das ist ein Komplott gegen Brasilien."
Dies könnte für Bolsonaro intern sogar positive Effekte haben. Schon zu Zeiten als Abgeordneter habe er sich in der Rolle des radikalen Außenseiters sehr wohl gefühlt. "Ich glaube nicht, dass es Bolsonaro stören würde, wenn es noch mehr Produktboykotte geben wird. Das würde ihn in seinen Narrativen bestärken, dass eine kommunistische Verschwörung gegen Brasilien existiert. Also muss man vorsichtig sein, wie man auf diese Anti-Klimapolitik in Brasilien reagiert."