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Kanu-Tour in Argentinien für Umweltschutz

21. August 2021

350 Kilometer von Rosario nach Buenos Aires, sieben Tage auf dem Río Paraná und ein Ziel: die Verabschiedung eines Gesetzes zum Erhalt wichtiger Feuchtgebiete.

Argentinien I Kanutour für Umweltschutz
Angekommen in Buenos Aires - lautstarke Proteste der UmweltschützerBild: Sebastián Pancheri

Eigentlich hat Juan Camelia ja mit Sport nicht viel am Hut. Sein Kanu hat der 32-Jährige gerade einmal seit sechs Jahren, um ab und zu auf dem Río Paraná herumzuschippern und in der Natur zu campen. Jetzt gehört er zu den 70 Fahrern, die mit ihrer spektakulären Aktion für den Umweltschutz in Argentinien für mächtig Furore gesorgt haben. 

Camelia sagt: "Ich bin noch nie in meinem Leben eine solche Strecke gefahren, die meisten von uns auch nicht. Ich bin wahnsinnig kaputt und gleichzeitig sehr glücklich, weil der Zuspruch bei dieser Tour gigantisch war."

Auch Hunde machten bei der Kanu-Karawane durch das Paraná-Delta mitBild: Multisectorial Humedales

Biologen haben sich die Spritzdecke übergezogen, Rechtsanwälte und auch Ärzte. Der jüngste Kanufahrer war 20 Jahre alt, der älteste Teilnehmer stolze 75. Auch ein Chilene war mit von der Partie. Camelia und seine Mitstreiter wollen, dass das sogenannte "Gesetz zum Erhalt der Feuchtgebiete" endlich verabschiedet wird. Damit würden Sumpflandschaften konserviert, geschützt und nachhaltig genutzt werden.

Großer Applaus für die Umweltschützer

Denn nirgendwo sonst in Argentinien lassen sich der Raubbau an der Natur und die Folgen des Klimawandels so gut beobachten wie an dem Delta des Flusses, der sich auf fast 5000 Kilometern von Brasilien über Paraguay bis zur Mündung im Río de la Plata in Buenos Aires schlängelt. Rund 700 Pflanzen- und Tierarten hausen in dem 14.000 Quadratkilometer großen Areal. Ein einzigartiges Ökosystem, das akut gefährdet ist.

Seit 15 Jahren werden im Paraná-Delta systematisch Feuer gelegt, die Feuchtgebiete abgefackelt. Die Kanufahrer protestieren Bild: Multisectorial Humedales

"Die Feuchtgebiete regulieren hier das Ökosystem. Und wenn sie weniger werden, werden auch die Folgen des Klimawandels im Delta wesentlich heftiger ausfallen", sagt Camelia, der als Kommunikationswissenschaftler an der Universität Rosario arbeitet.

Deswegen entstand vor ziemlich genau einem Jahr die Idee, eine Woche lang den Paraná von Rosario bis zur Hauptstadt Buenos Aires mit dem Kanu herunterzupaddeln, um auf die Umweltsünden aufmerksam zu machen - und dies mit einer Kampagne in den sozialen Medien zu verbinden.

"Alle Menschen, die uns gesehen haben, haben applaudiert und uns angefeuert, nicht ein einziges Mal sind wir angegangen worden. Sie haben uns Kuchen geschenkt, Süßigkeiten und Wasser", berichtet Camelia. "Aber viele sagten auch:´Toll, dass Ihr das macht, aber es ist sinnlos, die Politiker werden Euch eh' nicht zuhören´."

Kanufahrer marschieren zum Kongress

Auch Ivo Perugino will, das sich das endlich ändert. Perugino ist seit dem ersten Tag bei der Umweltschutzorganisation "Multisectorial Humedales" dabei, welche die Tour organisiert hat. Für ihn endet die Kanutour nicht etwa am Río de la Plata in Buenos Aires, sondern er ging zu Fuß, die Boote auf den Schultern, weiter bis zum Kongress.

Dort überreichten die Umweltschützer Politikern des Landwirtschaftsministerium eine Petition, die von 380 sozialen Organisationen unterstützt wird: endlich das Gesetz durchzubringen, das im Kongress, auch wegen des Widerstandes der Agroindustrie, seit Monaten auf Eis liegt.

Kanufahrer marschieren mit Umweltorganisationen gemeinsam zum Kongress in Buenos AiresBild: Eduardo Bodiño

"Rechte bekommst Du in Argentinien nicht, indem Du auf Knien darum bettelst, sondern, indem du auf die Straße gehst und sie einforderst. Na gut, in diesem Fall aufs Wasser", sagt Perugino. "Wir haben sogar schon sieben Tage auf Brücken campiert, um den grassierenden Export von landwirtschaftlichen Gütern nach Brasilien und Uruguay zu stoppen, aber wir haben gemerkt, dass wir damit bei den Politikern nicht durchdringen. Daher die Idee, mit dem Kanu bis zum Kongress in Buenos Aires zu fahren."

Paraná-Delta trocknet aus

Wie sehr die Zeit drängt, sieht man daran, dass ein solcher sportlicher Kraftakt schon jetzt kaum noch möglich ist, weil der Pegel des Paraná auf den niedrigsten Stand seit einem halben Jahrhundert gefallen ist.

Kein Wasser: ein Flußarm des Río Paraná am 8. Juli in der Nähe von RosarioBild: Agustin Marcarian/REUTERS

Es ist das Ergebnis einer Agrarpolitik, bei der, so die Kritiker, Profit vor Umweltschutz geht. Für die Viehzucht und den Sojaanbau, die Exportschlager Argentiniens, machen Bulldozer Millionen Hektar an Waldfläche platt. Mehr Landwirtschaft bedeutet allerdings mehr Wasserverbrauch. Standen früher im Paraná-Delta 80 Prozent der Fläche unter Wasser, sind es jetzt gerade einmal 20 Prozent.

"Die Situation um das Delta ist sehr kritisch, beinahe hoffnungslos. Es ist historisch, so wenig Wasser führt der Fluss gerade. Fauna und Flora leiden und das führt als Konsequenz auch zu Risiken für die Gesundheit der Bevölkerung", sagt Perugino. "Es ist eine ökologische Katastrophe, nur noch wenige Feuchtgebiete sind übrig. Und kein Gouverneur, kein Politiker nimmt sich der Sache wirklich an."

Bei den Bränden nur wenig Hilfe vom Staat

Umweltschutz - nicht nur ein Thema, wenn es um die Feuchtgebiete geht. Es gibt auch andere Beispiele. Und immer wieder ist die Zivilgesellschaft involviert und engagiert sich. Als im vergangenen Jahr, mutmaßlich durch Brandstiftung, fast eine halbe Million Hektar Wald in Argentinien abbrannten, trommelten Perugino und seine Mitstreiter in nur zwei Tagen Hunderte Freiwillige zusammen, um das Feuer in der Nähe von Rosario zu löschen.

"Die Politiker kümmern sich mehr um die Interessen der Agroindustrie als die der Bevölkerung" - Ivo PeruginoBild: privat

Die Löschgeräte finanzieren sie durch eine schnell angelegte Spendenkampagne. Und der Staat? "Sie haben uns im ganzen Jahr 15 Feuerwehrbrigaden und zwei Löschflugzeuge geschickt, die quasi gar nichts gebracht haben. In Rosario atmen wir seit einem Jahr Luft ein, die fünf Mal toxischer ist als der menschliche Körper das verträgt, alles Produkt der Brandstiftungen", sagt Perugino.

Große Straflosigkeit im Umweltbereich

Die Brandstifter hinter Gitter zu bringen ist der Job von Enrique Viale. Der Rechtsanwalt hat sich auf Umweltrecht spezialisiert, eine Arbeit, mit der man sich gerade in Argentinien nicht viele Freunde macht. Viale sagt: "Der Bereich in Argentinien, in dem die größte Straflosigkeit herrscht, ist der Umweltbereich. Wenn Du in Argentinien ein Brot klaust, hat das strafrechtlich härtere Konsequenzen, als wenn Du Brandstiftung begehst und Tausend Hektar Wald zerstörst. Letztes Jahr kam dafür kein einziger Mensch hinter Gitter"

"Umweltschutz ist keine Frage der Zukunft, Argentinien spürt schon die ökologischen Konsequenzen" - Enrique VialeBild: privat

Viale konnte sich nie vorstellen, ganz klassisch als Anwalt zu arbeiten, deswegen gründete er 2004 die Argentinische Vereinigung der Umweltjournalisten. Die Kanu-Karawane ist für ihn ein "heroischer Akt", vor allem aber hat Viale nicht mehr das Gefühl, ganz allein auf weiter Flur für die Rettung der Natur zu kämpfen.

"In den vergangenen Jahren gehen vor allem die jungen Menschen in den Ballungsgebieten für den Umweltschutz auf die Straße. Das ist fantastisch, weil wir vorher sehr wenige waren, die sich dafür eingesetzt haben", sagt er. Aber immer noch steckt dieser in den Kinderschuhen, weil man damit in Argentinien keine Wahlen gewinnen kann.

Umweltschutz bei den Politikern in der Agenda weit unten

"Große Teile der Politik haben die Problematik bis heute nicht verstanden. Sie sehen den Umweltschutz immer noch als etwas an, das in der Prioritätenliste ganz weit hinten steht, für sie ist es ein blinder Fleck, über den man nicht debattieren muss", sagt der Anwalt. "Sie sagen, wir müssen erst die soziale Frage lösen und sie übersehen, dass die Verarmung und die Verschmutzung der Umwelt Hand in Hand gehen."

Argentinien: Pinguinkolonien leiden unter Plastikmüll

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Ein weiteres Beispiel dafür war die Umweltkatastrophe in der Nähe von San Juan 2015. In einer Goldmine traten durch ein Leck Millionen Liter Zyanidlösung aus und verseuchten das Trinkwasser. Dank Viale existiert ein neues Bergbaugesetz, Minen können heute bei gravierenden Verstößen gegen die Umwelt geschlossen werden.

Für Enrique Viale ist deshalb auch die Verabschiedung des Gesetzes zum Schutz der Feuchtgebiete ein überfälliger Schritt hin zur Rettung der Natur. "Politiker und Unternehmer zerstören diese Flächen, um dort Wohngebiete für die Reichen zu errichten und verkaufen diese auch noch mit dem Slogan 'Leben in der Natur'. Es ist höchste Zeit, diesem Irrsinn des Extraktivismus einen Riegel vorzuschieben."

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