Kanzler Merz: "2026 ein Moment des Aufbruchs"
31. Dezember 2025
Neujahrsansprachen gibt es in der Bundesrepublik – und gab es in der DDR – seit der Gründung der Staaten 1949. Präsidenten, Kanzler und eine Kanzlerin haben über die Jahrzehnte immer mahnende Worte gefunden, Bilanz gezogen, Herausforderungen beschworen und zum gemeinsamen Handeln aufgerufen. Mal mehr, mal weniger salbungsvoll. Vor allem aber unwidersprochen. Denn ihre eigene Redezeit im Fernsehen, ohne Journalistenfragen oder Widerspruch von den Oppositionsbänken im Parlament, nehmen die Regierungschefs Deutschlands im Regelfall nur einmal im Jahr in Anspruch.
"Das reicht nicht"
Friedrich Merz bildet da keine Ausnahme. In seiner ersten Neujahrsansprache als Bundeskanzler zieht er Bilanz. "Heute endet ein Jahr, mit dem jede und jeder von uns eine ganz persönliche Geschichte verbindet", sagte der Kanzler mit ernstem Blick und meint damit wohl seine eigene Wahl zum deutschen Regierungschef in global umwälzenden und ökonomisch schwierigen Zeiten. Dass seine schwarz-rote Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten nicht so schnell vorangeht, wie angekündigt, deutet er nur an. Wählerinnen und Wähler sind unzufrieden mit der neuen Mannschaft. "Nun werden nicht Wenige sagen: Das reicht nicht; das ist zu wenig; und spüren tut man es auch noch nicht hinreichend. Und ich will Ihnen sagen: Sie haben recht! Das reicht nicht – aber die Bundesregierung hat mit ihrer Arbeit begonnen", bekennt der Kanzler in seiner Ansprache.
Russland gegen Europa
Als Arbeitsauftrag für seine Regierung sieht Friedrich Merz es in den nächsten Jahren vor allem an, das "Fundament der Freiheit" zu erneuern. Das könne nur gelingen, wenn Russlands Krieg gegen die Ukraine und Europa endlich aufhöre. "Doch Russland führt seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit unverminderter Härte fort. Die Ukrainerinnen und Ukrainer werden zum vierten Mal in Folge das Neujahr unter widrigsten Umständen begehen – viele von ihnen ohne Strom, im Raketenhagel, in Angst um Freunde und Familien. Und es ist kein weit entfernter Krieg, der uns nicht betrifft. Denn wir sehen immer deutlicher: Russlands Angriff war und ist Teil eines Plans, der sich gegen ganz Europa richtet. Täglich wird auch Deutschland von Sabotage, Spionage und Cyber-Angriffen überzogen", beschreibt der Bundeskanzler die Lage und versichert gleichzeitig, dass alles getan werde um Deutschland sicherer zu machen. Und das, obwohl sich die Vereinigten Staaten von Amerika von Europa abwendeten. "Wir müssen unsere Interessen noch viel stärker aus eigener Kraft verteidigen und behaupten."
Krieg in Europa, globale Herausforderungen, eine lahmende Wirtschaft und die anstehenden Reformen bei sozialen Sicherungssystemen zeigen für den Bundeskanzler, "dass wir inmitten eines Epochenbruchs leben. Doch ich möchte Ihnen aus tiefster innerer Überzeugung sagen: Wir haben es selbst in der Hand, jede dieser Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen. Wir sind nicht Opfer von äußeren Umständen. Wir sind kein Spielball von Großmächten. Unsere Hände sind nicht gebunden."
Merz: "Nicht verzagen"
Zweck der Neujahrsansprache ist es traditionell einen optimistischen Ausblick auf das kommende Jahr zu geben. Friedrich Merz formuliert es so: "Deutschland ist ein großartiges Land, das sich immer wieder neu erfunden hat, aus Krisen gestärkt hervorging, neuen Zusammenhalt stiften konnte und für alle Bürgerinnen und Bürger eine lebens- und auch liebenswürdige Heimat bietet. Lassen wir uns deshalb nicht von Angst und Verzagtheit leiten, sondern von Zuversicht und dem Glauben an unsere eigene Kraft zur Bewältigung jeder Herausforderung, ganz gleich wie groß sie auch sein mag."
Der Bundeskanzler, der gleichzeitig auch Chef der größten christdemokratischen Regierungspartei ist, spricht es nicht aus, aber ihn beschäftigen wohl auch die vielen Landtagswahlen im Jahr 2026, bei denen die in Teilen rechtsextreme AfD weiter zulegen könnte. Friedrich Merz appelliert an die "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger", den demokratischen Prozessen in Deutschland zu vertrauen. "Ja, sie sind manchmal zäh und streitig. Aber nur so kommen wir zu Ergebnissen, die von einer breiten Mehrheit unseres Landes auch getragen werden." Man müsse sich selbst vertrauen, dass man Probleme lösen können. "Hören wir nicht auf die Angstmacher und auf die Schwarzmaler", fordert der Kanzler von den Menschen in Deutschland, seiner Regierung und sich selbst.
Merkels Vorsatz: Mehr frische Luft
Ob diese erste Merz-Rede zu Neujahr im Gedächtnis bleiben wird, wird man sehen. Die bekannteste aller Neujahrsreden ist eine Panne. 1986 wurde zu Silvester die Rede von Kanzler Helmut Kohl aus dem Jahr 1985 fälscherlicherweise wiederholt. Aus Versehen, entschuldigte sich damals das ARD-Fernsehen. Konservative Politiker witterten jedoch gezielte Sabotage gegen Helmut Kohl. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nach Helmut Kohl die zweitmeisten Neujahrsansprachen hielt, ist vor allem mit dem bescheidenen Satz aus dem Jahr 2013 in Erinnerung: "Ich selbst nehme mir eigentlich immer vor, mehr an die frische Luft zu kommen – auch das sicher ein Klassiker unter den guten Vorsätzen."