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PolitikEuropa

Scholz in Kiew: Per Zug Richtung Geschichtsbücher

Roman Goncharenko
16. Juni 2022

Bei seinem Besuch in Kiew stand Bundeskanzler Scholz wegen verzögerter Waffenlieferungen an die Ukraine stark unter Druck. Am Ende stand der mögliche EU-Beitritt des Landes im Mittelpunkt und machte die Reise zum Erfolg.

Ukraine | Olaf Scholz besucht Irpin
Bild: Marko Djurica/REUTERS

Als Olaf Scholz am Donnerstagmorgen in Jeans und schwarzem Hemd mit kurzen Ärmeln aus dem Nachtzug am Kiewer Hauptbahnhof ausstieg, war ein Ziel seiner Reise bereits erfüllt. Die Tatsache, dass sie überhaupt stattgefunden hat, sei ein Erfolg, so Beobachter. Während andere Staats - und Regierungschefs nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bereits hier waren, ließ sich Scholz viel Zeit - und wurde dafür zu Hause und im Ausland scharf kritisiert.

Der Hintergrund: Verstimmungen wegen einer Ausladung des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bei einer Reise nach Kiew im April. Diese Episode der deutsch-ukrainischen Beziehungen scheint spätestens nach dem Besuch zumindest teilweise überwunden. Scholz war unterwegs mit dem französischen Präsidenten Macron und dem italienischen Premier Draghi, der rumänische Präsident Klaus Johanis kam ebenfalls.

Noch keine Zündschlüssel für deutsche Panzer

Das umstrittene Thema der Waffenlieferungen bleibt. Wer dachte, Scholz würde in Kiew die Zündschlüssel von neuen deutschen Panzern aus der Tasche holen und seine Kritiker überraschen, wurde enttäuscht. Neue Waffenlieferungen hat der Bundeskanzler auf der Pressekonferenz nicht versprochen, obwohl der Bedarf daran in der Ukraine wegen schwerer Kämpfe im Donbas täglich steigt. Er wiederholte die früheren Zusagen: Haubitzen, Gepard-Panzer und Mehrfachraketenwerfer. Lieferzeiten nannte er nicht. Der französische Präsident Macron versprach neue Haubitzen zu liefern, mehr aber auch nicht.

Besuch in Irpin bei Kiew - dem Krieg ganz nahBild: Filippo Attili/ANSA/picture alliance

Ob in Irpin, einem Vorort von Kiew, der im März von der russischen Armee fast vollständig besetzt und stark beschossen wurde, oder auf den Straßen Kiews mit ihren Sandsäcken und vielen Militärs- der Kanzler konnte den Krieg auf seiner Reise weder übersehen noch überhören. Zwar schien in Kiew die Sonne und die Kaffeehäuser waren gut besucht, doch ein Luftalarm erinnerte gleich nach der Ankunft der Gäste an die Gefahr russischer Raketen. Rund fünfzehn würden die Ukraine täglich treffen, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Pressekonferenz auf einer Wiese in der Nähe des Mariinski Palast. Kurz davor heulten die Sirenen wieder auf. 

Politische Unterstützung bei EU-Bewerbung 

Und doch wurde der Besuch ein Erfolg, denn Scholz brachte etwas mit, was Kiew in diesen Tagen ebenfalls dringend braucht. Es geht um die politische Solidarität führender EU-Länder bei der ukrainischen Bewerbung um eine EU-Mitgliedschaft. In der kommenden Woche soll der EU-Gipfel darüber entscheiden, ob die Ukraine den begehrten Kandidatenstatus bekommt.

Die Staats- und Regierungschefs an einem Tisch: Unterstützung für die ukrainische EU-BewerbungBild: Ludovic Marin/AP/picture alliance

Scholz sprach sich in Kiew zum ersten Mal öffentlich dafür aus. Auch die anderen Staats- und Regierungschefs waren dafür. Alle vier signalisierten Unterstützung für die ukrainische EU-Bewerbung und sprachen von einem historischen „Ereignis". Für Kiew sei das das wichtigste Ergebnis des Treffens, so der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba gegenüber der DW. So würden sich einige Länder, die bisher noch skeptisch seien, nicht „hinter Deutschlands Rücken verstecken können", sagte Kuleba. 

"Wacht endlich auf!"

Scholz blieb in Kiew sich selbst treu: er trat nüchtern und sachlich auf. Als Zeichen besonderer Solidarität mit der Ukraine sagte der Bundeskanzler am Ende seiner Ausführungen: "Slawa Ukraini!" ("Ruhm der Ukraine"). Es ist der Ruf ukrainischer Patrioten und ein offizieller Gruß in der ukrainischen Armee.

Ukrainer wie Olexij, der in Wirklichkeit anders heißt, kämpfen mit diesem Ruf jeden Tag gegen die Angreifer, die russische Armee. Olexij war noch von wenigen Tagen an der Front in der Ostukraine und ist kurz zu Besuch in Kiew angekommen. Ob die Aussagen von Scholz und Macron ihn überzeugt haben? "Wir sind für alles dankbar, was wir erhalten haben, für jede Haubitze, jedes Maschinengewehr", sagt der Soldat. Und doch brauche man viel mehr, um Russland zu stoppen. Seine Botschaft an die westlichen Staats- und Regierungschefs: "Wacht endlich auf! Liefert uns alles, war ihr könnt. Das ist auch euer Krieg, denn eure Länder können die nächsten sein." Er bleibt jedoch skeptisch, ob Scholz und seine Begleiter das wirklich verstanden haben.

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