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PolitikUkraine

Kanzler Scholz fordert mehr Luftverteidigung für die Ukraine

11. Juni 2024

Mehr als 60 Länder beraten in Berlin über die besten Wege zum Wiederaufbau der Ukraine. Bundeskanzler Olaf Scholz sagt langfristige Hilfe zu und wirbt für mehr militärischen Schutz, damit weniger Wiederaufbau nötig ist.

Wolodymyr Selenskyj (links) und Olaf Scholz bei der Berliner Hilfskonferenz für die Ukraine
Wolodymyr Selenskyj (links) und Olaf Scholz bei der Berliner Hilfskonferenz für die UkraineBild: Annegret Hilse/REUTERS

Auf der zweitägigen internationalen Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz dafür eingesetzt, die Luftverteidigung der Ukraine gegen russische Angriffe zu stärken. Er rief die Verbündeten auf, eine entsprechende deutsche Initiative "mit allem, was möglich ist", zu unterstützen. "Denn: Der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss."

Die Bundesregierung hatte diese Initiative 2024 ins Leben gerufen, um die Abgabe von Luftabwehrsystemen aus Beständen der Bundeswehr und befreundeter Staaten an die Ukraine zu fördern. Sie trägt das englische Kürzel IAAD ("Immediate Action on Air Defense").

Die Ukraine braucht nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj mindestens sieben Patriot-Luftabwehrsysteme, um das Land gegen russische Angriffe zu verteidigen. "Luftverteidigung ist die Antwort auf alles", sagte Selenskyj auf der Wiederaufbaukonferenz in Berlin. Er dankte vor allem Deutschland dafür, dass es drei Patriot-Systeme zur Verfügung stellt.

Man müsse Russland die Möglichkeit nehmen, die Ukraine fortwährend anzugreifen. Russland ziele vor allem auf die Energieversorgung der Ukraine. Er habe mit Scholz darüber gesprochen, wie man die russischen Gleitbomben besser abwehren könne, erklärte Selenskyj. Russland habe in den vergangenen 24 Stunden 135 solcher Bomben eingesetzt.  Italiens Außenminister Antonio Tajani kündigte bei der Konferenz an, dass Italien bereit sei, ein neues Militärpaket mit Flugabwehr an die Ukraine zu schicken.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts) empfängt seinen ukrainischen Kollegen Wolodymyr Selenskyj in Berlin Bild: Axel Schmidt/REUTERS

Selenskyj warb für mehr Unterstützung beim Wiederaufbau der Energie-Infrastruktur, die "eine der wichtigsten Zielscheiben" für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sei. Durch russische Angriffe seien bereits neun Gigawatt der ukrainischen Kapazitäten zerstört worden - im vergangenen Winter hätten die Spitzen des Energieverbrauchs bei 18 Gigawatt gelegen. 80 Prozent der Kapazitäten für die Wärmeerzeugung und ein Drittel für die Wasserkraft in der Ukraine seien im Auftrag Putins vernichtet worden; dieser ziele auch auf Gasspeicher.

Selenskyj im Bundestag

Der ukrainische Präsident dankte Deutschland für die Unterstützung seines Landes nach dem russischen Überfall. Die Ukraine führe diesen Krieg auch im Interesse von ganz Europa, sagte er in einer Rede im Deutschen Bundestag. Dabei forderte er, dass Russland die volle Verantwortung für den Krieg übernehmen müsse. Dazu gehöre auch, dass Moskau den gesamten Schaden zu bezahlen habe. Präsident Putin müsse diesen Krieg verlieren.

Wolodymyr Selenskyj spricht zu den Abgeordneten im BundestagBild: Axel Schmidt/REUTERS

Am Morgen war Selenskyj von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue begrüßt worden. Es ist der dritte Berlin-Besuch Selenskyjs seit Beginn der russischen Invasion vor mehr als zwei Jahren.

Auch privates Kapital notwendig

Kanzler Scholz stellte dem von mehr als zwei Jahren Krieg schwer gezeichneten Land weitreichende und langfristige staatliche Zusagen für den Wiederaufbau in Aussicht. Dafür werde er sich auf dem G7-Gipfel der führenden westlichen Wirtschaftsmächte in Italien einsetzen, der am Donnerstag beginnt.

Angesichts der Dimension des Wiederaufbaus nach der russischen Besetzung und der andauernden russischen Angriffe auch auf die Infrastruktur schätzt die Weltbank die Kosten des Wiederaufbaus auf rund 451 Milliarden Euro (486 Milliarden Dollar). Scholz mahnte, dass deshalb privates Kapital zu staatlicher Hilfe hinzukommen müsse. "Der Wiederaufbau der Ukraine - das ist und das muss auch ein Business Case sein."

Die Ukraine habe trotz der russischen Angriffe großes Potenzial nicht nur in der Landwirtschaft, sondern bei Erneuerbaren Energien, Wasserstoff, "aber auch in aufstrebenden Sektoren wie Digitalisierung und Informationstechnologie, Rüstung, Gesundheitstechnologie und Pharma", sagte der SPD-Politiker. Die Wirtschaftsbeziehungen müssten weiter ausgebaut werden. "Wir bauen die Ukraine wieder auf - stärker, freier, wohlhabender als zuvor."

Hunderte deutsche Firmen in Ukraine engagiert

Der Bundeskanzler betonte auch das starke Engagement deutscher Firmen in dem Land. Hunderte deutsche Unternehmen seien in der Ukraine aktiv, mit 35.000 Beschäftigten allein im Automobilsektor, sagte der Kanzler. Trotz des Kriegs gebe es keinen Abfluss deutscher Investitionen. Das Handelsvolumen sei im Vergleich zur Vorkriegszeit sogar deutlich gestiegen.

"Das alles zeigt mir: Die Wirtschaft versteht, welches Potenzial die Ukraine hat." Man habe am Dienstag eine internationale Allianz mit Partnern wie der Weltbank, der EU und der japanischen Agentur für internationale Zusammenarbeit geschlossen und baue einen ukrainischen Wirtschaftsentwicklungsfonds auf. Vorbild sei die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Wegen der Konferenz wurden in Berlin erhöhte Sicherheitsvorkehrungen getroffen Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Die anhaltende Unterstützung für den Wiederaufbau im Krieg sende auch ein Signal an den russischen Präsidenten, unterstrich der Kanzler. "Stärke, Prinzipienfestigkeit - das sind auch die Voraussetzungen dafür, dass Putin erkennt: Es wird keinen militärischen Sieg und keinen Diktatfrieden geben", sagte Scholz. "Er muss seinen brutalen Feldzug beenden und Truppen zurückziehen."

Vernetzung der Akteure

Auf dem Berliner Messegelände haben sich für die Wiederaufbaukonferenz rund 2000 Vertreter aus etwa 60 Ländern versammelt. Sie kommen etwa je zu einem Drittel aus Regierungen und internationalen Organisationen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie Kommunen und Regionen. Es ist keine Geberkonferenz, bei der Geld für den Wiederaufbau gesammelt werden soll, sondern es geht vielmehr um die Vernetzung der relevanten Akteure.

Zu den Zielen gehört es, Initiativen zur Unternehmensförderung oder Fachkräfteausbildung auf den Weg zu bringen. Ähnliche Konferenzen gab es schon 2022 in Lugano in der Schweiz und 2023 in der britischen Hauptstadt London.

Ein schwer beschädigtes Heizkraftwerk in Charkiw nach einem russischen Luftangriff (im April)Bild: Vyacheslav Madiyevskyy/Ukrinform/ABACA/IMAGO

Im Vorfeld der Konferenz sagte Deutschlands Entwicklungsministerin Svenja Schulze der Regierung in Kiew umfassende deutsche Unterstützung auch im nicht-militärischen Bereich zu. "Auch im Krieg geht es um Wiederaufbau." Die Ministerin fügte hinzu: "Die Menschen brauchen ein Dach über dem Kopf, sie brauchen Strom, eine Gesundheitsversorgung, die Kinder müssen zur Schule gehen."

Erste Ergebnisse 

Inzwischen wurden erste konkrete Ergebnisse der Konferenz bekannt. Für den Wiederaufbau kritischer Infrastruktur und für Unternehmen bekommt die Ukraine EU-Garantien für Kredite in Milliardenhöhe. Die Europäische Kommission und die Europäische Investitionsbank unterzeichneten in Berlin entsprechende Vereinbarungen. Mit den EU-Garantien sollen demnach ukrainische Banken Darlehen von mehr als einer Milliarde Euro an kleine und mittlere Unternehmen in der Ukraine vergeben können. Darüber hinaus soll ein Kredit mit EU-Garantie über 100 Millionen Euro dabei helfen, die Grundversorgung in den Städten wiederherzustellen.

Eine neue internationale Initiative will die Ukraine mit 700 Millionen Euro bei der Qualifizierung von Fachkräften für den Wiederaufbau unterstützen. Mit Hilfe der sogenannten Fachkräfte-Allianz sollen binnen drei Jahren mehr als 180.000 Menschen qualifiziert werden, wie das deutsche Entwicklungsministerium und das ukrainische Wirtschaftsministerium mitteilten. Bei der Allianz machen mehr als 50 Organisationen, Staaten und Unternehmen mit.

Das Bundesgesundheitsministerium teilte mit, dass Deutschland der Ukraine 100 Millionen Euro vor allem für den Bereich der mentalen Gesundheit und psychosozialen Unterstützung zugesagt habe. Etwa zwei Drittel des Geldes fließen dort hinein.

Schulze: Ukraine-Unterstützung "sichtbar geworden"

04:53

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Weg in die Europäische Union ebnen

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat die europäische Perspektive der Ukraine betont. Man mache auf der Konferenz deutlich, "dass wir gemeinsam nicht nur dem brutalen russischen Angriff trotzen, sondern dass wir den Weg ebnen für die Ukraine in unsere Europäische Union", sagte die Grünen-Politikerin.

Der russische Präsident Putin wolle "mit seinem brutalen Angriffskrieg die Lebensadern der Ukraine zerstören", kritisierte sie. "Deswegen stehen wir gemeinsam und geschlossen zusammen". Es sei wichtig, dass bei der Konferenz nicht nur Politiker zusammenkämen, sondern Bürgermeister, Unternehmen und Organisationen, die das Leben in der Ukraine unterstützten.

Die Berliner Konferenz bildet den Auftakt zu einer Reihe internationaler Treffen, bei denen die Ukraine im Mittelpunkt steht. Ab Donnerstag treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G7-Staatengruppe in Italien. Ab Samstag sollen dann bei einer Konferenz in der Schweiz Friedensoptionen für die Ukraine beraten werden. Auch beim NATO-Gipfel im Juli in Washington dürfte die Ukraine ein zentrales Thema sein.

kle/AR (afp, rtr, dpa)

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