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Gesellschaft

Jean Ziegler: Aufruf zur Veränderung der Welt

29. März 2019

"Was ist so schlimm am Kapitalismus?" In seinem neuen Buch erklärt Jean Ziegler seiner Enkelin den "unmenschlichen Preis" des Systems. Beim Literaturfestival Litcologne wirbt er für sein Buch und ruft zum Widerstand auf.

Jean Ziegler
Bild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Der Mann trägt einen kohlrabenschwarzen Anzug, das schüttere, schlohweiße Haar ist ordentlich zurückgekämmt. Er beugt sich vor und zurück. Und wenn er in seinem schwer verständlichen Schwyzerdeutsch spricht, unterstreicht er die eindringlichen Worte durch raumgreifendes Gestikulieren. So also sieht ein Revoluzzer aus?

Denn das ist der Schweizer Jean Ziegler zweifellos. Er, der sich trotz seiner 85 Lebensjahre nicht als altersmilde, sondern als "zornigen alten Mann" versteht, hat in seinem Leben viele Bücher geschrieben, hat gewarnt, gemahnt, kritisiert und angeprangert. Seine Zielscheibe: der Kapitalismus, aus Zieglers Sicht "die dynamischste, produktivste, schöpferischste und zugleich zerstörerischste" Wirtschaftsweise. "Die schafft eine kannibalische Weltkultur", schimpft Ziegler.

Jean Ziegler bei der Litcologne in KölnBild: DW/H. Mund

Das Essen könnte für alle reichen

Über das System, das mörderischer nicht sein könnte, hat sich der Jurist und Soziologe jetzt mit seiner Enkeltochter Zohra unterhalten. Hat ihr zum Beispiel erklärt, dass alle fünf Minuten ein Kind verhungert, während die Landwirtschaft heute imstande wäre, zwölf Milliarden Menschen zu ernähren. Was fast fünf Milliarden mehr sind, als derzeit auf dem Planeten leben.

"Das Problem", so Ziegler, "ist die Verteilung des Reichtums!" Fünf global agierende Konzerne kontrollierten 52 Prozent des Welt-Brutto-Sozial-Produkts, rechnet er vor, Organisationen, deren oberstes Ziel die Profitmaximierung sei.

Doch alles habe seinen Preis, Beispiel Coltan: Das Mineralerz, für die Handyproduktion unerlässlich, komme zu 82 Prozent aus dem Nordkongo. Dort werde es - wegen brüchiger Gesteinsschichten – teils aus tiefen Schächten gefördert. Ein gefährlicher und krankmachender Job, zumeist von Kindern und Jugendlichen für einen Hungerlohn erledigt. "Diese Menschen zahlen den unmenschlichen Preis des Kapitalismus", sagt Ziegler.

Ratschläge eines weisen alten Mannes

Nicht nur bei seiner Enkelin, die fast so alt ist wie die 16-jährige schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, möchte Ziegler "Bewusstsein schaffen". Greta übrigens und ihre Schülerbewegung "Fridays for Future" findet der erklärte Antikapitalist "ganz großartig", die Gelbwesten in Frankreich auch.

Bild: picture-alliance/dpa/L. Gillieron

Das Gewicht seiner Worte zieht beim Kölner Literaturfestival Litcologne niemand in Zweifel – der Schweizer lehrte bis zu seiner Emeritierung 2002 Soziologie an der Universität Genf und als Gastprofessor an der Pariser Sorbonne. Ganze acht Jahre war er UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Hier spricht ein weiser alter Mann, bildhaft und konkret, einer, der aber auch seine Philosophen parat hat, wenn es darauf ankommt und der zu erläuternden Exkursen ansetzt. Daten, Namen und Fakten zieht er aus den Schubladen seines Hinterkopfs. Schon das nötigt seinem Publikum Respekt ab. Jean Ziegler, ein Universalgelehrter mit moralischem Anspruch.

Solange er es kann, möchte Ziegler "Mut machen", gegen "das System" mobilisieren. Leben wir denn mit dem Kapitalismus in der besten aller Welten? Der alte Mann widerspricht entschieden: Seine Abschaffung sei eine "kraftvolle Utopie". Dafür lohne es sich zu arbeiten. "Geht zu Amnesty International", ruft er ins Publikum. "Entweder wir verändern die Welt – oder es macht keiner!"

Was ist so schlimm am Kapitalismus? - Antworten auf die Fragen meiner Enkelin" ist soeben im Verlag C.Bertelsmann erschienen, hat 128 Seiten und kostet 15 Euro.

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