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Kappel: "Militärisch vorzugehen führt ins Nichts"

Christian Ignatzi18. Mai 2014

Vertreter von EU, USA und afrikanischen Staaten haben gemeinsam mit Frankreichs Präsident Hollande einen Aktionsplan gegen die Boko Haram entwickelt. Für Afrika-Experte Robert Kappel ist das nur ein erster Schritt.

Prof. Dr. Robert Kappel (Foto: Werner Bartsch)
Bild: Werner Bartsch

DW: Was haben die Gespräche in Paris gebracht?

Robert Kappel: Zunächst ist es wichtig, dass man sich überhaupt getroffen hat. Das ist der entscheidende Punkt. Man hat beraten, wie man den Terrorismus bekämpfen kann. Das war dringend erforderlich, nachdem Boko Haram schon 2009 sehr viele Anschläge durchgeführt hatte. Damals hat man den Führer der Organisation, Ustaz Mohammed Yusuf, getötet. Danach allerdings ist die Bewegung weiter gewachsen.

Bei den Gesprächen waren auch Vertreter aus Kamerun, Niger, dem Tschad und Benin dabei. Wie hoch ist die Gefahr, dass sich der Konflikt auf die Nachbarländer ausdehnt?

Die Gefahr besteht durchaus. Daher war es sinnvoll, diese Länder hinzu zu nehmen. Allerdings halte ich es für einen großen Fehler, dass die Afrikanische Union nicht dabei war.

Warum?

Der Konflikt kann von den afrikanischen Ländern weitestgehend nicht allein gelöst werden. Das heißt, man braucht Unterstützung. Dazu sind Frankreich und eigentlich auch Europa die Partner, die am ehesten in Frage kommen. Aber die afrikanische Union als Repräsentanz afrikanischer Staaten müsste hier viel stärker ins Boot kommen, um zu einer internen afrikanischen Lösung zu kommen. Das wird nicht nur mit den USA und Frankreich gehen.

Trotzdem haben die Vertreter der Staaten in Frankreich einen Aktionsplan aufgestellt. Was soll er bringen?

Man will die Aktionen gegen Boko Haram koordinieren und die Geheimdienste stärker miteinander vernetzen. Das ist notwendig, aber nur eine sehr kurzfristige Agenda. Man muss, wenn man tatsächlich der Boko Haram und anderen Organisationen den Boden entziehen will, weiterdenken. Ich glaube, hier greifen die Entschlüsse in Paris noch zu kurz.

Ist der beschlossene Austausch von Beobachtern also nur ein erster Schritt?

Ja. Der Austausch ist absolut notwendig. Man fragt sich: Warum hat es das nicht schon vorher gegeben? Er ist notwendig um zu wissen, wo Boko Haram überall agiert. Sie sind ja auch schon im Kamerun aktiv, im Tschad, haben Verbindungen in andere Sahel-Staaten, nach Pakistan und Nordafrika. Zu wissen, was Boko Haram mit wem gemeinsam macht, ist ein notwendiger erster Schritt.

Was muss dann passieren?

Der zweite Schritt muss die Frage sein, wie man Boko Haram besser bekämpfen kann. Der dritte Schritt wäre zu schauen, wie man Terrororganisationen den Boden entziehen kann.

Haben Sie eine Idee?

Hier muss man sich der Frage nach der sozialen Entwicklung im Sahel-Gebiet widmen. Das ist die ärmste Region in ganz Afrika. Hier hat man ein Einkommensniveau, das dem von 1960 entspricht. Die Jugend hat hier überhaupt keine Perspektive. Das ist ein sehr guter Nährboden für solche Organisationen.

Und wie bekämpft man solch eine Organisation? Nigerias Präsident Goodluck Jonathan sprach in Paris davon, 20.000 Soldaten zu entsenden. Kann es eine militärische Lösung für den Konflikt geben?

Nein. Ich glaube, mit einem Militäreinsatz kann man hier gar nichts bewirken, weil es dem Charakter der Organisation nicht gerecht wird. Boko Haram ist eine sehr stark dezentralisierte Organisation, mit Strukturen, die keiner genau kennt. Hier militärisch vorzugehen, führt total ins Nichts.

Was wäre die Alternative?

Man muss meines Erachtens versuchen, Verhandlungen zu führen mit den Führern dieser Organisation. Sie haben ja auch Forderungen gestellt - die Freilassung von Gefangenen. Insofern gibt es also eine Art Gesprächsangebot. Ich denke, man sollte auch das sehr ernst nehmen und versuchen, hier die Brücken, die es gibt, zu bauen.

Frankreich hat ohnehin schon deutlich gemacht, kein Militär nach Nigeria zu schicken. Was können die westlichen Staaten ausrichten?

Sie können eine Agenda der sozialen Verbesserung im Norden Nigerias, und im gesamten Sahel vorantreiben. Hier sollte man einen großen Plan entworfen, wie der gesamte Sahel-Raum entwickelt werden kann. Das ist eine Randregion, die sehr vernachlässigt ist, seit dem Kolonialismus. Hier ist nie etwas getan worden, um den Menschen eine Perspektive zu geben. Ich glaube, Europa hat hier auch Möglichkeiten anzusetzen. Und ich glaube auch, man muss versuchen, die Fehler der letzten 20, 30 Jahre umzukehren und dem Norden Nigerias und dem gesamten Sahelgebiet eine Perspektive bieten. Vor allem angesichts der immens hohen Arbeitslosigkeit, die etwa 70 bis 80 Prozent der Jugendlichen umfasst.

Welche Interessen verfolgen die westlichen Staaten, wenn sie Nigeria im Kampf gegen Terrorismus unterstützen?

Es gibt sicherlich verschiedene Interessen. Erst mal natürlich die wirtschaftlichen. Nigeria ist mit Abstand wirtschaftlich das wichtigste Land in West-Afrika. Der andere Punkt ist: Man weiß genau, dass im ganzen Sahel sozusagen ein Pulverfass entsteht, wenn terroristische Gruppen weiter Fuß fassen. Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, weshalb jetzt gehandelt werden muss. Eigentlich ist der Zug schon fast abgefahren. Man muss jetzt versuchen, die Ausdehnung solcher terroristischen Organisationen einzudämmen und den Menschen eine Perspektive bieten. Wir haben nicht nur terroristische Organisationen in Nord-Afrika, sondern in vielen anderen Staaten des Sahel. Inzwischen kooperieren sie auch untereinander. Die Gefahr eines Flächenbrands wird umso größer, je später man handelt und je weniger man die Maßnahmen zur Entwicklung dieser sehr fragilen Region nicht beachtet.

Professor Dr. Robert Kappel ist Präsident Emeritus und Senior Research Fellow am GIGA Institut für Afrika-Studien in Hamburg.

Das Gespräch führte Christian Ignatzi.

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