Karadzic in Holland
30. Juli 2008Radovan Karadzic ist im Gefängnis des UN-Kriegsverbrechertribunals im Badeort Scheveningen bei Den Haag angekommen. Das bestätigte das Gericht am Mittwochmorgen (30.07.2008). Zuvor war ein weißes Flugzeug für Geschäftsreisende, das auch beim Abflug in Belgrad gesehen worden war, auf dem Flughafen Rotterdam gelandet. Etwa 45 Minuten nach der Landung in Rotterdam kamen zwei schwarze Minivans mit Blaulicht in dem Gefängnis an. Wenig später hoben zwei Hubschrauber vom Flughafen Rotterdam ab und flogen zum Gefängnis.
Solidaritätskundgebung in Belgrad
Vor dem UN-Tribunal muss sich Karadzic wegen Gräueltaten im Bosnien-Krieg 1992 bis 1995 verantworten. Er ist der 44. Serbe, der nach Den Haag überstellt wird. Wie schon der 2006 in UN-Haft gestorbene serbische Expräsident Slobodan Milosevic will auch Karadzic auf einen Anwalt verzichten und sich selbst verteidigen.
Am Dienstagabend waren noch rund 15.000 serbische Nationalisten in Belgrad zu einer Großkundgebung zusammengekommen, um gegen die bevorstehende Auslieferung zu protestieren. Bei gewaltsamen Ausschreitungen am Rande der Kundgebung wurden nach Behördenangaben 46 Menschen verletzt. Während der Proteste hatten dutzende Teilnehmer mit Leuchtmunition auf Polizisten geschossen. Auch Steine flogen. Die Beamten setzten Gummigeschosse und Tränengas ein. Für viele bosnische Serben gilt Karadzic als heldenhafter Verteidiger Serbiens.
Neue Identität als Alternativmediziner
Karadzic ist wegen des Völkermords an den Muslimen im bosnischen Bürgerkrieg und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Er gilt als Drahtzieher der schwersten Kriegsverbrechen in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: des Massakers von Srebrenica, bei dem innerhalb einer Woche 8000 bosnische Muslime getötet wurden und der monatelangen Belagerung von Sarajevo. Dem Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995 fielen rund 250.000 Menschen zum Opfer, etwa 1,8 Millionen wurden vertrieben.
Karadzic war in der vergangenen Woche nach zwölf Jahren auf der Flucht in Belgrad verhaftet worden. Der 63-Jährige hatte zuletzt als Arzt "Dr. Dragan Dabic" für alternative Medizin gearbeitet und unbehelligt in Belgrad gelebt. Mit einem Vollbart und langen Haaren hatte er sein Äußeres völlig geändert und glich eher einem New-Age-Guru als einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher.
Nach seiner Festnahme hatte die Europäische Union von Serbien weitere Erfolge bei der Suche nach Kriegsverbrechern gefordert. Vor allem der noch flüchtige frühere Militärchef Ratko Mladic müsse gefasst werden. Die EU hat Serbien als Bedingung für Beitrittsverhandlungen auferlegt, vollständig mit dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zusammenzuarbeiten. Auch ein Zwischenabkommen über Handels- und Reiseerleichterungen für Serbien mit der EU ist davon abhängig. (stu)