1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Entsetzen nach Attacke auf Abgeordnetenbüro

16. Januar 2020

Schon einmal war Karamba Diabys Büro in Halle Ziel von Gewalt. Nun wurde es sogar beschossen. Der SPD-Bundestagsabgeordnete und die Politik sind erschüttert. Die Tat reiht sich in eine erschreckende Entwicklung ein.

Deutschland | Anschlag mit Schüssen auf das Wahlbüro von Karamba Diaby
Bild: imago images/S. Schellhorn

"Ich lasse mich nicht einschüchtern"

01:43

This browser does not support the video element.

Es geschieht in der Nacht zum Mittwoch, mitten im Stadtzentrum. Mehrfach feuert jemand auf das Bürgerbüro des SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle an der Saale. Anschließend verschwindet der Täter offenbar unerkannt. "Eine Büroscheibe mit meinem Konterfei weist mehrere Einschusslöcher auf", schrieb der im Senegal geborene SPD-Politiker Diaby bei Twitter. Dort veröffentlichte er ein Foto der Scheibe, auf dem drei Löcher zu erkennen sind. Zum Zeitpunkt des Vorfalls war niemand in dem Büro. Auf zwei weitere nahe Gebäude der Stadt im Süden Sachsen-Anhalts soll nach Polizeiangaben ebenfalls geschossen worden sein. Die Ermittlungen laufen. Noch ist öffentlich kein konkreter Verdacht bekannt.

Erneut Opfer von Hass und Gewalt geworden

"Leider ist das in den letzten Jahren sehr häufig vorgekommen, dass es Menschen gibt, die ihre Meinungsäußerung in Form von Gewalt anwenden", sagt Diaby der Deutschen Welle. Der aus dem Senegal stammende Bundestagsabgeordnete, der seit über 30 Jahren in Deutschland lebt und seit 2013 dem Bundestag angehört, wurde schon mehrfach zur Zielscheibe von Hass und Gewalt. Er habe es zum zweiten Mal erleben müssen, dass sein Bürgerbüro angegriffen worden sei. "Das ist sehr traurig, und das macht mich auch fassungslos." 2015 hatten Unbekannte das Bürgerbüro des dreifachen Familienvaters angegriffen und alle Fensterscheiben zu Bruch geschlagen. Weil man die Täter nicht finden konnte, musste die Polizei die Ermittlungen einstellen.

Im Bundestag: Diaby spricht mit Bundeskanzlerin Merkel über die Schüsse auf sein BüroBild: Reuters/A. Hilse

Viele deutsche Politiker äußerten sich entsetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte Diaby am Rande des Bundestages persönlich ihre Unterstützung zu. Außenminister Heiko Maas (SPD) reagierte auf Twitter mit den Worten: "Einfach unfassbar". Er bezeichnete den Vorfall als "widerlich und feige". Man werde weiter an der Seite Diabys und seines Teams "für eine freie, tolerante und vielfältige Demokratie eintreten. Jetzt erst recht!". Seine Parteikollegin und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte, die Attacke sei ein weiterer Angriff auf unsere Demokratie und unsere friedliche Gesellschaft. "Wir sind ein wehrhafter Staat der sich nicht einschüchtern lässt."

Rechtsextreme Gewalt wird immer bedrohlicher

Von besonderer Brisanz sind die Schüsse, weil der Vorfall einen düsteren Trend bestätigt: Schon seit einiger Zeit verzeichnet Deutschland zunehmende Gewalt vor allem aus dem rechtsextremen Lager gegen Politiker aus der zweiten und dritten Reihe sowie andere Staatsvertreter, die über keinen Personenschutz verfügen. Hier nur die prominentesten Fälle: Im Oktober 2015 wird die Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker - heute Oberbürgermeistern der nordrhein-westfälischen Stadt - auf der Straße mit einem Jagdmesser schwer am Hals verletzt. Vor Gericht sagt der Täter, er habe ein Zeichen gegen die deutsche Flüchtlingspolitik setzen wollen. Wenige Monate zuvor hatte Bundeskanzlerin Merkel die Entscheidung getroffen, die deutschen Grenzen für Flüchtlinge geöffnet zu lassen.

Karamba Diaby während seiner Wahlkampftour in der Fußgängerzone in HalleBild: picture alliance/dpa/H. Schmidt

Im November 2017 sticht ein 56-Jähriger mit einem 30 Zentimeter langen Messer auf Andreas Hollstein ein, den Bürgermeister der Stadt Altena in der Nähe von Köln. Noch während der Attacke soll sich der alkoholisierte Angreifer abfällig über die liberale Flüchtlingspolitik des Bürgermeisters beschwert haben. Zwei Jahre später erreichen die rechtsextremen Angriffe auf deutsche Lokalpolitiker eine neue Eskalationsstufe: Der Regierungspräsident der mitteldeutschen Stadt Kassel, Walter Lübcke, wird im Juni 2019 vor seinem eigenen Haus mit einem Kopfschuss aus nächster Nähe förmlich hingerichtet. Der dringend Tatverdächtige Stephan E. nennt Äußerungen Lübckes während der Migrationswelle 2015 als Motiv. Der Regierungspräsident hatte sich offen gegen Rassismus und Islamfeindlichkeit eingesetzt.

Sicherheitsexperte vermisst ausreichenden Politiker-Schutz

Insofern müsse man die Schüsse im Zusammenhang mit den bisherigen Anschlägen sehen, sagt der Sicherheitsberater Stefan Bisanz im Gespräch mit der DW. Der Sachverständige für Personenschutz und Chef der Sicherheitsberatungsfirma Consulting Plus hat nach eigenen Angaben die Politik frühzeitig auf diese Entwicklung hingewiesen. Doch die Übergriffe auf nicht-prominente Politiker und sonstige Vertreter des Staates "sind meines Erachtens sehr lange nicht richtig wahrgenommen und nicht richtig betreut worden".

Stephan E., der Tatverdächtige im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke, wird von Sicherheitskräften zu einem Gerichtstermin gebrachtt Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Bisanz weist darauf hin, dass gefährdete Bundestagsabgeordnete die Möglichkeit haben, sich an das Bundeskriminalamt zu wenden. "Dort wird eine Gefährdungsanalyse und eine Einstufung erstellt. Die Einstufung Eins gilt für die Bundeskanzlerin, den Bundespräsidenten und einige ausgewählte Minister." Diese Politiker erhielten eine Rund-um-die-Uhr Sicherheitsbetreuung. Aber: Die Analysen würden den begrenzten Ressourcen angepasst. "Insofern werden diese Ansinnen oftmals auch ein wenig heruntergespielt und man wartet immer erst, bis etwas passiert ist", erklärt Bisanz.

Allgemeine Verrohung bedroht gesellschaftlichen Zusammenhalt

Der Sicherheitsberater geht davon aus, dass eine Anpassung der Sicherheitsmaßnahmen vor allem durch öffentlichen Druck erreicht werden könnte. Doch bedrohte oder angegriffene Bundes-, Landes- und  Kommunalpolitiker würden Übergriffe häufig gar nicht erst anzeigen und in die Medien bringen. "Das sollten Sie aber tun, damit eine Welle losgetreten wird. Andererseits ist es immer eine Frage der Motivation. Wo kommt das her? Warum erdreisten sich Menschen so etwas zu tun: Einen Politiker zu beleidigen, anzuspucken, körperlich so anzugehen, dass man auch den Tod herbeiführen könnte." Bisanz sieht den Grund in einer gesellschaftlichen Verrohung.

2016 stellte Diaby mit Moderator Ulrich Wickert und der damaligen SPD-Generalsekretärin Katarina Barley seine Biografie "Mit Karamba in den Bundestag" vorBild: DW/D. Pelz

Mit dieser Meinung findet Bisanz Unterstützung bei Karamba Diaby, der sich im Gespräch mit der Deutschen Welle fest davon überzeugt zeigte, "dass wir uns ernsthaft darüber unterhalten müssen, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. Wir können das nicht hinnehmen, dass eine kleine Minderheit versucht, Menschen einzuschüchtern mit Waffengewalt und Ähnlichem." Das müsse in der Gesamt-Gesellschaft deutlich ernst genommen werden.

Diaby lässt sich nicht einschüchtern

In den vergangenen zwei Jahren habe sich das Klima dramatisch verändert, stellt auch Diaby fest. Der Ton sei rauer geworden. "In den Parlamenten, in den Landtagen, aber auch bei uns hier im Bundestag erlebe ich Redebeiträge, die sehr aggressiv sind. Die auch menschenfeindlich sind. Die gegen Minderheiten sind." Das sei Nährboden für Menschen, die Gewalt anwenden wollten, betont der SPD-Abgeordnete, der offensichtlich auf den Bundestags-Einzug der rechtspopulistischen Alternative AfD anspielt. Deutsche Politiker müssten sich Gedanken darüber machen, "welchen Beitrag sie dazu leisten, dass die Stimmung in der Gesellschaft zur Spaltung führt und nicht zum Zusammenhalt".

Diaby selbst will trotz der wiederholten Einschüchterungsversuche weiter Politik machen. "Ich weiß, dass die Menschen, die solche Dinge machen, das Ziel haben, Politikerinnen und Politiker einzuschüchtern, aber auch Journalistinnen und Journalisten. Und das sollten wir nicht zulassen. Also, ich lasse mich nicht einschüchtern. Wir machen unsere Arbeit weiter."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen