Karamba Diaby im Wahlkampf
22. September 2013Karamba Diaby ist ein schlacksiger Typ, trotzdem kommt in der Innenstadt von Halle an der Saale keiner so schnell an ihm vorbei: "Darf ich ihnen von mir ein Faltblatt geben, über die Bundestagswahl, die demnächst vor der Tür steht?" In der Hand trägt er eine elegante Aktentasche, sein blaues Hemd ist frisch gebügelt.
Jedem reicht das SPD-Mitglied die Hand, mit jedem kommt er schnell in Kontakt, immer wieder macht er kleine Scherze. "Ich finde das auch schön, das jemand mal so einfach erscheint und Hallo sagt!", schwärmen die Menschen. Bundestags-Kandidat Diaby klingelt an Türen, reicht potenziellen Wählern über den Gartenzaun hinweg die Hand. Um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um für sich zu werben, damit die Menschen in Halle und Umgebung am 22. September bei seinem Namen auch das Kreuzchen machen. Wohnzimmer-Wahlkampf nennt Diaby das - ein Trend, der aus den USA kommt. So glaubt er, an die Menschen ganz nah heran zu kommen.
New York Times und die BBC haben schon angeklopft
Seitdem bekannt ist, dass der in Marsassoum - im Süden Senegals - geborene Karamba Diaby möglicherweise bald der erste Abgeordnete afrikanischer Herkunft im Bundestag sein könnte, kann er sich vor Interview-Anfragen kaum retten. Die "New York Times", der "Zürcher Tagesanzeiger" oder die BBC, alle wollen von ihm wissen, wie es ist, in Halle als Schwarzafrikaner zu kandidieren.
In der Region um Halle werden Zuwanderer heute nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen. Eine Stadt, in der angeblich immer noch rassistische Ressentiments gepflegt werden, so schrieb es jedenfalls kürzlich das Wochenmagazin "Der Spiegel" über Halle. Davon will der ehrenamtliche Hallenser Stadtrat Diaby aber nichts hören. Auch dass er gar Angst haben müsse, durch Teile von Halle zu gehen. Diaby schüttelt heftig den Kopf.
Es scheint, als wolle er kein schlechtes Wort über Halle hören - obwohl er die Probleme im Zusammenleben von Deutschen und Migranten in seiner Stadt und Sachsen-Anhalt aus eigener Erfahrung kennt, weil er selbst einmal Opfer eines fremdenfeindlichen Angriffs wurde. Das sei egal, sagt Diaby. Und ergänzt im selben Atemzug, dass es in Sachsen-Anhalt genug Menschen gebe, die Zivilcourage hätten und sich klar gegen Rechtsextremismus stellen würden.
Vom Senegal in die DDR
1986 hat Karamba Diaby Senegal verlassen, weil er damals die einmalige Chance bekam, im sozialistischen Bruderland DDR Chemie zu studieren. "Natürlich hatte ich damals kein Deutsch gesprochen. Kein einziges Wort außer BMW und Bundesliga. Und das waren Worte, die man in der DDR nicht gerne gehört hat." Auch die ganze Lebensorganisation im Sozialismus war anders als im Senegal, erzählt er. "Das waren die beiden Dinge, die sehr ungewöhnlich waren."
Nach dem Mauerfall ist er in Deutschland geblieben, 2001 hat er sich einbürgern lassen. Für seine Promotion beschäftigte er sich mit den schadstoffbelasteten Böden in halleschen Kleingärten. Diaby hatte schon immer ein Herz für die Sorgen und Nöte der kleinen Leute. Ein Grund, weshalb der 52-Jährige nun auch gerne mit seinem Wahlkampfteam durch die Kleingärten zieht. Die Chancen, dass der Einzug in den Bundestag gelingt, sind sehr gut. Seine Themen sind Bildung und Integration, Mindestlohn und die schwierige soziale Situation der Ostdeutschen, die er aus seinem Wahlkreis kennt.
Dieser liegt zwischen Leipzig, Wolfen und Bitterfeld, im sogenannten Chemiedreieck, in dem zu DDR-Zeiten keine Umweltstandards galten. Eine Gegend, die einst so katastrophal verseucht wurde, dass alle Seen und Flüsse Ende der 1980er Jahre praktisch tot waren. Selbst wenn die Sonne schien, blieb es hier neblig und grau. Seit dem Mauerfall hat sich das geändert, viele der Chemiefabriken wurden geschlossen, andere saniert. Das bedeutete den Verlust zehntausender Arbeitsplätze.
Viele Menschen mögen Diabys Bodenständigkeit
Während andere Politiker in dunklen Karossen von einem Wahlkampftermin zum nächsten hetzen, fährt Karamba Diaby ganz bescheiden mit dem Fahrrad zu seinen Terminen. Marke Diamant. Ein ostdeutsches Fabrikat aus dem Bundesland Sachsen. Auch ein Grund, warum ihn die Menschen in Halle als volksnah und authentisch erleben. Sein Auftreten sei so gar nicht arrogant, eher demütig und empathisch. Ihm könne man vertrauen, sagt Stefan Will. Er ist ein Freund, Kollege und Unterstützer. Böse oder kritische Worte sucht man vergebens.
Für viele ist er ein Hoffnungsträger, der gerade den Ostdeutschen im Bundestag eine Stimme geben könne. "Und das ausgerechnet macht ein Afrikaner." Diaby lacht.
Stefan Will aus Halle gefällt, wie der Politiker auf die Leute zugeht: "Ohne Vorurteile, ohne Angst auch. Ich meine, man muss ja diese Besonderheit auch sehen, mit dem Migrationshintergrund. Trotzdem geht er da forsch ran und lässt sich darauf nicht reduzieren."
Diaby kennt die Not im Osten von seiner eigenen Familie
Zerbrochene Lebensentwürfe sind dem Politiker nicht fremd. Er erzählt von seiner Schwiegermutter: "Sie hat als Kranfahrerin gearbeitet. Nach der Wende wurde der Betrieb geschlossen. Sie war eine tapfere Frau, hat zwei Kinder allein groß gezogen. Sie hat gesagt, ich bleibe nicht zu Hause. Sie hat umgeschult und wurde Behindertenpflegerin. Sie ist mit über 50 von Merseburg nach Oberfranken umgezogen. Mit 57 hat sie gesagt: ‘Weißt du was? Ich hab die Nase voll! Ich kann nicht mehr!' Sie war fix und fertig. Mit 59 ist sie gestorben."
Diaby arbeitet im sachsen-anhaltischen Sozialministerium. Der Stillstand, die Passivität der Menschen, die gerade im Osten noch zu wenig ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen würden, macht ihm Sorgen: "Ich denke, die Menschen müssen in sich gehen, über sich mal nachdenken. Nicht nur immer kritisieren, die Bürger müssen auch mal sagen: Ich muss was tun, damit sich was ändert."
Für seine Familie hat Diaby im Wahlkampf nun weniger Zeit. Das gilt auch für sein Hobby: Die Koramusik aus seiner westafrikanischen Heimat. Aber das macht nichts, denn er arbeitet daran, dass sein Traum wahr wird: Bundestagsabgeordneter will Karamba Diaby sein.