1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kompetenter Exzentriker: Karl Lauterbach

6. Dezember 2021

Bis zuletzt wurde gerätselt, wer das Gesundheitsministerium übernehmen würde. Mit Karl Lauterbach hat sich die SPD für einen Unbequemen entschieden.

Karl Lauterbach (SPD), designierter Bundesminister für Gesundheit
Karl Lauterbach (SPD), designierter Bundesminister für GesundheitBild: REUTERS

Unaufhörlich Mahnungen, Erklärungen, Appelle - seit knapp zwei Jahren erklärt Karl Lauterbach den Deutschen die Corona-Pandemie. Der SPD-Bundestagsabgeordnete, Mediziner mit zwei Doktor- und einem Professorentitel, der in den USA in Harvard geforscht und gelehrt hat, doziert als Dauergast in Talkshows, gibt Interviews und er twittert - manchmal im Stundentakt. Meistens hatte er nichts Gutes zu verkünden, regelmäßig forderte er in der Corona-Politik eine härtere Gangart und mehr Einschränkungen - fast immer trafen seine Vorhersagen ein.

An Karl Lauterbach scheiden sich die Geister. Die einen sind genervt und beschimpfen ihn als Kassandra-Rufer, wie Menschen genannt werden, die immer das Unheil voraussehen und warnen. Das verunsichere die Gesellschaft nur. Von Corona-Leugnern und Impfgegnern schlägt ihm gar Hass entgegen, der auch in Morddrohungen gipfelt.

#WirwollenKarl

Andere hingegen vertrauen ihm, manche wurden im Verlauf der Pandemie gar zu glühenden Anhängern. In seinem Wahlkreis im nordrhein-westfälischen Leverkusen fuhr Lauterbach bei der Bundestagswahl mit 45,6 Prozent der Stimmen ein überragendes Ergebnis ein. Als bekannt wurde, dass die SPD in der neuen Regierung das Gesundheitsministerium besetzen würde, formierte sich in den sozialen Medien umgehend eine Kampagne für ihn. Der Hashtag #WirwollenKarl war auf dem Nachrichtenportal Twitter tagelang in den Trends.

Noch am Sonntagabend, wenige Stunden vor der Bekanntgabe der SPD-Ministerkandidaten, sagte eine Intensivmedizinerin in einer TV-Talkshow zu dem ebenfalls in der Runde sitzenden Lauterbach: "Ich kenne viele Kollegen inklusive mir, Herr Lauterbach, wir würden uns sehr freuen, wenn sie unser zukünftiger Gesundheitsminister würden, weil wir einfach sagen, das ist jemand vom Fach, ein Arzt. Es gibt keinen, der das so auffüllen könnte wie sie - kompetent."

Am Ziel seiner Wünsche

Eine Popularität, die der zukünftige Bundeskanzler Olaf Scholz am Ende wohl nicht ignorieren konnte. "Die meisten Bürgerinnen und Bürger haben sich gewünscht, dass der nächste Gesundheitsminister vom Fach ist, dass er das wirklich gut kann und dass er Karl Lauterbach heißt. Er wird es", sagte Scholz bei der Vorstellung der sozialdemokratischen Ministerkandidaten in Berlin.

Der designierte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Vorstellung der SPD-Minister in BerlinBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Karl Lauterbach ist damit am Ziel seiner Wünsche. "Natürlich würde ich ein Ministeramt nicht ablehnen in den Bereichen, in denen ich mich gut auskenne", hatte er schon vor der Bundestagswahl gesagt und dabei spürbar keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich selbst für den am besten geeigneten Kandidaten für dieses Amt hält.

Einzelgänger im Bundestag

Eine Personalie, die in der SPD bis zuletzt allerdings sehr umstritten war. In der Partei und in der Bundestagsfraktion, der Lauterbach seit 16 Jahren als direkt gewählter Abgeordneter angehört, gilt er als Einzelkämpfer, Exzentriker und Besserwisser. Ein - schon etwas älterer - Witz über ihn geht so: Karl Lauterbach trifft auf der Straße einen kleinen Jungen und fragt ihn: "Wie alt bist du?" Der Junge sagt: "Acht". Darauf sagt Lauterbach: "In deinem Alter war ich schon neun!"

Als Gesundheitsökonom beriet Karl Lauterbach 2003 die damalige Gesundheitsministerin Ulla SchmidtBild: Bernd Settnik/ZB/picture-alliance

Lauterbach ist ein sogenannter Quereinsteiger, der erst spät den Weg in die Politik fand. Er studierte Medizin, Epidemiologie und Gesundheitsmanagement in Deutschland und in den USA, wo er mehrere Abschlüsse erlangte. Als Fellow an der Harvard Medical School wurde er von der Konrad-Adenauer-Stiftung, die der CDU nahesteht, gefördert, zeitweise war er auch Mitglied der CDU.

Markenzeichen Fliege

Zurück in Deutschland wurde er Universitätsprofessor in Köln und Direktor eines Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, das er im Auftrag der Universität gründete. 1999 wurde Lauterbach Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen. 2001 trat er in die SPD ein, 2005 kandidierte er erstmals erfolgreich für den Bundestag.

Der Mann mit der Fliege: Jahrelang kannte man Karl Lauterbach nur soBild: Miguel Villagran/dpa/dpaweb/picture-alliance

Seinen Habitus als Universitätsprofessor behielt er in den ersten Jahren im Parlament auch äußerlich bei. Ein Markenzeichen war lange Zeit die Fliege, die er schon als Arzt in den USA getragen hatte. Die Fliege, so erklärte er auf Nachfrage gerne, werde in den USA als Erkennungsmerkmal des Arztes auf der Station genutzt, da eine Krawatte aus hygienischen Gründen nicht in Frage komme. Erst 2019, als Lauterbach sich im Duo mit Nina Scheer für den SPD-Parteivorsitz bewarb, legte er die Fliege ab. Zugleich bemühte er sich, umgänglicher und nahbarer zu werden und zeigt seitdem auch eine gewisse Fähigkeit zur Selbstironie.

Lauterbach braucht keine Einarbeitungszeit

Zu Lauterbachs Eigenarten gehört auch, dass er kein Salz isst. Im Bundestag haben sich die Caterer, die für die Abgeordneten Zwischenmahlzeiten bereithalten, darauf eingestellt - auf dem Buffet gibt es stets etwas extra zubereitetes Salzloses. Spricht man den SPD-Politiker auf seine Abneigung an, erklärt er vollkommen unbeeindruckt in langen Sätzen, warum es viel gesünder sei, sich wie er zu ernähren.

Man kann davon ausgehen, dass Olaf Scholz weiß, dass er sich mit Karl Lauterbach einen unbequemen Politiker in sein Kabinett holt. Andererseits verläuft die vierte Corona-Welle in Deutschland so dramatisch, dass der künftige Bundeskanzler niemanden zum Gesundheitsminister machen konnte, der erst einmal eine Einarbeitung braucht.

Weihnachten sollen die Deutschen verreisen können

Lauterbach kann und wird sofort loslegen, das hat der 58-Jährige bei seiner Ernennung klargemacht. "Wir werden den Kampf mit der Pandemie gewinnen", sagte er und teilte zugleich mit, dass er viel vorhat: "Für weitere Pandemien werden wir besser gerüstet sein als wir es für diese gewesen sind." Ziel der neuen Regierung sei es, die Zahl der Corona-Neuinfektionen so zu reduzieren, dass man mit gutem Gewissen Reisen über die Feiertage empfehlen könne.

Allerdings bleibt abzuwarten, ob Lauterbach den Sprung vom Interpreten wissenschaftlicher Studien zum erfolgreichen Leiter eines Ministeriums schafft.

Zumal in der Pandemiebekämpfung viele Entscheidungen in den Bundesländern gefällt werden. Lauterbach wird also wenig im Alleingang regeln können, sondern sich mit seinen Länderkollegen einigen müssen. Außerdem werden in Zukunft viele Entscheidungen im neuen Corona-Krisenstab und im Expertenrat gefällt werden, die direkt dem Kanzleramt zugeordnet sind.

Krankes Gesundheitssystem

Abseits von Corona gibt es im deutschen Gesundheitswesen aber genug zu tun. Dass in der Pandemie die Situation an vielen Krankenhäusern so relativ schnell schwierig wurde, hat auch mit strukturellen Problemen zu tun. Gesundheitspolitik galt über viele Jahre als Möglichkeit, öffentliche Mittel einzusparen. Auch Lauterbach hatte noch 2013 gefordert, Krankenhäuser zu schließen.

Nun verspricht er, dass es zu keinen Leistungskürzungen im Gesundheitswesen kommen werde. "Ganz im Gegenteil, wir werden das System wieder robuster machen. Wir sind stolz auf ein gutes Gesundheitssystem, wir werden es benötigen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen