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Revolutionäre Produktivkraft wird 200

Mischa Ehrhardt
4. Mai 2018

Vor 200 Jahren wurde Karl Marx geboren. Ein schonungsloser Analyst kapitalistischer Verhältnisse. Was bleibt, ist das kritische Hinterfragen bestehender Verhältnisse.

Karl Marx / Das Kapital / Buch
Bild: picture-alliance/dpa

"Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus." So beginnt das berühmte Manifest der Kommunistischen Partei. Die Schrift war ursprünglich eine programmatische Auftragsarbeit in eigener Sache: Marx und Engels hatten einen internationalen Zusammenschluss von Arbeitern organisiert; das Ziel war eine proletarische Partei. Sie traten dann zunächst dem sozialistischen Bund der Gerechten bei. 1847 setzte Marx die Umbenennung zum Bund der Kommunisten durch. Es folgte der Auftrag, ein Manifest für den Zusammenschluss zu schreiben. Das Kommunistische Manifest erschien schließlich im Revolutionsjahr 1848 - und es barg Sprengkraft. Wer es zur Hand nimmt, findet darin viele - auch für die heutige Zeit - spannende Themen.

"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen", lautet der erste Satz des eigentlichen Manifestes nach ein paar einleitenden Worten. Vereinfacht gesagt bedeutet das: In bisher jeder Gesellschaft besitzt die eine Seite das Eigentum an den materiellen Produktionsmitteln, also Land, Fabriken, Maschinen und Werkzeugen. Die andere Seite, das Proletariat, war dagegen in doppelter Hinsicht frei: Persönlich unabhängig, aber auch "frei" von allen Produktionsmitteln. Ohne Produktionsmittel aber ist die arbeitende Klasse, um überleben zu können, gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen - etwas anderes besitzt sie nämlich nicht.

Klassenunterschiede führen zu Klassenkämpfen

Das führt zu einem Gegensatz zweier Klassen, der Arbeiter und der Kapitalisten, und zu Klassenkämpfen. Alles Weitere ist für Marx einfach gesagt Beiwerk: Politik, Recht, Kunst, Philosophie und Religion sind der gesellschaftliche und ideologische Bau über diesem zu Grunde liegenden ökonomischen Konflikt. So ist ein anderer entscheidender Satz in Marx‘ Werk zu verstehen: "Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt."

Ein wesentlicher Moment unseres gesellschaftlichen Daseins wiederum besteht aus Arbeit. Die analysiert Marx besonders genau - und stellt eine mehrfache Entfremdung der Menschen in ihren Arbeitsprozessen fest: Weil das Produkt ihrer Arbeit nicht ihnen, sondern dem Besitzer der Firma und Produktionsmittel gehört, sind die Menschen den Produkten ihrer Arbeit entfremdet. Weil arbeitende Menschen - modern gesprochen - weisungsgebunden sind, fühlen sich die Arbeiter auch fremd oder fremdbestimmt in ihrer Tätigkeit. Und weil die Menschen ihre Schöpfungen in dieser Konstellation nicht begreifen können als ihr tätiges Gestalten von Welt und Wirklichkeit, entfremden sie sich - einfach gesprochen - von ihrer Umwelt und von ihrem Gattungswesen: dem Menschsein.

Diesem Zustand ein Ende zu bereiten, war das Ziel des politisch agierenden und theoretisch arbeitenden Karl Marx (und dessen lebenslangen Freundes, Friedrich Engels). Und nach ihrer Auffassung würde die Geschichte auf die Überwindung dieser Widersprüche hinsteuern: Die Arbeiterschaft würde - wohlgemerkt nur in den fortgeschrittensten kapitalistischen Industriegesellschaften - das Regiment übernehmen können und müssen. Der Weg dorthin führe erstens zur Enteignung des Grundeigentums als der Quelle von Ungleichheit und Entfremdung der Menschen. Und dann zur Einführung weiterer Regeln, von denen einige eigentümlich aktuell klingen, wie: "Starke Progressivsteuer" und "Abschaffung des Erbrechts".

Das Ziel ist die Freiheit eines jeden

Diese und andere Regeln führten nach Marx dann in eine klassenlose Gesellschaft, in der die Individuen und die Menschheit frei sein würden. "An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist". Interessant ist hier: Der von Marx gedachte Kommunismus ist alles andere als eine Diktatur: Die Freiheit eines jeden ist das Ziel - und die Bedingung für die Freiheit aller.

Ein zweiter Satz des Manifestes hat einige Berühmtheit erlangt - und er ist bei näherer Betrachtung ziemlich aktuell: "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!" Natürlich würde heute kaum mehr jemand ernsthaft davon sprechen, dass es ein globales Proletariat gebe, das sich anschickt, eine Revolution anzuzetteln, um die Freiheit aller zu erreichen. In dem Satz steckt aber bei genauerem Hinsehen weit mehr: Er spricht alle Menschen auf der Welt an, zumindest die überwältigende Mehrheit, die keine Produktionsmittel besitzt: Unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, ideeller Orientierung oder Religion, kurz: Marx kennt in diesem Sinne keinerlei Ausgrenzung, keinen Rassismus.

Marx käme auch nicht auf die Idee, irgendwelche arbeitenden Landsleute gegen andere auszuspielen. Nationalismus, Chauvinismus, Protektionismus - all das ist mit Marx, im Gegensatz zu vielen Politikern heute, nicht zu machen. Marx spricht im Grunde alle Menschen an, wenn er schreibt: "Die Proletarier haben nichts in ihr [der kommunistischen Revolution] zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen."

Falsch verstandener Prophet? 

So gesehen ist die Hinterlassenschaft von Marx bemerkenswert, seine Schriften enthalten Analysen, die bis heute nicht übertroffen sind - unter anderem die Analyse des Mehrwertes einer Ware, der kurz gesagt geronnene Arbeitszeit ist, oder auch seine Krisentheorien. Dass aus seinen Schriften grausame Despoten und Diktatoren ihre Ideologien genährt haben, ist zum Teil Passagen geschuldet, in denen Marx beschreibt, wie übergangsweise das Proletariat die Herrschaft übernimmt - oder gar Diktatur des Proletariats gründet. So schreibt Marx etwa, dass  "die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt" nötig sei.

Weite Teile seines Werkes allerdings dürften die real existierenden Diktatoren ignoriert oder schlicht nicht verstanden haben. "Alles was ich weiß ist, dass ich kein Marxist bin", soll Marx einmal gesagt haben, als er darauf angesprochen wurde, dass einige Menschen und Gruppen sich als solche bezeichneten. Damit wollte er wohl einfach nur sagen: Keine Schrift darf zum dogmatischen Glaubenssatz erhoben werden. Den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen und Dinge kritisch zu hinterfragen - das ist eine Hinterlassenschaft des Trierers Karl Marx an seinem 200. Geburtstag.

 

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