Karl Ove Knausgård: "Ich kenne meine Traumata sehr gut!"
9. November 2015Karl Ove Knausgård ist der siebzehnte "Welt"-Literaturpreisträger. Vor ihm bekamen ihn Haruki Murakami (2014) und Jonathan Franzen (2013). Der mit 10.000 Euro dotierte Preis erinnert an Willy Haas, der 1925 die Zeitschrift "Die literarische WELT" gründete. Ausgezeichnet werden ein einzelnes Buch oder ein literarisches Gesamtwerk. Mit seinem autobiografischen Romanprojekt hat der Norweger Karl Ove Knausgård einen Hype in der internationalen Literaturszene ausgelöst. In Deutschland ist gerade sein neues Buch "Träumen" erschienen.
DW: Herr Knausgård, wie gehen Sie eigentlich mit dem ganzen Hype um Ihre Person um?
Karl Ove Knausgård: Es ist schon etwas komisch. Ich hätte nie gedacht, ein Teil von so etwas zu werden. Es hat absolut nichts mit meinen Büchern und mit meinem Schreiben zu tun.
Genießen Sie die Aufmerksamkeit oder macht Sie Ihnen Angst?
Klar bin ich dankbar dafür, aber sie ist auch zugleich lästig. Ich kann nicht sehr gut damit umgehen, vielleicht weil ich ein schwaches Selbstbewusstsein habe. Meine eigene Selbstwahrnehmung unterscheidet sich komplett von dem Bild, das andere von mir haben.
Was meinen Sie damit?
Ich wurde in meiner Kindheit immer wieder gedemütigt. Ich begann mich für alles zu schämen. Und das ist eine existentielle Erfahrung. Was auch immer ich heute mache, wie viele Bücher ich auch verkaufe – es hilft nichts! Ich werde das Gefühl, ein Narr zu sein, nicht los. Aber ich glaube, die Kraft in meinen Büchern nährt sich genau aus diesem Widerspruch!
In Ihren Büchern stülpen Sie Ihr Innerstes nach außen – Ihre Unsicherheiten, Ihre Wunden. Hatten Sie nicht Angst, sich wildfremden Menschen so offen zu zeigen?
Am Anfang war das sicherlich sehr schwer. Aber wissen Sie, es ist wie eine Schwelle, die man überschreitet. Je öfter man drüber geht, desto leichter wird es.
Aber Sie schreiben ja auch sehr ausführlich z. B. über die Alkoholsucht Ihres Vaters oder die Depression Ihrer Frau. Wie hat eigentlich Ihre Familie auf die Bücher reagiert?
Die einzige Sorge meiner Frau war es, dass ich eine behutsame Sprache für sie und ihre Krankheit finde. Meine Mutter war verärgert, dass ich ihr nicht mehr Raum in meinen Büchern eingeräumt habe. Und die Familie meines Vaters hat nach der Veröffentlichung komplett mit mir gebrochen.
Ist es tollkühn oder mutig, so radikal und authentisch zu schreiben, wie Sie?
Es hatte überhaupt nichts mit Mut zu tun, weil ich mir die Konsequenzen überhaupt nicht ausgemalt hatte. Vermutlich war ich einfach nur naiv.
Viele Menschen glauben, dass erst durch die Fiktionalisierung des Lebens, wahre Literatur entsteht. Aber Sie machen genau das Gegenteil, indem Sie minutiös über alltägliche Dinge wie Kochen, Windeln wechseln oder Aufräumen schreiben. Warum?
Ich habe es mir nicht ausgesucht. Natürlich wollte auch ich einen großen, fiktionalen Roman wie "Hamlet" oder "Moby Dick" schreiben, aber es ging nicht. Meine Bücher sind randvoll mit Nahaufnahmen, die nicht in übliche Romane passen, aber doch Teil des Lebens sind.
Und Ihre Bücher sind voller winziger Details – von der Farbe der Wandtapete bis zum Muster einer Badekappe. Wie können Sie sich nur all diese Dinge so genau merken?
Ich bin ein sehr visueller Schriftsteller und mein Auge kann sich sehr gut an all diese Details erinnern. Ich vergesse zwar Dialoge, aber nie die Räume, in denen sie stattgefunden haben. Und mein Ehrgeiz ist es, für den Leser eine Präsenz, eine Unmittelbarkeit zu schaffen.
Im Original heißt Ihr Romanzyklus "Min Kamp". Warum dieser provokante Titel?
Genau darum geht es in meinen Büchern – um den Kampf, Kinder großzuziehen. Das Ringen in einer Beziehung. Und natürlich ist da auch der Anklang an Adolf Hitlers "Mein Kampf".
Was heißt das genau?
In Hitlers "Mein Kampf" werden sie keine Niederlagen finden, keine Blöße, kein Straucheln. Es ist der komplette Gegenentwurf zu meinem Kampf. Deswegen mochte ich diesen ironischen Widerspruch.
Ihr autobiografisches Romanprojekt haben Sie jetzt vollendet. Und nun? Geht der Kampf weiter?
Natürlich, das ist mein Leben! Wissen Sie, ich kenne meine eigenen Traumata und inneren Kämpfe sehr gut, eben weil ich über sie schreibe!
Also ist Schreiben eine Art Anker, eine Überlebensstrategie für Sie?
Wenn ich mir vorstelle, kein Schriftsteller mehr zu sein, dann könnte ich zwar überleben, aber mein Leben hätte überhaupt keinen Sinn mehr.
Rund 3500 Seiten, verteilt auf sechs Romane - mit seinem autobiografischen Buchprojekt avancierte Karl Ove Knausgård zum internationalen Bestseller-Autor. Darin seziert er radikal sein eigenes Leben - von der schwierigen Kindheit, über die Unsicherheit als junger Schriftsteller bis zum Hadern mit der eigenen Vaterrolle. Im Original heißt das Projekt "Min Kamp 1-6". Bisher sind mit "Sterben", "Lieben", "Spielen", "Leben" und "Träumen" fünf Bände ins Deutsche übersetzt worden.