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Karlspreis unter dem Eindruck der Ukraine-Krise

Jennifer Fraczek29. Mai 2014

Die Verleihung des Karlspreises hat drei Regierungschefs aus ehemaligen Sowjetstaaten die Gelegenheit geboten, ihren Wunsch nach einer Annäherung an die EU deutlich zu machen. Russland dürfte das nicht gefallen.

Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk bei der Verleihung des Karlspreises an Herman Van Rompuy (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Es war ein Novum in der Geschichte des Internationalen Karlspreises zu Aachen, der für besondere Verdienste um die europäische Einigung verliehen wird: Wenige Tage nach der Europawahl und unter dem Eindruck der Ukraine-Krise gab es für den Preisträger erstmals keine klassische Laudatio, sondern drei Reden. Sie wurden gehalten von den Ministerpräsidenten der Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau - Arseni Jazenjuk, Irakli Garibaschwili und Iurie Leanca. Regierungschefs von Ländern also, deren Verhältnis zum mächtigen Russland gespannt bis tief zerrüttet ist.

Die Einladung der drei darf durchaus als Signal an Russland verstanden werden, dass die Europäische Union für östlichen Nachbarn weiterhin attraktiv ist. "Die Russen sehen, dass das Bemühen Anschluss an die EU zu finden, in dem Raum, den sie gewissermaßen als ihre Zone betrachten, nach wie vor stark ist", erklärte der Politikwissenschaftler Josef Janning im DW-Gespräch.

Vor allem die Reden Jazenjuks und des Preisträgers, des EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy, wurden mit Spannung erwartet. Würden sie Russland, das vor einigen Wochen die vormals ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim annektiert und mit der Eurasischen Wirtschaftsunion gerade ein Gegenprojekt zur EU gegründet hat, deutlich kritisieren? Die Antwort lautet: Ja.

"Niemand darf neue Grenzen ziehen"

Jazenjuk sagte, ohne Russland namentlich zu nennen: "Niemand hat das Recht, die UN-Charta zu verletzten und in Europa neue Grenzen zu ziehen und neue Mauern zu errichten." Beim Nachdenken über das neue Europa gehe es nicht nur um die Osterweiterung, die Ukraine müsse ihre Werte erweitern. Sein Land müsse für Frieden und Freiheit kämpfen - "mit allen Mitteln und Werkzeugen".

Demonstranten vor dem Aachener Rathaus, wo der Karlspreis verliehen wurdeBild: picture-alliance/dpa

Die Rede des ukrainischen Ministerpräsidenten habe gezeigt, wo er sein Land sehe, sagte Janning, der beim European Council on Foreign Relations (ECFR) arbeitet. "Auf der einen Seite in Abgrenzung zu den Ansprüchen Russlands, auf der anderen Seite auf einem Weg zu tieferen Beziehungen zur EU - obwohl er diesen Part nicht besonders stark betont hat." Seine Nähe zur EU habe er bekräftigt, indem er sagte, dass es in diesem Europa keinem Staat gestattet sei, neue territoriale Ansprüche zu stellen.

Ähnlich kritisch gegenüber Russland äußerte sich der Karlspreisträger Van Rompuy selbst. "Destabilisierung durch unseren gemeinsamen Nachbarn Russland ist nicht akzeptabel", sagte der 66-Jährige. Das Vorgehen Russlands sei umso bedauerlicher, als das Land "vollständig zur europäischen Zivilisation, zur europäischen Kultur" gehöre. In Europa gebe es keine Grenzansprüche zu Lasten der Nachbarn.

Etwas allgemeiner formulierte der Ministerpräsident der Republik Moldau seine Kritik. Iurie Leanca sagte: "In diesen Tagen sehen wir im Osten unseres gemeinsamen Kontinents ein sich entwickelndes geopolitisches Ringen - etwas, was wir in Europa nie wieder erleben zu müssen glaubten."

Russland nimmt EU als expansionistisch wahr

Zu einer Reaktion werde sich Russland aufgrund der Einladung der drei Regierungschefs und der Reden bei der Karlspreis-Verleihung wohl nicht veranlasst sehen, sagt Janning. "Ich glaube nicht, dass der Kreml dem Karlspreis eine so überragende Bedeutung beimisst, dass er ihn als eine zentrale Station in der Rivalitätssituation mit der Europäischen Union bewertet."

Die Veranstaltung sei aber für die russischen Machthaber "schon ein weiteres Mosaiksteinchen in ihrer Wahrnehmung der EU als eine gegen Russland gerichtete Veranstaltung" - und eine Bestätigung ihrer Meinung, dass die EU expansionistisch sei. "Solange sie die EU so interpretieren, werden sie solche Zusammentreffen immer als Teil einer Expansionsstrategie missverstehen und nicht verstehen, dass es das Drängen der Menschen in dieser Region ist, an die Europäische Union Anschluss zu finden." Dieses Drängen wurde besonders deutlich bei der Rede des Moldawiers Leanca. Europa bedeute für sein Land eine Zukunft, die europäische Integration sei für die Republik Moldau eine Existenzfrage, sagte er.

Die Existenzfrage muss sich indes auch die EU selbst immer wieder stellen - insbesondere nach den Ergebnissen der jüngsten Europawahl, die viele Stimmen für europakritische Parteien gebracht hatte. Auch darauf ging Van Rompuy ein. Die EU müsse sich da zurückhalten, wo die nationalen Behörden am besten in der Lage seien, Abhilfe zu schaffen. Die Gemeinschaft solle Vertrautes respektieren: Im Sozialbereich, bei regionalen Traditionen und Identitäten. Die Menschen müssten sich in der EU zuhause fühlen.

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