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Politik

"Zeit für eine neue Afghanistan-Konferenz"

12. Juni 2018

Erst die Sowjets, dann die USA und die eigenen Nachbarn. Für Ex-Präsident Karsai sind vor allem fremde Kräfte für die Gewalt in Afghanistan verantwortlich. Frieden gibt es nur mit den Taliban, sagt er beim GMF in Bonn.

Keynote: Hamid Karzai (Former President of Afghanistan, Afghanistan)
Bild: DW/U. Wagner

Auf dem Global Media Forum in Bonn bekommt der früherer Präsident Hamid Karsai gleich zwei Bühnen, um an den nicht enden wollenden Konflikt in seinem Heimatland Afghanistan zu erinnern. Leitthema der internationalen Medienkonferenz der Deutschen Welle ist Global Inequality - Ungleichheiten überall auf der Welt. Afghanistan ist auf dem Global Peace Index, der Auskunft über den Frieden innerhalb eines Landes gibt, in den letzten Jahren kontinuierlich nach unten gerutscht - und nimmt aktuell den vorletzten Platz ein. Schlimmer ist es nur in Syrien.

Karsai hat eine genaue Vorstellung davon, wie sein Land in diese missliche Lage gekommen ist. Und er hat eine Idee, wie Frieden in Afghanistan einkehren könnte. Der ehemalige afghanische Präsident bezeichnet sich selbst gern als Pazifisten in einem Land, in dem die Gewalt längst eskaliert ist.

Vor Karsais erstem Auftritt heißt es warten. Der Raum ist gut gefüllt, auf dem Podium in der Mitte vertreiben sich die anderen Panel-Teilnehmer die Zeit und sprechen über ihre persönlichen Eindrücke bei der internationalen Medienkonferenz. "Karsai liebt den großen Auftritt", sagt Moderatorin Waslat Hasrat-Nazimi  - zwar augenzwinkernd, doch nur halb im Scherz.

Der 60-Jährige eilt schließlich ohne viel Aufhebens zu seinem Platz. Bemerkenswert ist sein Auftritt beim Global Media Forum trotzdem: Seine Delegation besteht vornehmlich aus Getreuen aus Präsidentschaftszeiten. Darunter sind die beiden Ex-Außenminister Spanta und Rassoul. Die Gefolgschaft erinnert an eine Wahlkampftruppe und befeuert Gerüchte, wonach Karsai ein weiteres Mal nach der Macht in Afghanistan greifen will.

Kann es Frieden in Afghanistan geben? Und wenn ja, wie? Dazu äußert sich nicht nur Karsai, der von 2001 bis 2014 Präsident des Landes war. Mit ihm diskutieren Markus Potzel, von 2014 bis 2016 deutscher Botschafter in Kabul und heute Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Afghanistan und Pakistan, Horia Mosadiq, die für Amnesty International tätig ist sowie die DW-Journalistin und Afghanistankennerin Sandra Petersmann.

"Dies ist nicht der Krieg der Afghanen"

Bereits bei der Frage, woher die Gewalt in Afghanistan rührt, wird die Runde lebendig - und uneins. Für Karsai ist die Sache klar: Die anderen sind in erster Linie Schuld am dauerhaften Kriegszustand des Landes. "Dieser Krieg ist nicht der Krieg der Afghanen. Die Afghanen sterben aufgrund der Interessen anderer."

Gründe für diese Ansicht hat Karsai durchaus. 1979 marschierten die Sowjets in Afghanistan ein, um die säkulare kommunistische Regierung des Landes zu stützen. Afghanistan geriet zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen den zentralen Mächten der Sowjetunion und den USA, die den Vormarsch der Kommunisten eindämmen wollten. Zu diesem Zweck wurden viele Millionen Dollar aus den USA und den Ölmonarchien am Golf an oft dschihadistisch motivierte Widerstandsgruppen weiter geleitet.

Auch aus Pakistan floss Geld an die Islamisten. Der Verdacht, das Nachbarland unterstütze die Taliban auch nach deren Sturz im Herbst 2001, hält sich hartnäckig. Deshalb werden auch die Nachbarländer von Karsai scharf angegriffen, speziell Pakistan. "Der Grund, weshalb wir bis jetzt keinen Erfolg im Friedensprozess erzielt haben sind unsere Nachbarn."

Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung Markus Potzel widerspricht dem Ex-Präsidenten entschieden. Bei dem Krieg in Afghanistan handele es sich sehr wohl auch um einen inner-afghanischen Kampf. "Die staatliche Strukturen sind sehr schwach - und das seit vielen Jahrzehnten", wirft der Diplomat ein. Auch Sandra Petersmann reichen Karsais Deutungen nicht aus, um den Konflikt in Afghanistan zu erklären: Zwar gebe es viele externe Faktoren. Doch auch die afghanische Regierung sei sich nicht einig.

Mehr Frauen, weniger bärtige Männer

Die Menschenrechtsaktivistin Horia Mosadiq kritisiert zudem die Instrumentalisierung von Frauen. "Frauen wurden benutzt, um den Krieg zu rechtfertigen. 'Lasst uns die afghanischen Frauen befreien', hieß es." In den Friedensverhandlungen hätte wiederum keine einzige Frau je eine entscheidende Rolle inne gehabt. "Die Friedensverträge werden stattdessen von großen bärtigen Typen mit grauem Haar geschlossen."

Frieden nur mit den Taliban: Hamid Karsai beim Global Media Forum der Deutschen Welle in BonnBild: DW/U. Wagner

Mosadiq greift den ehemaligen Präsidenten schließlich direkt an. Karsai habe Afghanistan in den Jahren 2003 und 2004 im Stich gelassen. Anstatt hinter Schloss und Riegel seien viel zu viele Verbrecher im Machtpositionen und im Parlament gelandet. "Der Friedensprozess ist deshalb gescheitert, weil man, anstatt Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen, immer wieder einen weiten Bogen um das Recht gemacht hat."

Karsai hingegen glaubt, für die Herrschaft des Gesetzes bräuchte es zuerst Frieden, nicht umgekehrt. "Es war ein großer Fehler, die Taliban 2001 nicht zur ersten Afghanistan-Konferenz nach Bonn eingeladen zu haben". resümiert der Ex-Präsident. Auch Markus Potzel räumt ein, dass das ein Versäumnis gewesen sei. Damals aber schienen die Taliban besiegt, man habe deshalb keine Veranlassung gesehen, die Islamisten mit an den Verhandlungstisch zu bitten.

Hamid Karsai setzt mehr denn je auf Verhandlungen. Er wünscht sich eine weitere Afghanistan-Konferenz in Bonn. Eine, an der auch die Taliban teilnehmen. Später wiederholt er diese Forderung in einer Rede im großen Plenarsaal des ehemaligen Bundestages. Dafür spricht auch eine Zahl, die an diesem Tag beim GMF schon mehrfach von verschiedenen Diskutanten betont worden war: Rund 70 Prozent des afghanischen Territoriums werden heute von den Taliban kontrolliert. 

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