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Politik

Präsident erteilt Schießbefehl bei Unruhen

7. Januar 2022

Angesichts blutiger Ausschreitungen greift Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew hart durch: Er ordnete an, dass die Sicherheitskräfte im Falle weiterer Unruhen ohne Vorwarnung schießen sollen.

Proteste in Kasachstan | TV-Ansprache Präsident Toqajew
Kassym-Schomart Tokajew, Präsident von Kasachstan, setzt auf Härte (Archivbild) Bild: Kazakhstan's Presidential Press Service/AP/dpa/picture alliance

Wer sich nicht ergebe, werde vernichtet, drohte Präsident Kassym-Schomart Tokajew in einer Fernsehansprache. Mit Blick auf die Demonstranten sprach er von "Terroristen", die aus dem Ausland gesteuert seien. Bis zu 20.000 Banditen hätten die Wirtschaftsmetropole Almaty angegriffen und Staatseigentum zerstört. Die Angreifer hätten einen "klaren Plan" gehabt und seien "bereit für den Kampf" gewesen. Ihre "Eliminierung" werde nun aber "in Kürze abgeschlossen sein". Die tagelangen zum Teil gewaltsamen Proteste hatten sich an einer drastischen Erhöhung der Autogaspreise zum Jahreswechsel entzündet und richten sich inzwischen auch gegen die Führung des öl- und gasreichen zentralasiatischen Landes.

Er habe beschlossen, in einigen Regionen die Sperrung des Internets wieder aufzuheben, sagte Tokajew. Russland und andere Nachbarstaaten hätten auf seine Bitte hin Friedenstruppen geschickt. Am Donnerstag waren erste Einheiten des russisch geführten Militärbündnisses "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" (OVKS) in Kasachstan eingetroffen. Sie blieben vorübergehend im Land, um die Sicherheit zu gewährleisten, erklärte Tokajew. "Mein besonderer Dank gilt dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er hat sehr schnell und vor allem freundlich auf meinen Anruf reagiert", sagte der Präsident in der Ansprache. Seinen Dank richtete der Staatschef auch an China, Usbekistan und die Türkei. Zur Zahl der entsandten Soldaten machte die OVKS zunächst keine Angaben.

Das Foto des russischen Verteidigungsministerium zeigt ankommende Fallschirmspringer in AlmatyBild: Russian Defence Ministry/dpa/picture alliance

Schon wieder Zusammenstöße

Die Proteste und gewalttätigen Ausschreitungen gehen offenbar weiter. Den zentralen Platz der Millionenstadt Almaty besetzten über Stunden abwechselnd kasachische Truppen und Demonstranten. Reporter der Nachrichtenagentur Reuters berichteten von Explosionen und Schüssen. Die genaue Lage vor Ort ist unklar, Internetseiten kasachischer Medien sind vom Ausland aus nicht zu erreichen. In Almaty gibt es kaum ausländische Beobachter.

Infolge der Unruhen wurden nach Angaben des Innenministeriums 26 Demonstranten getötet. Es nannte die Todesopfer "bewaffnete Verbrecher". Zudem habe es mehr als 3000 Festnahmen gegeben, meldet der Staatssender Khabar 24 am Freitagmorgen unter Berufung auf das Ministerium. Schon am Donnerstag hatte das Staatsfernsehen berichtet, allein in Almaty seien Dutzende Menschen "eliminiert" worden. Das ließ bereits auf zivile Todesopfer schließen. Das Innenministerium bestätigte nun auch den Tod von 18 Polizisten und Nationalgardisten. Fast 400 Verletzte würden landesweit im Krankenhaus versorgt, 62 Menschen befänden sich auf der Intensivstation, sagte der stellvertretende Gesundheitsminister Aschar Guinijat.

Demonstranten stehen in Almaty ...Bild: Pavel Mikheyev/REUTERS

Am Donnerstagabend Moskauer Zeit hatte das russische Verteidigungsministerium die Ankunft einer von Russland angeführten sogenannten Friedenstruppe vermeldet. Erstmals überhaupt in der Geschichte des von Moskau ins Leben gerufenen Militärbündnisses "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" schickt die Allianz Einheiten in einen Mitgliedstaat. Der Allianz gehören neben Russland und Kasachstan vier weitere ehemalige Sowjetrepubliken an, Belarus, Armenien, Kirgisistan und Tadschikistan. Zur Zahl der entsandten Soldaten gibt es keine Angaben.

... kasachischen Sicherheitskräften gegenüberBild: Pavel Mikheyev/REUTERS

Auswärtiges Amt fordert Ende der Gewalt

Das deutsche Außenministerium äußerte sich besorgt über die Entwicklung in Kasachstan. Gewalttätige Ausschreitungen seien kein akzeptables Mittel der politischen Auseinandersetzung, erklärte das Ministerium. Es gelte jetzt, eine friedliche Lösung im Rahmen eines umfassenden Dialogs mit allen Beteiligten zu finden.

Ausgebranntes Autowrack vor dem brennenden Amtssitz des Bürgermeisters von AlmatyBild: Valery Sharifulin/TASS/dpa/picture alliance

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb auf Twitter, die Rechte und die Sicherheit der Zivilbevölkerung müssten sichergestellt sein. Die EU sei bereit, bei der Bewältigung der Krise zu helfen.

Auch der französische Präsident Emmanuel Macron und die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen forderten ein Ende der Gewalt. "Die Rechte und die Sicherheit der Bürger sind von grundlegender Bedeutung und müssen garantiert werden. Ich rufe dazu auf, die Gewalt zu beenden und Zurückhaltung zu üben", sagte von der Leyen am Freitag in Paris an der Seite von Macron, der sich ihren Worten voll anschloss.

US-Regierung warnt

Die US-Regierung warnte Moskau vor Menschenrechtsverletzungen und betonte, die internationale Gemeinschaft werde ein Auge auf das Vorgehen der OVKS-Truppe in Kasachstan haben. "Die Vereinigten Staaten und die ganze Welt werden jegliche Verletzung der Menschenrechte beobachten", sagte US-Außenamtssprecher Ned Price. "Wir werden auch auf Handlungen achten, die die Grundlage zur Beschlagnahmung kasachischer Institutionen bilden könnten."

Das US-Außenministerium gab inzwischen grünes Licht für die Ausreise von nicht dringend benötigtem Konsulatspersonal aus Kasachstan. Mitarbeiter, die nicht für Notfälle zuständig sind, dürften das Land verlassen, hieß es in einer Erklärung in Washington.

Die Lage im autoritär regierten Kasachstan war in den vergangenen Tagen eskaliert. Proteste, die sich zunächst gegen steigende Gaspreise gerichtet hatten, weiteten sich zu regierungskritischen Massenprotesten im ganzen Land aus. Dabei kam es immer wieder zu massiven Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Angesichts der jüngsten Protestwelle in ihrem Heimatland sagte die unabhängige kasachische Journalistin Aigerim Toleukhanova, für den jüngsten Aufstand seien die zunehmende Unterdrückung und falsche Versprechungen verantwortlich, auch wenn "der Anstieg der Ölpreise" der letzte Funke gewesen sei. "Es geht definitiv nicht um diese eine Sache, denn die politische, wirtschaftliche und soziale Lage in Kasachstan hat sich in den letzten Jahren nicht verbessert", sagte Toleukhanova der Deutschen Welle. "Nachdem wir 2019 den Präsidenten austauschen mussten, wurden den Menschen Veränderungen und echte politische Reformen versprochen. Aber in Wirklichkeit ist das nicht passiert. Vielmehr wurde es noch repressiver. Deshalb sind die Menschen sehr wütend geworden."

qu/mak/kle/pg (afp, dpa, rtr)

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