Hält die Waffenruhe im Konflikt um Kaschmir?
Veröffentlicht 10. Mai 2025Zuletzt aktualisiert 10. Mai 2025
Im aufgeheizten Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Region Kaschmir ist überraschend eine Feuerpause vereinbart worden. "Pakistan und Indien haben sich mit sofortiger Wirkung auf eine Waffenruhe geeinigt", schrieb Pakistans Außenminister Ishaq Dar auf der Online-Plattform X. Die Vereinbarung wurde auch von Indien bestätigt.
Zuvor hatte bereits US-Präsident Donald Trump eine "vollständige und sofortige" Waffenruhe verkündet. Trump zufolge vermittelten die Vereinigten Staaten zwischen den beiden Atommächten. "Ich gratuliere beiden Ländern zu ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer großen Intelligenz", schrieb Trump auf seinem Online-Sprachrohr Truth Social. Und er kündigt weitere Zusammenarbeit wie auch intensivere Handelsbeziehungen mit beiden Staaten an.
Ungeachtet der vereinbarten Feuerpause kam es weiterhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. "Was zum Teufel ist gerade mit der Waffenruhe passiert? In ganz Srinagar sind Explosionen zu hören", schrieb Omar Abdullah, der Regierungschef des indischen Unionsterritoriums Jammu und Kaschmir, auf X. Auch ein für Kaschmir zuständiger pakistanischer Minister erklärte am Samstagabend, die Scharmützel an der De-facto-Grenze dauerten an.
Truppenstärke: Zwei der größten Armeen des Kontinents
Das Wiederaufflammen des Konflikts in den vergangenen Tagen und Wochen hat weltweit große Besorgnis ausgelöst, denn mit Indien und Pakistan stehen sich zwei besonders hochgerüstete Länder gegenüber. Ein Überblick:
Indiens Militär ist mit fast 1,5 Millionen aktiven Soldaten nach Chinas Volksbefreiungsarmee die zweitgrößte Armee Asiens. Hinzu kommen 1,1 Millionen Reservisten, die im Ernstfall nachrekrutiert werden könnten und nach verschiedenen Quellen bis zu 2,5 Millionen Menschen, die in paramilitärischen Einheiten organisiert sind. Demnach könnten in einem Krieg etwa fünf Millionen Menschen unter Waffen stehen.
In Pakistans Armee dienen derzeit rund 650.000 Mann. Damit verfügt das Land über die fünftgrößte Armee des Kontinents. Hinzu kommen etwa 550.000 Reservisten und eine ebenso große Zahl an Paramilitärs - zusammen sind das rund 1,7 Millionen bewaffnete Kämpfer.
Wie viele dieser Militärs und Paramilitärs in Kaschmir stationiert sind, dazu machen beide Länder keine exakten Angaben. Schätzungsweise sollen auf indischer Seite bis zu 750.000 Mann stationiert sein. Dabei bewachen sie nicht nur die "Line of Control", also den umstrittenen Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan, sondern gehen auch rigoros gegen verschiedene Separatistengruppen im Inneren der mehrheitlich muslimisch bevölkerten Provinz Jammu und Kaschmir vor.
Pakistans Armee: Der Staat im Staate
Auf pakistanischer Seite wiederum sollen etwa 150.000 Soldaten stehen, auch hier kommen verschiedene militante Gruppierungen hinzu. Indien bezeichnet diese als Terrorgruppen und bezichtigt Pakistan, sie zu unterstützen. Pakistan wiederum bestreitet dies.
Anders als in Indien spielt die Armee in Pakistan seit jeher auch in Politik und Gesellschaft eine besondere Rolle. Seit der Gründung des Staates im Jahr 1947 kam es zu mehreren Militärputschen; bis heute besitzt die Armeeführung großen indirekten Einfluss auf die Außen- und Sicherheitspolitik des Landes sowie auf Regierungswechsel und politische Entscheidungen. Auch in die Wirtschaft des Landes ist Pakistans Militär stark involviert und an zahlreichen Unternehmen beteiligt.
Militärisches Schwergewicht Indien
Bei den Rüstungsausgaben ist Indien ein absolutes Schwergewicht - dem neuesten SIPRI-Bericht zufolge gab Neu Delhi im vergangenen Jahr rund 86 Milliarden US-Dollar für Verteidigung aus - soviel wie noch nie in der Geschichte des Landes. In den vergangenen Jahren ist Indiens Militärhaushalt dabei kontinuierlich gewachsen - mittlerweile ist er mehr als achtmal so hoch wie der seines Rivalen Pakistan (rund zehn Milliarden US-Dollar).
Indien ist - nach der Ukraine - der zweitgrößte Waffenimporteur der Welt. Die meiste Armeeausrüstung kommt dabei aus Russland. Erst im März unterzeichneten Neu Delhi und Moskau einen millionenschweren Vertrag, durch den Indien leistungsstärkere Motoren für seine (ebenfalls aus Russland stammenden) T72-Kampfpanzer erhalten soll. Darüber hinaus arbeiten indische und russische Rüstungsunternehmen schon seit Jahren bei der Forschung, Entwicklung und Produktion von Waffensystemen zusammen.
Dennoch ist der Anteil russischer Waffenimporte in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen. Indien setzt mehr als zuvor auf seine eigene Rüstungsindustrie, kauft aber auch bei westlichen Staaten ein. So soll Frankreich etwa bis 2030 weitere 26 Rafale-Kampfjets an Indien liefern - bereits 2016 hatte Paris 36 Jets dieses Typs an Neu Delhi verkauft. Aber auch die USA oder Israel gehören zu den größeren Waffenlieferanten des Landes.
Pakistan: Große Abhängigkeit von China
Auf der Liste der größten Waffenimporteure der Welt belegt Pakistan Rang fünf. In den vergangenen Jahren hat Islamabad insbesondere in seine Luftwaffe und Marine investiert. Die meisten Lieferungen stammen aus China, in den vergangenen vier Jahren bezog Pakistan 81 Prozent seiner Rüstungsgüter aus der Volksrepublik.
Chinas Beziehungen zu Indien sind nicht zuletzt aufgrund verschiedener Grenzkonflikte - auch in Kaschmir - angespannt, dafür unterhält Peking enge wirtschaftliche Beziehungen zu Pakistan: Über den "Chinesisch-Pakistanischen Wirtschaftskorridor" (CPEC) erlangen chinesische Güter einen Zugang zum Indischen Ozean. An dessen Endpunkt liegt der pakistanische Tiefseehafen Gwadar, der auch von der chinesischen Marine genutzt wird.
Ausgeglichene Atomwaffenarsenale
Rein zahlenmäßig und auch technologisch sind die konventionellen indischen Streitkräfte den pakistanischen deutlich überlegen. Doch was den Konflikt um Kaschmir und eine mögliche Eskalation besonders gefährlich macht: Sowohl Indien als auch Pakistan sind Atommächte, besitzen SIPRI-Schätzungen zufolge jeweils rund 170 Nuklearsprengköpfe.
Beide Länder verfolgen den Ansatz, eine Anzahl an Atomwaffen zu halten, die ausreicht, um eine glaubwürdige Abschreckung zu gewährleisten. Während sich Indien 1999 einseitig verpflichtet hat, auf einen atomaren Erstschlag zu verzichten, gibt es in Pakistan angesichts der deutlichen konventionellen Unterlegenheit gegenüber Indien keine solche Verzichtserklärung. Sollte Pakistan in einem offenen Krieg stark in die Defensive gedrängt werden, behält es sich zumindest die Option eines nuklearen Erstschlages vor.
Seit ihrer Staatsgründung im Jahre 1947 führten Indien und Pakistan drei Kriege gegeneinander, den letzten im Jahr 1971. Als junge Atommächte gerieten die beiden Staaten im sogenannten Kargil-Konflikt 1999 aneinander, konnten eine weitergehende Eskalation aber nach wenigen Monaten verhindern. Seitdem haben beide Länder ihre Atomwaffenarsenale kontinuierlich ausgebaut.
Änderungshinweis: Angesichts abweichender Zahlen in unterschiedlichen Quellen haben wir das Ranking der militärischen Stärke Indiens und Pakistans neu formuliert.