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Politik

Kaschmir: Konflikt auf dem Dach der Welt

27. Februar 2019

Seit ihrer Unabhängigkeit vor 72 Jahren vergiftet der Streit um die Bergregion das Verhältnis zwischen Indien und Pakistan. Ein Überblick über die verhakten Positionen und wichtigsten Ereignisse in einem Dauerkonflikt.

Indien Pakistan Grenze Grenzübergang Wagah Punjab Fahnenzeremonie
Bild: BEHROUZ MEHRI/AFP/Getty Images

Wie so viele Konflikte dieser Welt begann auch der Streit um den Kaschmir mit der Unabhängigkeit von den Kolonialmächten. 1947 beugte sich Großbritannien dem Druck der gewaltfreien Unabhängigkeitsbewegung Mahatma Gandhis sowie der Muslimliga und gab seine Kolonie Britisch-Indien auf. Die zurückweichenden Briten ließen zwei Staaten zurück: die säkulare Indische Union und die Islamische Republik Pakistan.

Der Fürstenstaat Jammu und Kaschmir im nördlichen Grenzgebiet der beiden neuen Staaten stand mit der Teilung der einstigen Kolonie vor einem Problem: Traditionell herrschte ein hinduistischer Maharadscha, die Bevölkerung war jedoch mehrheitlich muslimisch. Maharadscha Hari Singh hoffte, sein Gebiet für unabhängig erklären zu können und zögerte deshalb die Angliederung an einen der beiden neuen Staaten hinaus. Allerdings war die spezielle Konstellation im Kaschmirtal für beide Staaten interessant: Indien sieht sich bis heute als säkulare Nation, in der mehrere Religionen zusammenleben, deshalb ist die einzige Provinz mit muslimischer Mehrheit ein wichtiger Bestandteil. Pakistan hingegen verstand sich als Staat aller Muslime in Südasien - Staatsgründer Mohammed Ali Jinnah zeichnete das Bild von je einer muslimischen und einer hinduistischen Nation auf dem Subkontinent (bis 1971 gehörte auch das östlich von Indien gelegene Bangladesch zu Pakistan).

Die Kaschmirkriege

Während der Maharadscha noch zögerte, versuchten pakistanische Freischärler 1947, Tatsachen zu schaffen und das Fürstentum Kaschmir unter ihre Kontrolle zu bringen. Hari Singh rief Indien um Hilfe, und kurze Zeit später standen sich Truppen beider Seiten gegenüber. Der erste Kaschmirkrieg endete am 1. Januar 1949 mit einer de-facto-Teilung des Fürstenstaats entlang der "Line of Control", der bis heute geltenden inoffiziellen Grenzlinie. Die UN entsandten damals eine Beobachtermission, die bis heute vor Ort ist. Pakistan kontrolliert seit 1949 die nördliche Sonderprovinz Gilgit-Baltistan und die sichelförmige Teilregion Azad Kaschmir, der indische Teil ging 1957 in den Bundesstaat Jammu und Kaschmir auf.

Die folgenden Jahrzehnte waren geprägt von beidseitigem Aufrüsten. Indien begann mit der Entwicklung einer Atombombe, Pakistan startete alsbald ein eigenes Nuklearprogramm, um dem übermächtigen Nachbarn Paroli bieten zu können. Heute besitzen Indien und Pakistan geschätzt rund 140 bzw. 150 Atomsprengköpfe. Indien hat im Gegensatz zu Pakistan Erstschläge bereits explizit ausgeschlossen. Gemessen an der Wirtschaftsleistung sind die pakistanischen Ausgaben für das Atomprogramm sehr hoch und sollen dazu dienen, militärisch nicht hinter den Nachbarn zurückzufallen.

1965 versuchte Pakistan noch einmal, diesen Grenzverlauf mit militärischer Gewalt zu verändern, scheiterte jedoch am indischen Militär. 1971 gerieten die Nachbarn zum dritten Mal aneinander, diesmal war Kaschmir jedoch eher ein Nebenkriegsschauplatz des Unabhängigkeitskampfes im 2000 Kilometer entfernten Bangladesch. Indien, das die bengalischen Unabhängigkeitskämpfer unterstützte, bezwang Pakistan auch diesmal. Daraufhin schlossen beide Länder 1972 das Shimla-Abkommen, in dem sie die Bedeutung der "Line of Control" stärkten und für bilaterale Verhandlungen entraten, in denen die Ansprüche auf die Kaschmir-Region ein für allemal geklärt werden sollten.

Ab 1984 gab es neue Gefechte rund um den von Indien besetzten Siachen-Gletscher, 1999 kämpften beide Seiten um Militärposten auf der indischen Seite der "Line of Control". 2003 schlossen Indien und Pakistan einen neuen Waffenstillstand, der jedoch bereits seit 2016 brüchig ist.

Soldaten kontrollieren im April 2018 die Innenstadt von Srinagar im indischen Teil KaschmirsBild: Reuters/D. Ismail

Der dritte Nachbar

Auch der dritte Anrainer, die Volksrepublik China, spielt eine Rolle in diesem Konflikt. Sie eroberte 1962 ein an Kaschmir angrenzendes Gebiet von Indien und ging ein Bündnis mit Pakistan ein. Über den neu errichteten Karakorum Highway, der Pakistan über das westliche Kaschmir-Gebiet mit China verbindet, treiben beide Länder bis heute Handel. Der Korridor soll im Zuge der chinesischen Expansionspolitik unter Xi Jinping weiter ausgebaut werden: Die einstige Schotterpiste wird gerade zu einer ganzjährig befahrbaren mehrspurigen Asphaltstraße ausgebaut. China investiert 57 Milliarden US-Dollar in pakistanische Infrastruktur- und Energieprojekte, so viel wie in keinem anderen südasiatischen Land. Das wirtschaftliche Bündnis mit dem mächtigen Nachbarn zementiert Pakistans Ansprüche auf den Himalaya-Ausläufer.

Aufständische und Anschläge

Die Regierungen der angrenzenden Staaten sind jedoch nicht mehr die einzigen Konfliktparteien im Kaschmir. Auf beiden Seiten der "Line of Control" gibt es spätestens seit den 1980er Jahren militante Gruppen, die den Status Quo mit Gewalt aufbrechen wollen. Sie machen die Sicherheitslage zunehmend unübersichtlich. Bei terroristischen Anschlägen wurden in den vergangenen 30 Jahren mindestens 45.000 Menschen getötet. Die Gesamtzahl der Toten in dem Konflikt liegt laut Menschenrechtsorganisationen bei mindestens 70.000.

Pro-pakistanische Aufstandsgruppen haben häufig auch einen islamistischen Hintergrund. Indien wirft Pakistan verdeckte Unterstützung militanter Gruppen wie Jaish-e-Mohammed (JeM) oder Lashkar-e-Taiba (LeT) vor. Zeitweise wurde befürchtet, dass sich die "IS"-Miliz im Kaschmir festsetzt. Lashkar-e-Taiba soll unter anderem für den Terroranschlag in Mumbai im November 2008 verantwortlich sein. Zu den jüngsten Anschlägen im Februar 2019 hat sich die JeM bekannt, die in ihren Anfangstagen wiederum eng mit Al-Qaida verbandelt war. Indien macht JeM unter anderem auch für den Anschlag auf das Parlament in Neu-Delhi 2001 mit 14 Toten verantwortlich.

In der pakistanischen Hafenstadt Lahore feiern Menschen den Abschuss zweier indischer MilitärflugzeugeBild: Reuters/M. Raza

Seit einem Autobombenanschlag der JeM am 14. Februar, durch den in Srinagar mindestens 40 indische Sicherheitskräfte getötet wurden, spitzt sich der Konflikt wieder zu. Indien flog Vergeltungsangriffe im pakistanischen Teil Kaschmirs, worauf wiederum Pakistan zwei indische Kampfflugzeuge abschoss und einen der Piloten in Gewahrsam nahm. Die Verschärfung fällt mitten in den indischen Wahlkampf: In diesem Frühjahr wird ein neues Parlament gewählt. Die hindu-nationalistische BJP von Premierminister Narendra Modi fuhr zuletzt einen harten Kurs im Kaschmir-Konflikt. Pakistans Premier Imran Khan rief bereits zur Mäßigung auf. Ob die BJP in dieser Gemengelage sein aktuelles Gesprächsangebot annimmt, bleibt abzuwarten.

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