Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi ist in letzter Instanz schuldig gesprochen. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung in Millionenhöhe. Statt Gefängnis gibt es wohl Hausarrest. Bedeutet das sein politisches Aus?
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Vor dem Justizpalast in Mailand haben sich nach dem Schuldspruch des Kassationsgerichtes eine Handvoll Berlusconi-Anhänger versammelt. Sie gehen spontan für ihr Idol auf die Straße. "Politische Prozesse" nennt ein erzürnter Mann um die 50 die Gerichtsverfahren gegen Silvio Berlusconi. Eine Frau gleichen Alters nickt energisch.
Passanten betrachten neugierig, teilweise amüsiert, die Plakate, auf denen Berlusconi als politisch Verfolgter dargestellt wird. Annarita Galbiati, die auf dem Weg nach Hause an ihnen vorbeikommt, hat keine Sympathien für Silvio Berlusconi und doch ein mulmiges Gefühl im Bauch: "Ich habe ihn nicht gewählt und wenig für ihn übrig. Aber die Staatsanwälte haben sich so auf ihn eingeschossen, das ist doch übertrieben."
Berlusconis Gegner feiern
Auf der anderen Seite freuen sich alle, die Silvio Berlusconi seit Jahren für nicht wählbar halten. Sie sähen seine politische Karriere lieber heute als morgen beendet. Doch ihnen bleibt ein Wermutstropfen: Das Kassationsgericht hat zwar den Schuldspruch und die Gefängnisstrafe aus der vorhergehenden Instanz bestätigt. Das Verbot öffentliche Ämter auszuüben wurde jedoch zur Prüfung an ein Berufungsgericht verwiesen.
Hausarrest statt Gefängnis
Das bedeutet: Silvio Berlusconi hat politisch (noch) nichts zu befürchten. Nur das Ämterverbot hätte einen Ausschluss aus dem italienischen Senat zur Folge gehabt. Die Haftstrafe wird der Medienzar und Kopf der Partei "Volk der Freiheit" aufgrund seines Alters nicht im Gefängnis absitzen müssen. Silvio Berlusconi ist 76 Jahre alt.
Der Oppositionspolitiker Nando dalla Chiesa stellt sich Berlusconis Haftstrafe so vor: "Er wird unter Hausarrest gesetzt. Den verbringt er dann in einer wunderschönen Villa mit Swimmingpool und blühendem Garten. Das kommt für uns einem Urlaub gleich. Von dort wird er dann Reden an die Nation halten. Diese übertragen dann seine Fernsehsender und werden ihn als politischen Häftling darstellen."
Eine Rede an die Nation hat Silvio Berlusconi nach der Urteilsverkündung bereits gehalten. Darin streitet er ab, "jemals ein Steuerbetrugssystem auf die Beine gestellt zu haben" und erklärt, er habe im Gegenteil "zum Reichtum Italiens beigetragen". Ein Teil der Richterschaft sei "verantwortungslos" und habe sich darauf versteift, ihn juristisch zu verfolgen. Er werde aber den "Kampf für die Freiheit" fortsetzen und sich "nicht unterkriegen" lassen.
Basta Berlusconi!
Wegen Steuerhinterziehung wurde Silvio Berlusconi erstmals zu einer Haftstrafe verurteilt. Skandale, Frauen, aber auch Erfolge: Der schräge italienische Ex-Ministerpräsident war bei vielen Italienern beliebt.
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Vierjährige Haftstrafe für Berlusconi
Nach jahrelangen Prozessen in diversen Strafsachen das erste rechtskräftige Urteil: Das oberste Berufungsgericht bestätigte in dritter und damit letzter Instanz die vierjährige Haftstrafe gegen Berlusconi. Absitzen muss der 76-Jährige sie aber nicht - wegen einer Anmestieregelung und seines fortgeschrittenen Alters. Das fünfjährige Ämterverbot wird unterdessen erneut verhandelt.
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Bunga Bunga
Nicht so sehr die Steuerhinterziehung wurde Silvio Berlusconi in der Öffentlichkeit zum Verhängnis. Es waren vielmehr Sexparties, Prostituierte und Beischlaf mit der minderjährigen Ruby (hier im Bild). Die Eskapaden verstörten auch viele seiner treuesten Fans. Sieben Jahre soll der Macho aus Mailand wegen Ruby ins Gefängnis. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Berufung läuft.
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Erfolgreich
Trotz aller Skandale: Berlusconi hatte politisch Erfolg. Seine konservative Partei "Volk der Freiheit" ist der wichtigste Koalitionspartner des linken Ministerpräsidenten Enrico Letta. Berlusconi war vier Mal Regierungschef und kann die längste Amtszeit eines italienischen Ministerpräsidenten überhaupt vorweisen.
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Gegenwehr
Leidenschaftlich wie seine Anhänger sind auch seine Gegner: Protest der barbusigen Frauen von "Femen" bei den Parlamentswahlen im Februar 2013. Schon 2010 hatte es Massenproteste von Frauen-Organisationen und linksgerichteten Parteien gegen den damaligen Ministerpräsidenten gegeben. 2009 hatte ein geistig verwirrter Mann Berlusconi mit einer Statue im Gesicht verletzt.
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Besser ist ein Lied
Vor Selbstbewusstsein strotzend beglückte Berlusconi sein Fernsehpublikum, und manchmal auch verdutzte Staatsgäste, mit eigenhändig geschriebenen Schnulzen. Sein Motto: Ich kann alles. Seine Fans fanden es toll und kauften seine CD "Besser ist ein Lied".
Bild: ANSA/AFP/Getty Images
Herrscher der Glotze
Seine politische Macht stützte der Medienmogul auf Autritte in seinen eigenen privaten Fernsehkanälen. Aber auch in der staatlichen RAI tauchte der Medienunternehmer Berlusconi immer wieder als Gast in Talkshows auf, um seine Politik und sein Privatleben zu verteidigen. Die RAI-Spitze hatte er als Ministerpräsident mit ihm genehmen Funktionären besetzt.
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Tiefpunkt
Eine Zeitung aus dem Berlusconi-Konzern wirft im August 2012 unter der Überschrift "Viertes Reich" Deutschland vor, es wolle Italien kaputt sparen. Ein halbes Jahr zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit der EU Berlusconi zum Rücktritt gedrängt. Der Unternehmer musste gehen, weil er die Wirtschafts- und Schuldenkrise Italiens nicht in den Griff bekam.
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Hohn und Spott
Beim Karnevalszug in Düsseldorf 2010 machen die deutschen Jecken ihrem Ärger über Berlusconi Luft. Skandale und die angebliche Zusammenarbeit mit der Mafia dienen als Anregung für beißende Kritik.
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Rosenkrieg
Die Scheidung von seiner Frau wird zur Schlammschlacht, über die 2009 ganz Italien spricht. Veronica Lario bezichtigt Berlusconi, Beziehungen mit Minderjährigen zu pflegen. "Er ist krank", so die Ex-Gattin. Lario kassiert 36 Millionen Euro Unterhalt jährlich. Berlusconi verlobt sich mit einer Verkäuferin. Sie ist fast 50 Jahre jünger als er.
Bild: VINCENZO PINTO/AFP/Getty Images
Selfmade-Man
Nach seinem zweiten Wahlsieg 2001 war Silvio Berlusconi, der sich gerne Cavaliere (Ritter) titulieren lässt, zu Scherzen aufgelegt. Er hatte es geschafft: Vom Bauunternehmer zum Medienzar, Milliardär und Regierungschef aufgestiegen. Heute leitet Berlusconis Tochter Marina das Firmenimperium Fininvest. Der Vater hält aber die Mehrheit der Anteile und besitzt den Fußballclub AC Mailand.
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Verfolgungswahn
Zeitlebens fühlt sich Berlusconi von "linken" Staatsanwälten verfolgt. Zahlreiche Prozesse wegen Steuerbetrug, Korruption oder Bestechung kann er im politischen Amt abwiegeln, verschleppen oder verjähren lassen, was Demonstranten hier im Bild aufs Korn nehmen.
Bild: picture-alliance/dpa
Für immer jung
Rückblick: 1994 wird Berlusconi zum ersten Mal mit dem Fußball-Schlachtruf "Forza Italia" Regierungschef. Damals noch mit deutlich weniger Haaren und mehr Falten als heute. Zwischenzeitlich hat sich Berlusconi Haare implantieren und das Gesicht liften lassen. Der 76-Jährige steht dazu.
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Politische Konsequenzen
Die Frage ist nun, mit welchen politischen Konsequenzen Italien zu rechnen hat. Das Land befindet sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und hatte Wochen gebraucht, um nach den Parlamentswahlen im Februar 2013 eine stabile Regierung zu bilden. An dieser ist auch Berlusconis Partei "Volk der Freiheit" beteiligt. Berlusconis Intimus Angelino Alfano ist Innenminister und Vizepremier. Die "Ultras" in Berlusconis Partei hatten einen Austritt aus der Regierung angedroht, sollte der Schuldspruch gegen ihren Chef bestätigt werden. Nun dämpfen sie aber ihren Ton. "Unser Protest wird heftig ausfallen, sich aber im institutionellen Rahmen bewegen", erklärt Berlusconis Parteifreund Roberto Formigoni.
Der Mailänder Politikwissenschaftler Paolo Natale hält einen Rückzug aus der Koalition und damit einen Sturz der Regierung unter Führung des Linksdemokraten Enrico Letta für ein Eigentor. Das solle Berlusconi vermeiden, wenn er klug ist. "Wenn Berlusconis Partei an der Regierung bleibt, hat sie Zeit, sich zu regenerieren. Wenn aber Berlusconi die Regierung stürzt und es zu Neuwahlen kommt, würde von ihr nur ein Scherbenhaufen übrig bleiben."
Überaschungen à la Berlusconi sind nicht auszuschließen. So hält sich seit Wochen hartnäckig das Gerücht, Berlusconis Tochter Marina, Präsidentin des Familienunternehmens FININVEST, stehe schon in den Startlöchern, um den Parteivorsitz zu übernehmen.