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PolitikEuropa

"Ein Leben lang gewartet"

Mariel Müller
27. Oktober 2017

Tausende Katalanen haben die Sitzung ihres Regionalparlaments gebannt auf Bildschirmen in Barcelonas Straßen verfolgt. Die Stimmung nach Verkündung der Unabhängigkeit: ausgelassen, berichtet Mariel Müller.

Spanien Barcelona Separatisten in Barcelona
Bild: picture-alliance/Zuma Press/M. Oesterle

"Ich kann ich es kaum glauben! Nach so langer Zeit des Wartens auf genau diesen Moment! Es ist unglaublich, dass er jetzt endlich da ist!" Anna ist außer sich vor Freude. Ihre Stimme geht in den "Libertat" Rufen der tausenden Menschen um sie herum unter. Sie und ihr Freund Nicolas stimmen mit ein. Dann gibt sie ihm ein eindeutiges Zeichen und er geht auf die Knie. Das haben sie vorher so abgesprochen, sagt mir Anna später. Sie steigt auf seine Schultern und schwenkt die katalanische Flagge. Sie sind der einzige menschliche Turm in der Menge. "Etwas Katalanischeres als das gibt es nicht!", sagt Nicolas zitternd aber grinsend. Es ist eine katalanische Tradition, 2010 wurde dieser "Menschenturmbau" sogar in das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen.

Die beiden harren schon seit Stunden auf der Festmeile vor dem katalanischen Parlament aus. Auf einer großen Leinwand wird die Auszählung live aus dem Parlament übertragen. Jede "Sí"-Stimme wird gefeiert, jedes "No" mit lauten Buhrufen quittiert.

"Die Polizei soll sich nicht zum Präsidentenpalast wagen!"

Kaum ist die Unabhängigkeitserklärung raus, fallen sich alle in die Arme. Anna und Nicolas küssen sich ausgiebig. "Ich hoffe jetzt, dass sich die spanische Regierung kontrolliert und nichts Schlimmes passiert, zum Beispiel die Guardia Civil kommt." Anna ist nicht die einzige, die sich darüber Gedanken macht. Viele, die auf der Public Viewing-Demo feiern, haben ähnliche Sorgen. "Die Polizei soll es nicht wagen, auch nur in die Nähe des Präsidentenpalastes zu kommen!", sagt eine wütende Frau. Nicolas kann sich vorstellen, dass der katalanische Präsident jetzt verhaftet werden könnte. "Das sollen sie sich aber erstmal trauen, da bin ich gespannt, wie die Reaktion darauf aussehen wird."

Anna Ginorella Torrent und ihr Freund NIcolas Muscolo haben die Unabhängigkeitserklärung am Ende nicht mehr wirklich erwartet, die Freude ist jetzt daher umso größer.

"Es war mir peinlich, Teil Spaniens zu sein"

"Aber ich bin sehr aufgeregt! Ich habe sehr sehr lange darauf gewartet, eigentlich mein ganzes Leben", sagt Anna. Sie ist gebürtige Katalanin aus Barcelona und sehr stolz darauf. "Ich fühle mich absolut als 'Independentista', also als Unabhängigkeitsbefürworterin. Ihre Eltern waren es schon, sagt sie, aber das sei nicht der Grund, warum sie es auch ist. Während der letzten Jahre sei alles für die Katalanen schlimmer geworden. "Da mussten meine Eltern mir gar nichts sagen, ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen." Besonders die Polizeigewalt am Tag des Referendums hat sie in ihrer Überzeugung bestärkt: "Es war mir peinlich, ich wollte nicht mehr Teil von Spanien sein."

Spanische und katalanische Flagge vor dem Regionalparlament in BarcelonaBild: picture-alliance/ZUMA Wire/J. Boixareu

Anna ist 18 Jahre alt und studiert an der Universität in Barcelona. Warum sich ausgerechnet viele Studenten  der Unabhängigkeitsbewegung angeschlossen haben, trotz der ungewissen Zukunft? "Weil wir einen Wandel wollen. Wir, die Studenten, denken mehr als alle anderen an die nahe Zukunft. Wir wollen endlich raus aus der Krise. Wie sollen wir an eine Zukunft in diesem Land glauben, wenn wir gezwungen sind, zum Arbeiten in andere Länder zu ziehen?“ Anna ist fest davon überzeugt, dass die Unabhängigkeit dieses Problem lösen könnte.

Hoffen auf Unterstützung von außen

Ihr Freund Nicolas, 23, ist gebürtig aus Argentinien und hat italienische Wurzeln. Auch er studiert in Barcelona und kann sich nach ein paar Jahren hier schon gänzlich mit der Kultur Kataloniens identifizieren, sagt er und deutet stolz auf seine Brust. Auf seinem T-Shirt steht: "Independencia".
Katalonien ist etwas Besonderes, sagt er. "Die Ideen, die aus Katalonien kommen, sind nicht vergleichbar mit denen, die aus Spanien kommen. Das ist eine andere Welt." Diese Spaltung habe sich besonders in den letzten Wochen gezeigt.

"Wir hatten keinerlei Unterstützung von außen. Ich hoffe, dass sich jetzt mit der Unabhängigkeit etwas daran ändert", sagt er. Internationale Anerkennung sei wichtig. Ob sie nun auch kommen wird, wagt er nicht zu mutmaßen.