Verbreite Katalanisch!
18. August 2009Alessandras Erasmusjahr in Barcelona begann mit einem großen Missverständnis. Zuhause in Italien hatte ihr jeder erzählt, dass das Katalanische gegenüber dem Spanischen zweitrangig sei. Doch an der Uni merkte sie schon bald, dass das nicht stimmte: "Die Dozenten sprachen grundsätzlich Katalanisch, für Ausländer wie mich wurde da keine Ausnahme gemacht", sagt Alessandra. Zuerst hat sie sich darüber geärgert - und dann einen Sprachkurs am Consorci de Normalització Lingüistica gemacht.
Weit verbreitete Minderheitensprache
Die Sprachkurse sind günstig, denn die Regionalregierung Generalitat subventioniert sie. 2009 mit 35 Millionen Euro. Diese Förderung ist Teil der "sprachlichen Normalisierungspolitik", die mit der früheren Vormachtstellung des Spanischen brechen sollte. Seit den 1980er-Jahren wird diese Politik immer weiter ausgebaut. Heute werden an den öffentlichen Schulen bis auf Spanisch alle Fächer auf Katalanisch unterrichtet. Auch in den Rathäusern und im Regionalparlament debattiert man auf català, das eng mit dem Französischen, Italienischen und Spanischen verwandt ist.
Diese Politik scheint Erfolg zu haben: 95 Prozent der katalanischen Bevölkerung geben an, Katalanisch zu verstehen. 75 Prozent sprechen und lesen auf Katalanisch - das sind über zehn Prozent mehr als Mitte der 1980er-Jahre. Ein Autonomiestatut von 2009 macht es zur Pflicht, Katalanisch zu kennen. "Encomana el català" - "Verbreite Katalanisch" - heißt es in einer breit angelegten Medienkampagne, in der die Regionalregierung empfiehlt, auch mit Ausländern Katalanisch zu sprechen.
Katalanisch als Identitätsstifter
Dass das Katalanische so stark gefördert wird, liegt in der Geschichte begründet. Während des 40-jährigen Franco-Regimes war diese Sprache verboten. "Seltsam oder ungewöhnlich sind also nicht die Maßnahmen zur Förderung, sondern die vorherige Situation: Da funktionierte die gesamte Verwaltung nur auf Spanisch", sagt die Linguistin und Sprachlehrerin Eugènia Godayol. Für sie ist die Sprache eng an die Frage der Identität gebunden: "In meinem Pass steht, dass ich Spanierin bin. Aber meine Muttersprache ist Katalanisch, also fühle ich mich als Katalanin."
Spanien und Katalonien verbindet eine wechselvolle Geschichte. Im 13. Jahrhundert, als das Königreich Aragón zu einer bedeutenden Mittelmeermacht aufstieg, war Katalanisch die offizielle Hof- und Gelehrtensprache. Die Literatur blühte. Der katalanische Ritterroman "Tirant lo Blanc" galt als das beste Buch der Welt. Im 19. Jahrhundert war die Industrieregion Katalonien dann zwar reich, aber innerhalb Spaniens politisch unbedeutend. In dieser Zeit entdeckte das Bürgertum die alte Kultursprache neu und verknüpfte sie mit Forderungen nach nationaler Eigenständigkeit.
Positive Diskriminierung
Zwar will heute nur eine Minderheit die volle politische Unabhängigkeit für Katalonien, aber viele wünschen sich mehr Autonomie - und Anerkennung ihrer Unterschiedlichkeit. "Dass ich mich als Katalanin fühle, ist eher für andere ein Problem als für mich selbst", sagt Eugènia mit Blick auf die konservative Opposition in Madrid. Die wertet die positive Diskriminierung, durch die das Katalanische gefördert wird, als "Sprachdiktatur". Für Eugènia aber ist klar: Gäbe es diesen gesamtspanischen Nationalismus nicht, der argwöhnisch hinter allem den Zerfall Spaniens vermutet, wäre auch der katalanische Nationalismus sehr viel schwächer.
Im Klassenzimmer führt die erhitzte Debatte übrigens zu einem absurden Nebeneffekt. "In meinem Kurs sitzen fast nur Ausländer", erzählt die Italienerin Alessandra. "Die Spanier haben ein sehr viel größeres Problem, Katalanisch zu lernen, als wir."