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Politik

Katalanische Flaggen im Herzen Madrids

Santiago Saez (Madrid) phi | Peter Hille
29. September 2017

In Barcelona ist sie am stärksten, die Bewegung für ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens. Doch selbst in Madrid hat sie ihre Anhänger, wie Santiago Saez berichtet.

Spanien - Unterstützer für das katalanische Referendum in Madrid
Bild: Pedro Casas

Die Straße war voller Menschen, die "L'Estaca" sangen. Das Lied des Katalanen Lluis Llach war in den 1970er Jahren als Aufruf zur Einheit im Kampf gegen die spanische Diktatur populär. Der Liedermacher selbst hatte seinen Auftritt in letzter Minute absagen müssen, trotzdem waren Tausende gekommen.

Etwa eintausend Besucher konnten nach Aussage der Organisatoren nicht mehr in den überfüllten Saal des kleinen Theaters im Viertel Lavapies hineingelassen werden. Einige von ihnen schwenkten an diesem 17. September draußen die Estelade, die Flagge der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung. Ein Abend auf den Straßen Barcelonas? Nein, eine Szene in Madrid.

Unterstützer des katalanischen Referendums in MadridBild: Pedro Casas

"Das war wie ein Aufbruch, wie eine Katharsis. Viele Leute haben plötzlich realisiert, dass andere ähnlich denken wie sie, dass sie mit ihrer Meinung nicht allein dastehen", sagt Pedro Casas, einer der Organisatoren. Casas spricht für die "Madrilenen für das Recht auf freie Entscheidung", eine Bewegung, die sich für die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen einsetzt. Casas meint, seine Organisation vertrete keine Minderheit im Land, auch wenn Umfragen eine andere Sprache sprechen. "Wenn die Medien nicht die ganze Zeit versuchten, uns das Gegenteil einzutrichtern, dann wären die meisten Spanier wahrscheinlich für ein Referendum", sagt er.

Mit einem Glas Traubensaft in der Hand sitzt Casas, der 2015 erfolglos für die linke Podemos-Partei um das Bürgermeisteramt kämpfte, auf einer Terrasse in Carabanchel, seinem Heimatviertel im Südwesten Madrids. Trotz seiner politischen Verbindungen sei  "Madrilenen für das Recht auf eigene Entscheidung" eine parteipolitisch unabhängige Gruppierung, sagt er. Gesteht jedoch ein, dass die meisten seiner Mitstreiter wohl politisch links stehen.

Gegen die Verfassung

Das spanische Verfassungsgericht hatte am 8. September das regional beschlossene Gesetz zum Unabhängigkeitsreferendum suspendiert. Seitdem ist es illegal, die Volksbefragung zu organisieren. 14 hochrangige katalanische Regierungsbeamte wurden verhaftet. Die Zentralregierung übernahm die Kontrolle der regionalen Sicherheitskräfte und zahlreiche Polizisten wurden in der Region zusammengezogen, um die Abstimmung am Sonntag unmöglich zu machen.

Pedro Casas hält all das für ein politisches Manöver: "Das Referendum sollte nicht illegal sein. Das ist eine Frage des politischen Willens. Natürlich reden wir über die Unabhängigkeit Kataloniens und die steht in Konflikt mit unserer Verfassung. Aber die Katalanen sollten abstimmen können und wenn es eine Mehrheit für die Unabhängigkeit gibt, dann wäre die Reform der Verfassung der nächste Schritt."

Ruhe vor dem Sturm

Antonio Maestre, Journalist aus Madrid, war erst vor Kurzem in Katalonien. "Dort herrscht eine sehr angespannte Atmosphäre," berichtet er. "Bisher bleibt es ruhig, weil Menschen unterschiedlicher Meinung noch nicht auf den gleichen Plätzen aufeinandertreffen. Aber es könnte Probleme geben, wenn der Staat seine Einsatzkräfte nicht gut im Griff hat. Auf den Straßen ist zu viel Ideologie unterwegs."

Doch nicht nur im Nordosten des Landes ist die Lage angespannt. Es gehen Risse durch die spanische Gesellschaft, die spätestens sichtbar wurden, als Videos im Netz geteilt wurden, die zeigen, wie Menschen den Polizisten zujubeln, die zur Verhinderung des Referendums nach Katalonien geschickt werden. Umfragen zufolge lehnen etwa 70 Prozent der Spanier ein Referendum ab.

Ganz im Gegenteil, behauptet Pedro Casas. "Das ist eine Lüge. Die spanische Gesellschaft ist viel toleranter. An der Puerta del Sol in Madrid haben 3000 bis 4000 Menschen für das Recht auf freie Entscheidung demonstriert. Da gab es nur ein paar Dutzend Gegendemonstranten mit spanischen Flaggen. Man will, dass wir denken, Spanien hasse die Katalanen. So wie man das über Spanien und die Basken erzählt hat. Aber das ist eine Lüge."

Auch auf den Straßen Madrids wird um die Zukunft Barcelonas gestrittenBild: Pedro Casas

Der Journalist Maestre dagegen glaubt, dass die Videos der bejubelten Polizisten zeigen, dass ein bedeutender Teil der Spanier ihr Vaterland in Abgrenzung zu seinen Gegnern definiere, in diesem Fall den katalanischen Separatisten. "Das ist ein Ausdruck von spanischem Ultra-Nationalismus, der aus dem 19. Jahrhundert rührt. Damals ging es um die Feinde der katholischen Kirche. Das sind keine Faschisten, aber sie haben ihre Wurzel in den Gesellschaftsstrukturen unter Franco. Die Leute haben die Politik zum Fußballmatch gemacht. Du kannst nur für eine Seite sein."

Als nächstes dran: die Monarchie?

Laut Antonio Maestre gibt es viele Spanier, denen die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen schlicht egal sind. "Was jedoch die Abschaffung der Monarchie angeht oder die Opposition zur Regierungspartei, da haben sie eine ganz klare Meinung." Viele dieser Menschen glaubten, dass sich am 1. Oktober mit dem Referendum der Katalanen die Büchse der Pandora öffnen könnte.

Casas stimmt dem zu: "Wir wollen auch über die Monarchie abstimmen, das wurde uns beim Übergang von der Diktatur zur Demokratie damals verwehrt. Es geht nicht darum, die Unabhängigkeit zu unterstützen, das müssen sie schon selbst entscheiden." Umfragen zufolge ist eine knappe Mehrheit der Katalanen gegen die Unabhängigkeit – insofern wäre selbst bei einer regulären Abstimmung nicht sicher, dass Spanien auseinanderbricht. Doch Casas möchte das Land so oder so verändern: "Es gibt so viele Fragen, die wir noch klären müssen."

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