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Politik

Katalonien: "Die EU handelt korrekt"

Maria Santacecilia
20. Dezember 2017

Eine der größten Hoffnungen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung erfüllte sich nicht: die breite internationale Anerkennung und die Hilfe der EU. Ein Gespräch mit Thomas Gergen, Professor für internationales Recht.

Flaggen EU Spanien Katalonien
Bild: picture-alliance/Robert Harding

DW: Handelt die EU korrekt, wenn sie sich nicht in die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens von Spanien einmischt?

Thomas Gergen: Die EU handelt korrekt, wenn sie sich nicht in das spanische Verfassungsgefüge einmischt. Eine Ausnahme bestünde dann, wenn sich die pan-katalanistische Bewegung durchsetzt, und daher eine Verbindung von französischem und spanischem Territorium angestrebt würde. Andorra zählt ebenfalls hierzu, weil Andorra als einziges Land die katalanische Sprache als Amtssprache hat. Französisch und Spanisch sind lediglich Verkehrssprachen. Im Inneren Spaniens besteht darüber hinaus die Problematik einer Vereinigung der Autonomen Regionen von Katalonien, Balearen und gegebenenfalls Valencia. Aber auch dies ist ein innerspanisches Problem. 

Das Autonomiestatut ist primäre Rechtsquelle für die Frage der Kompetenzen der Regionalorgane.  Die Autonomiestatute sind staatliche als auch zugleich autonome Rechtsnormen. Nach ihrer Aushandlung zwischen Region und Zentralstaat müssen sie von den Cortes Generales (Generalständen) angenommen und geändert werden. Sie gehören zum "Verfassungsblock" (bloque de constitucionalidad) sowohl des Zentralstaates Spanien als auch zu dem der jeweiligen Region. Da der Zentralstaat wohl keine Zustimmung zur Abspaltung und zum Ende des Autonomiestatuts Kataloniens erteilt, bleiben wohl weniger harte Folgen, nämlich das Neuverhandeln der Autonomie zugunsten weiterer Befugnisse der Autonomen Region Katalonien. Dann taucht erneut das ständig befürchtete Problem auf, dass auch die anderen "unruhigen Regionen" Spaniens mehr Autonomie einfordern. Das Europarecht gebietet, dass sich die EU hier nicht in innerspanische Angelegenheiten einmischt.

Aber die EU mischt sich doch auch in innere Angelegenheiten anderer Staaten ein, zum Beispiel in Polen, wenn es um die Justizreform geht, oder auch in Ungarn bei den Medienrechten. Warum nicht in Spanien?

Professor Thomas GergenBild: Christian Schu

Das ist richtig, wenn es um einzelne Politikbereiche geht, die den gesamten Mitgliedstaat erfassen, d.h. Verfassungsrecht und Kontrolle des Verfassungsrechtes für ganz Polen durch einen unabhängigen Gerichtshof. Oder der Einfluss der Orban-Regierung auf die ungarische Medienlandschaft. Aber auch hier kann die EU lediglich Ermahnungen aussprechen gegen Staaten, die manifest gegen Verfassungsgrundsätze verstoßen. Leider gibt es noch sehr viele Unterschiede zwischen den Staaten, vor allem was Verfassungsfragen angeht, die in Ungarn ganz anders aufgefasst und behandelt werden als etwa in Frankreich oder Schweden. Hintergrund ist hier sicherlich, dass Polen und Ungarn noch keine intensiven Erfahrungen als demokratische Rechtsstaaten aufzuweisen haben. Für die spanischen Autonomiefragen gibt es innerspanisches Recht. Wie eben gesagt, kann ein Ausscheren Kataloniens aus dem spanischen Verfassungsgefüge nicht einseitig erfolgen, sondern nur mit Zustimmung Madrids. Das halte ich auch für völkerrechtlich verbindlich.

Die Vereinigten Staaten scheinen auch kein besonderes Interesse am Konflikt zwischen Katalonien und Spanien zu haben. Warum unterstützen sie so deutlich die Regierung von Ministerpräsident Rajoy?

An einem starken Südeuropa, vor allem mit den beiden großen Mittelmeerländer Spanien, Italien, aber auch Frankreich, hat ganz Europa Interesse, nicht zuletzt wegen der anhaltenden Schwäche Griechenlands in Haushaltsfragen und dem unaufhörlichen Schlepperwesen zulasten der Flüchtlinge, die aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen. Ein starkes Spanien ist daher von hohem Wert für Europa und Amerika. Funktionierende Regierungen und Parlamente sind daher unerlässlich, in Europa als auch für den Sicherheitspartner USA und seine Einsätze im Mittleren Osten. Ein von Spanien losgelöster neuer Mitgliedstaat Katalonien wäre ein zusätzlicher Verhandlungspartner, und jeder weiß: Wenn der Katalonienplan durchgeht, folgen die nächsten Staatsgründungen. Die EU wie die USA haben Angst vor dem Auseinanderbrechen der Einheit. Die Korsen sind bereits erneut aufmüpfig in Frankreich. Andere können folgen: Südtirol oder natürlich Schottland. Niemand weiß, wie lange die BREXIT-Verhandlungen dauern. Insofern sind die Briten für die Amerikaner auch keine starke Stütze.    

Internationale Investoren haben den Aufschwung in Barcelona und Katalonien mitgetragen Bild: picture-alliance/DUMONT Bildarchiv/F. Heuer

Wie beurteilen Sie Puigdemonts Strategie den katalanischen Konflikt zu internationalisieren und dann harte Kritik an der EU zu üben?

Auf den ersten Blick erschien es strategisch gut, nach Brüssel zu gehen, um die katalanische Sache auf die europäische Bühne zu heben, nicht zuletzt auch, um Zeit zu gewinnen vor der Verfolgung durch die spanische Justiz. Auch Puigdemont dürfte begriffen haben, dass "sein" spanischer Ministerpräsident einen langen Atem hat sowie stur und trocken spanisches Verfassungs- und Strafrecht anwenden wird. Das hat Rajoy auch eisern getan. Puigdemont hat sich verrechnet, weil er offensichtlich auf europäische Schützenhilfe hoffte. Aber weder von den europäischen Behörden als auch von Einzelstaaten bekam er offene Hilfeleistung. Da dies zu erwarten war, klang die Kritik Puigdemonts an der Europäischen Union wenig professionell.

Wie beurteilen Sie Rajoys Strategie, den ganzen Konflikt mit Katalonien der spanischen Justiz zu überlassen?

Rajoy ist juristisch auf der sicheren Seite. Wenn er langen Atem und Langmut durchhält, wird er sich darauf berufen können, selbst wenn am 21. Dezember die pro Unabhängigkeit agierenden Parteien in der Mehrheit sind. Dann wiegt das Gewicht Kataloniens innerspanisch mehr als vorher, vor allem wenn die Partei Partido Popular in Katalonien sehr schwach ist. Rajoy wird dann aber notorisch auf den eben von mir beschriebenen "Verfassungsblock" verweisen können, der beide Seiten zur Veränderung der Verfassung braucht. Nach meiner Einschätzung wird es mit Rajoy keine Abänderung oder gar Entlassung Kataloniens aus dem spanischen Staat geben. Bleibt nur noch ein anderes Mehrheitsverhältnis in Madrid, das seine Ansicht völlig ändert. Die anderen Staaten werden sicher keinen internationalen Druck ausüben auf Madrid.

Wie würde sich die Situation darstellen, wenn Carles Puigdemont am 21. Dezember zum Regierungschef Kataloniens gewählt wird?

Ich hoffe auf Kompromissbereitschaft, und dass Puigdemont ein Katalonien mit mehr Souveränität ins Spiel bringen wird, das aber im spanischen Staatsverband verbleibt. Dann kann er auch auf Unterstützung aus dem Ausland hoffen, das den justizhörig arbeitenden Rajoy zur Aufgabe seiner sturen Haltung zwingt. Meiner Meinung nach, wäre eine politische Mediation zwischen diesen Fronten unabdingbar, um Details des ganz neuen Verhältnisses zwischen dem Zentralstaat und Katalonien zu verhandeln.

Professor Thomas Gergen ist Dozent für Internationales und Vergleichendes Zivil-und Wirtschaftsrecht an der luxemburgischen Wirtschaftshochschule ISEC. Er ist Autor des Buches "Sprachgesetzgebung in Katalonien" und hat mehrere Aufsätze  zur Mehrsprachenpolitik und Gesetzgebung in Katalonien veröffentlicht.