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Politik

Katalonien-Konflikt: 6 Fragen und Antworten

Sven Töniges | Jan D. Walter
19. Oktober 2017

Nach dem Ablauf des Ultimatums hat die spanische Zentralregierung angekündigt, einen Prozess nach Artikel 155 der spanischen Verfassung einzuleiten. Was bedeutet das für Spanien und für Katalonien?

Spanien Katalonien Ultimatum Symbolbild Fußgänger in Barcelona
Ein Rucksack im Design der "Estelada", der "gesternten" Flagge der katalanischen SeparatistenBild: Reuters/G. Fuentes

In Spanien stehen die Zeichen auf Konfrontation: Carles Puigdemont hat das Ultimatum verstreichen lassen, das ihm Spaniens Premierminster Mariano Rajoy gestellt hatte. Bis dahin sollte der katalanische Regierungschef seine vage Unabhängigkeitserklärung vom 10. Oktober eindeutig widerrufen. Nun will Rajoy den Artikel 155 der spanischen Verfassung aktivieren. Damit könnte die Zentralregierung in Madrid die Kontrolle über Katalonien übernehmen.

Was besagt Artikel 155 der spanischen Verfassung?

Der Artikel im Passus "über die territoriale Organisation des Staates" betrachtet den Fall, dass eine der 17 sogenannten Autonomen Regionen (span.: Comunidades Autónomas) das "allgemeine Interesse Spaniens" missachtet. Befindet der Senat, das spanische Oberhaus, mit absoluter Mehrheit, dass dies der Fall ist, darf die spanische Regierung die "notwendigen Maßnahmen" ergreifen, um die Erfüllung des allgemeinen Interesses zu erzwingen.

Deutschen Verfassungsrechtlern dürfte das vertraut klingen, denn als Vorbild dieser Regelung - und vieler anderer der spanischen Verfassung von 1978 - diente das Grundgesetz, in diesem Fall Artikel 37 mit dem sogenannten Bundeszwang.

Wie ist die Anwendung von Artikel 155 politisch einzuschätzen?

Welche Maßnahmen in einem Konfliktfall "notwendig" sind, sagt der Artikel nicht. Nach Einschätzung spanischer Politologen kann er aber der Zentralregierung ermöglichen, die Kontrolle über die Institutionen der aufständischen Region zu übernehmen. 

Für den 21. Oktober ist eine Dringlichkeitssitzung des spanischen Kabinetts angesetzt, um Maßnahmen gegen die "aufrührerischen" Katalanen zu beschließen. So könnte sie zum Beispiel verfügen, die katalanische Polizei (Mossos d'Esquadra) direkt dem Innenministerium in Madrid zu unterstellen und die Regionalregierung aufzulösen. Damit stünden in Katalonien über kurz oder lang regionale Neuwahlen an.

Wegen seiner offenen Formulierung wird Artikel 155 von Beobachtern auch als politische "Atombombe" bezeichnet. Seit dem Inkrafttreten der spanischen Verfassung im Jahr 1978 ist er noch nie zur Anwendung gekommen.

Warum greift die spanische Zentralregierung zu einem so drastischen Instrument?

Die Regierung in Madrid pocht auf Einhaltung der spanischen Verfassung, wozu sie qua Amt und Eid verpflichtet ist. Dabei wendet sie genau das Instrument an, das die Verfassung für solche Fälle vorsieht.

In diesem Punkt bekam die Regierung Rajoy am Donnerstag Rückendeckung aus der EU. So sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wir hoffen, dass es Lösungen gibt, die auf dem Boden der spanischen Verfassung gefunden werden". Diese spricht von einer "unauflöslichen Einheit der spanischen Nation".

Welche Wege gibt es für Katalonien, die Unabhängigkeit auf legalem Weg zu erreichen?

Die Abspaltung eines Autonomiegebietes ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Dennoch gibt es nach allgemeiner Lesart zwei Wege dorthin: Der eine wäre ein Referendum im ganzen Land. Der andere wäre eine Verfassungsänderung durch das spanische Parlament.

Welche Bedeutung hat die Katalonien-Frage für Spanien?

Katalonien ist neben der Hauptstadtregion der wichtigste Wirtschaftsstandort Spaniens und nach Pro-Kopf-Einkommen die zweitreichste Region nach dem Autonomiegebiet Madrid. Katalanische Unternehmen sind eng und kleinteilig verwoben mit anderen spanischen Regionen. Eine Grenze würde die Wirtschaft in eine tiefe Krise stürzen.

Auch auf persönlicher und familiärer Ebene ist Katalonien mit Restspanien eng verbunden. Nur etwa die Hälfte der in Katalonien lebenden Menschen nennt Katalanisch ihre Muttersprache.

Zudem befürchten viele Spanier, dass die katalanische Unabhängigkeit Separatisten in anderen Regionen ermutigen würde, ihre Unabhängigkeitsbestrebungen voranzutreiben - insbesondere im Baskenland, der Region Valencia und Galizien.

Woher kommt die Stärke der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung?

Katalonien ist eine der Regionen Spaniens, die eine eigene historische Sprache und ein eigenes Kulturbewusstsein bewahrt haben. Daher, schreibt zum Beispiel der Hispanist Walther Bernecker, sei Spanien keine "echte" Nation. Viele Katalanen - wie auch Basken oder Galizier - nehmen für sich in Anspruch, eine eigene Nation zu sein. Ein jahrhundertelanger Unabhängigkeitskampf aber ist historisch kaum zu belegen. Noch 1978 stimmten mehr als 60 Prozent der Katalanen für die spanische Verfassung und damit die bereits angeführte Einheit der Nation. Weniger als 10 Prozent stimmten dagegen.

Seit den 1990er-Jahren wurde der neuerliche Ruf nach Unabhängigkeit in Katalonien lauter. Durch eine gezielte nationalistische Erziehung in katalanischen Schulen und Universitäten ist eine ganze Generation in diesem Geist aufgewachsen. Während die Separatisten ihr Anliegen auch politisch geschickt vorantrieben, sah Madrid weitgehend tatenlos zu. Zusätzlichen Zulauf bekamen die Separatisten nach dem Referendum, gegen das die nationale Polizei gewaltsam vorging. Die - laut Human Rights Watch - vereinzelt registrierten Gewaltexzesse der "Guardia Civil" galten den Separatisten als Beleg für die Unterdrückung Kataloniens durch den spanischen Staat.

Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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