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Politik

Kataloniens Schrei nach Unabhängigkeit

Ines Eisele | Chase Winter | Jan D. Walter
22. September 2017

Die katalanische Regierung treibt ihr Referendum gegen alle Widerstände aus Madrid voran. Ihren Separatismus begründet sie mit der Geschichte. Doch die zeigt: So autonom wie heute waren die Katalanen lange nicht mehr.

Spanien Barcelona Menschen mit  Estelads (Katalanische Separatisten Flagge)
Demonstranten in den Farben KataloniensBild: Reuters/S. Vera

Knapp zwei Wochen vor dem geplanten Unabhängigkeitsreferendum sind die Pläne der katalanischen Regionalregierung ins Wanken geraten: Nachdem am Mittwoch die spanische Polizei Razzien in den Büros der katalanischen Regierung durchgeführt hat, haben die Organisatoren erstmals eingestanden, dass das Votum infrage steht.

"Es ist offensichtlich, dass wir nicht so abstimmen können, wie wir es eigentlich wollten", sagte Kataloniens Wirtschaftsminister Oriol Junqueras am Donnerstag dem Fernsehsender TV3. Dennoch glaube er, dass sich viele Wähler beteiligen werden.

Gegen die Razzien, bei denen Stimmzettel und Wahlurnen beschlagnahmt sowie mehr als zehn Menschen festgenommen wurden, demonstrierten in der Nacht zehntausende Menschen in Barcelona. Viele schwenkten die katalanische Flagge und riefen "Besatzer raus" oder "Wo ist Europa?".

Der Streit über das für den 1. Oktober angesetzte Referendum hat in Spanien eine Krise über die Abspaltung der autonomen Region entfacht, die seit Langem schwelte. Die katalanische Regionalregierung arbeitet bereits seit Jahren an der Abspaltung und hat schon mehrfach Kataloniens Bürger befragt, wie sie zur Unabhängigkeit stehen. 2014 stimmten 80 Prozent dafür, allerdings nahm Schätzungen zufolge auch nur ein Drittel der Wahlberechtigten an der Befragung teil. Auch diesmal ist eine Mehrheit für die Unabhängigkeit keineswegs sicher. Dennoch will die "Generalitat" um Regierungsschef Carles Puigdemont nicht vom erneuten Unabhängigkeitsvotum abrücken.

Will Katalonien auch illegal in die Unabhängigkeit führen: Der katalanische Ministerpräsident Carles PuigdemontBild: picture-alliance/Zumapress.com/J. Boixareu

Die Zentralregierung in Madrid beharrte stets darauf, dass eine innerkatalanische Abstimmung verfassungswidrig ist. Dennoch machte die katalanische Regierung weiter. Um den Weg für ein Unabhängigkeitsreferendum frei zu machen, brachte sie Anfang September ein Gesetz durch das katalanische Parlament, das das spanische Verfassungsgericht - wie erwartet - für illegal erklärte. Doch auch das bremste die katalanische Regierung nicht.

Verbunden seit dem Mittelalter

Die Forderung der Katalanen nach einem eigenen Staat ist nicht neu, sondern existiert bereits seit Jahrhunderten. Mag sie auf manchen anachronistisch oder provinziell wirken, ist zum Verständnis wichtig: Die Region im Nordosten des heutigen Spaniens war vom 10. bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts ein weitgehend unabhängiger Staat. Ab dem 12. Jahrhundert war es zwar durch königliche Ehen mit dem Königreich Aragonien vereint, Aragonien-Katalonien wiederum ab dem 15. Jahrhundert mit Kastilien. Aber die katalanischen Herrscher behielten die maßgebliche Hoheiten über ihre Gebiete - ähnlich wie die deutschen Fürsten innerhalb des Heiligen Römischen Reiches.

Erst im spanischen Erbfolgekrieg fand dieses Gleichgewicht zwischen den Königreichen sein Ende. 1714 eroberten die siegreichen Bourbonen Katalonien. Sie lösten - wie in vielen anderen Regionen, die sich zuvor auf die Seite der nunmehr unterlegenen Habsburger geschlagen hatten, - politische, kulturelle und juristische Institutionen auf. Spanisch wurde zur offiziellen Sprache im gesamten Land, und damit auch erstmals in Katalonien. Bis Ende des 19. Jahrhunderts gewann Katalonien nach und nach an Bedeutung zurück und erlebte eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte - was auch den katalanischen Nationalismus wieder erstarken ließ.

"Autonomie" innerhalb Spaniens

Der Sieg der Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg bedeutete für die Katalanen jedoch erneut, dass sie zurückstecken mussten: Der Diktator Francisco Franco unterdrückte Abspaltungstendenzen brutal. Dazu gehörte auch das Verbot regionaler Sprachen in staatlichen Institutionen wie Schulen und Rathäusern oder bei Straßennamen.

Erst nach dem Tod des Diktators im Jahr 1975 konnte Katalonien wieder mehr Unabhängigkeit für sich beanspruchen. Die demokratische Verfassung von 1978 und die sogenannten Autonomiestatuten von 1979 legen seither die Selbstverwaltung der autonomen Regionen Spaniens fest.

Der Spanische Bürgerkrieg endete 1939 mit dem Sieg Francos. Kataloniens Eigenständigkeit wurde erneut unterdrücktBild: picture-alliance/AP Photo

Katalonien verabschiedete 2006 eine Novelle des Statuts. Es sieht neben institutionellen Änderungen eine Umgestaltung der Staats-Finanzierung vor und verpflichtet die Bürger Kataloniens dazu, die katalanische Sprache ebenso gut wie die spanische zu beherrschen.

Als 2010 der Oberste Gerichtshof Spaniens urteilte, das Autonomiestatut von 2006 sei illegal, nahm der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Madrid und der Regionalregierung in Barcelona wieder Fahrt auf. Die Katalanen wenden sich seither mehr und mehr vom spanischen Staat ab, gehen auf die Straße, zeigen die katalanische Fahne.

Keine Mehrheit für die Unabhängigkeit

Als erstes politisch gültiges Votum für die Unabhängigkeit können die Regionalwahlen im September 2015 gelten: Seit ihr regiert eine Koalition aus rechten und linken Nationalisten, die ihren Wählern die Unabhängigkeit von Spanien versprochen hat, obwohl Katalonien bereits über viele Befugnisse in Gesetzgebung und Verwaltung verfügt: Katalonien hat eine eigene Polizei, die "Mossos d'Esquadra", sowie weitreichende Kompetenzen in Gesundheits-, Wirtschafts- und Bildungspolitik.

Trotz großer Autonomierechte innerhalb Spaniens fordern viele Katalanen "Freiheit für Katalonien"Bild: Reuters/A. Gea

Was den Katalanen noch fehlt, ist die Hoheit über die Steuern. Befürworter der Unabhängigkeit argumentieren außerdem, dass Katalonien eine eigene Sprache, Kultur und Geschichte hat, die es zu bewahren gilt. Dabei ist Katalanisch schon heute praktisch die einzige Unterrichtssprache an Schulen und Universitäten.

Aber will sich die Mehrheit der Wähler wirklich aus Spanien herauslösen und eine eigene Republik gründen? In einer Umfrage der katalanischen Regionalregierung im Juni waren nur 41,1 Prozent der Befragten für die Unabhängigkeit, 49,4 Prozent dagegen. Dennoch könnten die Separatisten ein Referendum gewinnen, glauben Beobachter. Zum einen, weil das harte Durchgreifen der Madrider Regierung auch gemäßigte Katalanen verstimmt hat. Und zum anderen, weil die Separatisten mehr Wähler mobilisieren dürften als ihre Gegner.

Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.
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