Die Neuseeländerin Katherine Mansfield war die Meisterin der Kurzgeschichte
5. Oktober 2012 Es ist das Unspektakuläre, das Beiläufige, das durch ihre Geschichten hindurch schimmert und erst ganz langsam seine Wucht entfaltet. Jungvermählte sitzen in Cafes, Kinder eilen durch Straßen, ältere Damen zupfen an ihren Hermelinkragen. Es sind Alltagsmomente, vertraute, oft idyllische Szenen, die Mansfield Satz für Satz entlarvt. Sie blickt hinter den schönen Schein einer bourgeoisen Gesellschaft im ausgehenden 19. Jahrhundert. Dabei ist ihr Erzählkosmos oft nur ein paar Seiten lang.
Blick hinter die Fassade
In "Flitterwochen" ist es das viel zu laute Lachen des Ehemannes, die Art, wie er das putzige Näschen seiner Angetrauten lobt, die die Brüchigkeit dieser Verbindung andeuten. Hier werden Gefühle durch Geld kompensiert. Das Zwischenmenschliche basiert allein auf Abhängigkeiten. Dabei besticht Mansfield mit einer messerscharfen, gänzlich unsentimentalen Sprache, die sie zu zynischen Spiralen verdichtet.
"Ich glaube, die Menschen sind wie Handkoffer: mit allerlei Dingen vollgestopft werden sie auf die Reise geschickt, herumgestoßen, beiseite geschubst, fallen gelassen. Sie gehen verloren, werden wiedergefunden, werden im nächsten Moment halb geleert oder voller gestopft denn je, bis der letzte Gepäckträger sie schließlich auf den letzten Zug bugsiert, und dann rattern sie endgültig davon."
Selbstbewusst auf den zweiten Blick
Oft sind es Frauen, die Mansfield literarisch in den Mittelpunkt rückt. Frauen, die bevormundet werden. Frauen, die sich wie "Miss Brill", krampfhaft an ihre alte Schönheit klammeren, oder solche, die ihren gesellschaftlichen Aufstieg minutiös planen. Mansfield erzählt, wie sie in ein gesellschaftliches Korsett gedrängt werden und trotzdem ein Gefühl von Überlegenheit davontragen. Sie bringen das männliche Machtgefüge subtil durcheinander - wenn auch nur für einen Augenblick.
Dieses Selbstbewusstsein durchzog auch das Leben der 1888 geborenen Autorin Katherine Mansfield. Sie, die Tochter aus gutem Hause, sollte eigentlich früh und reich heiraten. Doch die behütete Familienoase, in der Nähe von Wellington wurde Katherine zu eng. Sie brach als junges Mädchen aus und reiste alleine durch Europa.
Ein Leben – abenteuerlich und kurz
Als Komparsin spielte sie in Filmen mit, liebte Männer wie Frauen, wurde enterbt und freundete sich in London mit D.H. Lawrence und Virginia Woolf an. Ihre ersten Erzählungen wurden 1911 veröffentlicht. Sie trafen einen so neuen und präzisen Ton, dass selbst andere Schriftsteller sie darum beneideten. "Wie schafft sie es bloß, Gewissheiten so auseinander zu nehmen?", notierte Virginia Woolf ratlos in ihrem Tagebuch.
Doch das unstete, von Geldsorgen geplagte Leben hinterließ Spuren. Katherine Mansfield erkrankte an Tuberkulose und starb mit gerade einmal 34 Jahren in der Nähe von Paris. Ihre Kurzgeschichten gelten heute als Klassiker der Moderne. Dabei verstand Katherine Mansfield sie zeitlebens als Fingerübung für ihren ersten großen Roman. Den konnte sie leider nicht mehr schreiben.