Katholikentag zwischen Krise und Hoffnung
26. Mai 2022Manchmal braucht eine kernige Aussage nur zwölf Worte. "Bei all dem Mist, der wo immer wieder in der Presse steht…", sagt der ältere Herr auf die Frage, wie es um die katholische Kirche steht. Er wendet sich ab und geht weiter. Aus seinen Worten spricht keine große Hoffnung.
Beim 102. Deutschen Katholikentag, der am Mittwochabend in Stuttgart begann, denken viele ähnlich. "Ich unterscheide zwischen Amtskirche und der Kirche vor Ort", betont Sabine Röhlmann, die aus Niedersachsen an den Neckar kam, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Mit der Amtskirche hadere ich. Da ist viel Luft nach oben. Bei der Kirche vor Ort, da fühle ich mich aufgehoben."
"Die Frauen sollen sich durchsetzen"
Wolfgang Tress formuliert es sehr konkret. "Ich hoffe, dass sich die Frauen mehr durchsetzen. Dann würde ich auch als Katholik wieder mehr zur Kirche zurückfinden, wenn die Priesterschaft nicht so unter sich wäre." Tress ist nicht als Teilnehmer bei dem Christentreffen. Er wohnt im Großraum Stuttgart und schaut an diesem Mittag nur mal kurz nach dem Treiben in der Innenstadt.
In Deutschland sind die katholischen Laien stärker organisiert sind als in den meisten anderen Ländern, und Katholikentage haben hier eine über 170-jährige Tradition. Sie gelten als Standortbestimmung der Kirche. Bis zum Sonntag wollen rund 25.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gesellschaftliche Fragen diskutieren und ihren christlichen Glauben feiern. 25.000 - das sind weit weniger als bei vergleichbaren Treffen früherer Jahre und auch weniger, als die Veranstalter erwartet haben. Sicher ist dies auch der Corona-Pandemie geschuldet, der eine oder andere Referent musste noch in dieser Woche absagen wegen einer akuten Infektion.
Doch die Anmeldezahlen hätten auch mit der "krisenhaften Situation" ihrer Kirche zu tun, sagte Irme Stetter-Karp, die Präsidentin des mit ausrichtenden Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), vor Beginn des Treffens. Es sei schließlich "kein Zufall, dass wir im Programm über 30 Veranstaltungen zu den drängenden Reformfragen in der katholischen Kirche haben". Da geht es um Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche, um den Zugang der Frauen zu kirchlichen Ämtern, um mehr Demokratie in der Struktur der Kirche.
"Schleppende Aufklärung des Missbrauchs"
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der beim Auftakt am Mittwoch und am Donnerstag am Katholikentag teilnahm, ging bei seiner Eröffnungsrede auf den Zustand der Kirche und die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in Kirche ein. Das Staatsoberhaupt, selbst evangelischer Christ, nannte die Aufklärung "schleppend" und betonte, dass Missbrauch und Vertuschung "viel Vertrauen beschädigt und zerstört haben". Viele hätten sich abgewandt, auch aus Enttäuschung. Und dafür bekam er kräftig Beifall von der katholischen Basis.
Um so mehr, so Steinmeier, wolle er all "jene ermutigen, die sich tatkräftig für die Erneuerung der katholischen Kirche in Deutschland einsetzen". Am Donnerstagmorgen nach dem Gottesdienst zum Fest Christi Himmelfahrt besuchte Steinmeier geradezu demonstrativ in der Stuttgarter Innenstadt die Informationsstände der Vereinigung von Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Kirche, des Reformprojekts Synodaler Weg und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Und betonte noch einmal: "Unsere Gesellschaft braucht eine starke Kirche, die relevant ist. Deshalb hoffe ich, dass Sie in ihren Anstrengungen für Kirchenreformen vorankommen."
Bischofskonferenz-Vorsitzender Bätzing in der Kritik
Bei einer der größeren Veranstaltungen bekräftigte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, die Notwendigkeit von kirchlichen Neuerungen und warb zugleich um Geduld. "In der Situation, in der wir jetzt sind, betrügen wir viele Menschen um eine Brücke zu Gott." Im Gespräch mit Johanna Beck, die selbst in kirchlichem Kontext sexualisierte Gewalt erlebte, warb Bätzing dafür, Reformen an der Basis anzugehen und nicht immer nach Rom zu schauen.
Aber auch der reformfreudige Vorsitzende der Bischöfe steht in diesen Tagen unter Druck. Die Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichte kurz vor dem Katholikentag eine Recherche, nach der Bätzing in seinem Bistum einen Priester befördert hatte, gegen den Jahre zuvor zwei Frauen Belästigung vorgeworfen hatten, was der Geistliche laut Bischof auch einräumte.
Das Motto des Katholikentages: "Leben teilen"
Das Motto des Katholikentages lautet "Leben teilen" und knüpft an die Gestalt des Heiligen Martin an, der nach der Legende seinen Mantel mit einem Bettler teilte. Martin ist der Patron des Bistums Rottenburg-Stuttgart. Zu diesem Motto "Leben teilen" gibt es bis Samstag diverse Veranstaltungen. Die gesellschaftliche Lage nach der bisherigen Corona-Pandemie spielt dabei oft eine Rolle. Und auch die dramatische Lage in der Ukraine prägt den Katholikentag. Mehrere Podien befassen sich mit dem Krieg. Kurzfristig ins Programm genommen wurde für Freitagmittag eine Friedenskundgebung unter dem Titel "Leben teilen heißt Trauer und Hoffnung teilen". Mag sein, dass sie zur stärkstbesuchten Veranstaltung dieses Christentreffens wird.
Daran will auch Pedro Bravo teilnehmen. Der junge Mann aus Ecuador studiert seit vier Jahren in München. Auch ihn beschäftigt die Frage der Reform von Kirche. Er sehe, sagt er der Deutschen Welle, in der Kirche "einen Streit zwischen zwei Positionen". Die Gesellschaft sei bei progressiven Sichtweisen weiter als die Kirche. Diese habe schon "einen guten Schritt" gemacht, aber sie stehe noch vor Hindernissen.
"Gemeinschaft der Kirche erleben"
Bravo betont, wie wichtig es sei, in Stuttgart vielen anderen Gläubigen zu begegnen, sich mit ihnen auszutauschen, die Gemeinschaft zu erleben. Das beschäftigt gerade nach den Einschränkungen in der Corona-Pandemie viele, wenn man sie fragt, warum sie am Katholikentag teilnehmen.
Elisabeth Lippert schwärmt regelrecht davon, vom gemeinsamen Gesang, von der Begegnung mit anderen Gläubigen. Aber auch sie findet es richtig, den Missbrauchsskandal weiter zu klären. Da gehe es, sagt sie, "um Aufarbeitung, nicht darum, die Kirche zu zerlegen". Welches Bild sie für die aktuelle Lage der katholischen Kirche verwenden würde? "Karfreitag", antwortet sie ziemlich spontan. "Dieser vom Tod dunkle Tag, und man wartet auf die Auferstehung."