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GesellschaftDeutschland

Segen für die Liebe. Segen gegen Rom.

10. Mai 2021

Weit über 100 katholische Geistliche in Deutschland segnen gleichgeschlechtliche Paare. Eine Sensation. Eine Selbstverständlichkeit. Und mehr.

Aktion #liebegewinnt Pfarrvikar Wolfgang Rothe Segnung homosexueller Paare
Bild: Felix Hörhager/dpa/picture alliance

In München oder Münster, in Köln oder Konstanz, Berlin oder Buxtehude. In mehr als 100 katholischen Kirchengemeinden Deutschlands segnen katholische Geistliche in diesen Tagen gleichgeschlechtliche Paare. Das ist kirchlicherseits nicht zulässig und vom Vatikan auch offiziell untersagt. Die Priester segnen trotzdem – oder auch deswegen.  

"Das lateinische Wort für 'segnen' heißt 'benedicere', also 'gut sagen'. Das hat schon auch mit Anerkennung zu tun", sagt Burkhard Hose der Deutschen Welle. Der Hochschulpfarrer hatte zur Feier in die Würzburger Augustinerkirche unter dem Motto "Wir können doch gar nicht anders als Segnen" geladen. Hose betont: "Wenn wir heute gleichgeschlechtlich liebende Paare segnen in unserer Zeit, dann erkennen wir auch ihre Beziehung an. Es ist ein Stück Anerkennung der Lebensrealität, der Vielfalt, auch in der Schöpfung und der Art und Weise, wie Menschen in unterschiedlicher sexueller Orientierung auch ihre Beziehungen leben. Und das ist einfach jetzt noch der Kontrast zu dem, was offiziell im Katechismus zu finden ist." Denn der Katechismus, die offizielle katholische Lehre, anerkennt homosexuelle Liebe nie und sieht sie als "Handeln wider die Natur". 

Burkhard Hose, Hochschulpfarrer in WürzburgBild: Marius Becker/dpa/picture alliance

Empörung über die Glaubenskongregation

Alles am Konflikt nahm seinen Anfang mit einer für fast alle Beteiligten – Bischöfe wie Laien – überraschenden Erklärung der Römischen Glaubenskongregation. Die Hüter der reinen Lehre formulierten Mitte März in einem sogenannten Responsum eine deutliche Absage an Segnungen für homosexuelle Partnerschaften. Ein solches "Responsum" für sich sagt schon etwas über das Dialogverständnis des Vatikan. Denn die Kongregation stellte sich abstrakt einer tatsächlich oder fiktiv gestellten Frage, ob Kirche die Vollmacht zu einem Segen für "Verbindungen" von Personen gleichen Geschlechts habe – und verneinte dies dann. Das Schreiben sei, wurde betont, von Papst Franziskus "gutgeheißen" worden.  

In Deutschland kochte die Empörung hoch. Zuerst bei einzelnen, dann wuchs die Zahl. Laienverbände, Priester, Theologinnen und Theologen, schließlich auch mehrere deutsche Bischöfe. Und bald riefen Hose und Bernd Mönkebüscher, Pfarrer im westfälischen Hamm, für den 10. Mai zur bundesweiten Aktion auf unter dem Titel und Hashtag "#Liebegewinnt". Hose spricht von einer "sehr positiven Stimmung, dass sich so viele zusammenschließen, um auch ein optimistisches und ein versöhnliches Zeichen der Offenheit zu setzen". Und deutsche Fernsehbilder zeigen bereits Paare, die still und vielleicht ergriffen vor Geistlichen stehen und sich segnen lassen.

Regenbogenfahne zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare in Baden-BadenBild: Benedikt Spether/dpa/picture alliance

Vorbehalte gegen deutsche Katholiken

Seitdem gehen heftige Kontroversen hin und her. Immer deutlicher wird, dass die von einem spanischen Kardinal geleitete Glaubenskongregation Vorbehalte gegen grundsätzliche Reformanliegen der katholischen Kirche in Deutschland hat. Das gilt für den sogenannten Synodalen Weg, bei dem Bischöfe und Laien Reformanliegen erörtern und Wünsche formulieren wollen. Das gilt vor allem für die Forderung nach dem Zugang von Frauen zum Weiheamt, nach Diakoninnen und Priesterinnen. Für Rom ist das ein "no go", nachdem Papst Johannes Paul II. (1978-2005) im Jahr 1994 "definitiv" erklärt habe, die katholische Kirche habe keine Vollmacht, Frauen zu weihen.

Hinzu kommt: Deutschland, das Land des Reformators Martin Luther, bleibt für die Mächtigen im Vatikan das Land des Kirchenspalters Luther. So äußerten sich in der aktuellen Kontroverse um die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare Geistliche der Kurie Seite an Seite mit konservativen Katholiken in Europa und vor allem den USA, die der Kirche in Deutschland abwechselnd Glaubensabfall und Kirchenspaltung vorwerfen. Beides weisen deutsche Theologinnen und Theologen kurz und knapp und doch begründet zurück.

Im Land des Reformators Martin Luther haben Abweichungen vom Dogma des Vatikans besondere BedeutungBild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

Auf der anderen Seite stehen zum Beispiel fast alle großen kirchlichen Verbände in Deutschland, die mit immer noch wachsendem Entsetzen auf den Umgang der Klerikerkirche mit dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker schauen. Jahr für Jahr wenden sich hunderttausende Katholikinnen und Katholiken enttäuscht und hoffnungslos von ihrer Kirche ab.

Internationale Kritik an Rom

Freilich: Der ganze Vorgang bewegt längst nicht nur Katholikinnen und Katholiken in Deutschland. Bischöfe in einer Reihe von Ländern, nicht nur in Europa, äußerten Vorbehalte gegen das römische "Basta" und verwiesen auf die seelsorgerliche Sensibilität des Themas. Wohl am deutlichsten wurde der Bischof von Antwerpen in Belgien, Johan Bonny. Der Geistliche, der selbst bis 2008 zehn Jahre in der Kurie in Rom gearbeitet hatte, berichtete, in seinem Sprengel wollten nach dem römischen Verdikt Tausende aus der Kirche austreten, ganz überwiegend jüngere Menschen.

Von Papst Franziskus, der in seinen ersten Monaten während einer seiner "Fliegenden Pressekonferenzen" zwischen Brasilien und Europa zu Zurückhaltung mit Urteilen gegenüber Homosexuellen gemahnt hatte, gibt es in der Frage nicht viel. Gerüchteweise verlautete, er habe das Schreiben vom März mit dem Nein zum Segen keineswegs gutgeheißen. Aber zu klären ist das nicht. Franziskus ist ein engagierter Seelsorger und segnet vieles. Aber der 84-Jährige scheut wohl Konflikte, die theologisch ans Eingemachte gehen.

Papst Franziskus 2013 nach seinem Rückflug von Rio de Janeiro nach Rom Bild: Reuters

Denn hinter all dem stehen nicht nur Vorurteile und vertraute Diskriminierung in einer Männer-Welt, sondern eben auch grundlegende theologische Konzepte. Das römische Denken ist von einem Naturrechtskonzept geprägt, das – knapp gesagt – in seiner Verfestigung mit der Moderne schwer vereinbar ist. Immer deutlicher wird, dass die katholische Kirche, die sich weltweit mit den vielen Fragen rund um sexuelle Gewalt durch eigentlich enthaltsam lebende Kleriker auseinander zu setzen hat, es mit der Schöpfungsrealität und der Gleichheit aller Menschen schwer hat. Pfarrer Hose spricht vom "Ernst des Konflikts, der gerade auszuhalten ist in der Kirche". Und hofft bei seiner Kirche auf etwas "weniger Ängstlichkeit, dass durch Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare in der Tradition der Kirche etwas verloren geht vom Wert der sakramentalen Ehe".

Der nächste Konflikt?

Die nächste Gelegenheit, um den Glaubenswächtern in Rom die Stimmung an der Basis deutlich zu machen, gibt es bereits am Samstagabend in Frankfurt. Dort in der Main-Metropole findet von Donnerstag bis Sonntag, weitestgehend virtuell, der 3. Ökumenische Kirchentag statt, ansonsten ein Großtreffen beider Kirchen. Und am Samstagabend laden einige katholische und evangelische Gemeinden der Stadt zu Gottesdiensten – mit Eucharistie und Abendmahl, mit Betonung der ökumenischen Gastfreundschaft für die jeweils andere Seite. Rom sagt gemeinhin dazu nein. Das wird (noch) spannender als "Liebe gewinnt".

 

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