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Katz und Maus im Irak

Dennis Stute13. September 2005

Die irakische Regierung feiert die Offensive gegen die Rebellen-Hochburg Tal Afar als Beleg für die Schlagkraft der irakischen Armee. Zweifel daran scheinen angebracht.

Patrouille in Tal AfarBild: dpa
Bei der Operation "Restoring Rights" rückten zunächst Panzer in die Stadt Tal Afar vorBild: dpa

"Die Offensive war ein großer Schock für Al Kaida", erklärte der irakische Innenminister Bajan Dschabr am Montag (12.9.2005) nach der Eroberung von Tal Afar nahe der syrischen Grenze. 3500 amerikanische und 5000 irakische Soldaten hatten die von Aufständischen kontrollierte Stadt zunächst bombardiert und mit Artillerie beschossen. Im Verlauf der zehntägigen Offensive töteten sie eigenen Angaben zufolge 156 Rebellen, 300 sollen festgenommen worden sein. Die meisten Kämpfer verließen die Tal Afar freilich vor dem Eintreffen der Truppen. Wieviele Zivilisten starben, wurde nicht bekannt; mehr als die Hälfte der 200.000 Einwohner floh vor den Gefechten aus der Stadt.

Bei Operationen wie in Tal Afar geraten immer wieder Zivilisten zwischen die FrontenBild: AP

Die irakische Regierung feierte die Aktion als Ausdruck der wachsenden Schlagkraft der irakischen Armee. Der irakische Präsident Dschalal Talabani sagte in einem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtensender CNN gar, dass sich sein Land binnen zwei Jahren selbst werde verteidigen können. Der US-Regierung dürfte die Ankündigung zupass kommen: In der amerikanischen Öffentlichkeit war der Unmut über den Irak-Krieg schon gewachsen, bevor der Hurrikan "Katrina" ein Schlaglicht darauf warf, dass große Teile der für den Heimatschutz zuständigen Nationalgarde an Euphrat und Tigris eingesetzt sind.

Durchsuchungen für das Fernsehen

Tal Afar taugt indessen kaum als Beleg, dass sich das so schnell ändern könnte. So zitierte der britische "Guardian" eine US-Kommandeuren nahe stehende Quelle, derzufolge Fernsehbilder von irakischen Soldaten bei Hausdurchsuchungen kosmetischer Natur gewesen seien. Zudem sei zwei Tage vor der Offensive ein hoher irakischer Kommandeur festgenommen worden, weil er Informationen und Material an den Widerstand verkauft haben soll. Von den rund 160.000 irakischen Uniformierten gelten allenfalls wenige tausend als einsatzfähig. Einem Bericht des Pentagon zufolge ist auch die Polizei von Aufständischen unterwandert.

Vor der Eroberung wurde Tal Afar bombadiertBild: dpa

Während der Widerstand gegen die Besatzungstruppen in Tal Afar vorerst zerschlagen zu sein scheint, bleiben große Teile des sunnitischen Gebiets nordwestlich von Bagdad unter der Kontrolle der Rebellen. So sind Ramadi, Raweh, Samarra und Qami für die US-Armee weiterhin No-Go-Zones; in Haditha haben islamistische Kämpfer die Verwaltung übernommen und richten "US-Spione" öffentlich hin.

Militärisch ein Erfolg

"Rein militärisch war Tal Afar ein Erfolg", sagt Ferhad Ibrahim von der Arbeitsstelle Politik des Vorderen Orients der Freien Universität Berlin. "Das Problem ist nur: Konfliktherde entstehen dann eben anderswo." Die Ankündigung des vom Erfolg beflügelten irakischen Verteidigungsministers, demnächst seien Guerilla-Hochburgen wie Samarra an der Reihe, verdeutliche dies, denn die letzte Offensive gegen Samarra sei noch nicht einmal ein Jahr her. "Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel", sagt Ibrahim. "Die Truppen durchkämmen die Städte und zwei, drei Monate später bauen die Aufständischen ihre Stützpunkte wieder auf." Auch in Tal Afar hatte es vor genau einem Jahr schon eine Offensive gegeben.

Irakische Soldaten bei der Ausbildung (2003)Bild: dpa

Militärisch sei der Krieg nicht zu gewinnen, sagt der Militärexperte Herfried Münkler. "Die USA können nur versuchen, durch Verhandlungen Teile des Untergrundes herauszubrechen und in die Strukturen zu integrieren", sagt der Autor des Buches "Die neuen Kriege". Ein entscheidender Fehler der Amerikaner sei die Auflösung der irakischen Armee gewesen: "Den Aufbau neuer Streitkräfte attackiert die Gegenseite nun, indem sie systematisch Freiweillige vor Rekrutierungsbüros tötet, um so weitere Männer davon abzuhalten, sich zu melden."

Krieg oder Balkanisierung

Nach der Offensive gegen Aufständische in Falludscha wurde 2004 ein großer Teil der Stadt zerstörtBild: AP

Den Amerikanern blieben nur zwei Möglichkeiten, glaubt Friedemann Büttner, Irak-Experte an der Freien Universität Berlin: "Entweder die russische Taktik in Tschetschenien: Den Krieg so lange fortführen, bis nichts mehr aufeinander steht." Oder eine möglichst schnelle Machtübergabe an irakische Autoritäten. Dagegen spreche aber die Stärke der lokalen Kräfte. Denn während sich die Kämpfe vor allem in den sunnitischen Provinzen konzentrieren, verläuft die Entwicklung auch im kurdischen Norden und im schiitischen Süden nicht im Sinne Washingtons, das den Irak zum Modell für die Region machen wollte. "Die Kurden haben eigene Institutionen aufgebaut, die von einer weitgehenden Autonomie sehr schnell zu einer Eigenstaatlichkeit führen könnten", erklärt Büttner. Im Süden sei es den Briten nicht gelungen, funktionierende Strukturen aufzubauen; stattdessen werde Basra inzwischen vom iranischen Geheimdienst und Mullahs beherrscht.

Unter den drei großen irakischen Gruppen gebe es keine einheitliche irakische Identität mehr, sagt auch Ferhad Ibrahim. Zum Auseinanderbrechen des Irak, das weit reichende Folgen für die gesamte Region haben würde, gebe es nur die Alternative, die Dinge so zu halten, wie sie derzeit sind. Das bedeute auch, dass sich die Elite weiter unter dem Schutz der US-Armee in Bagdads Grüner Zone verschanze, während im Rest des Landes Menschen bei Anschlägen und punktuellen militärischen Operationen sterben. "Das ist das Maximum - mehr ist nicht zu erreichen", glaubt Ibrahim. Ein Wiederaufbau sei unter diesen Umständen allerdings nicht möglich.

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