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Politik

Wer will was in Berg-Karabach?

7. Oktober 2020

Seit mehr als einer Woche bekämpfen sich Streitkräfte Armeniens und Aserbaidschans. Doch in den Konflikt sind noch mehr Staaten mit unterschiedlichen Interessen verwickelt.

Aserbaidschan | Berg-Karabach | Angriffe in Stepanakert
Ein Angriff auf Stepanakert, die größte Stadt Berg-KarabachsBild: Karo Sahakyan/ArmGov/PAN Photo/Reuters

Gut eine Woche nach dem Aufflammen der Kämpfe im Südkaukasus gibt es keine Indizien dafür, dass sie bald abebben könnten: Die Konfliktparteien Armenien und Aserbaidschan zeigen sich zu allem entschlossen, auf beiden Seiten sind schon mehrere Hundert Soldaten und Zivilisten getötet worden. Aserbaidschans Verteidigungsminister Zakir Hasanov wies am Dienstag an, die "zielgerichtete und konsequente Zerstörung feindlicher Streitkräfte" fortzusetzen.

"Die Dynamik des Konflikts ist einfach inzwischen so gefährlich, dass es für externe Akteure nicht leicht sein wird, diesen Konflikt zu beenden", sagt Stefan Meister. Er leitet das Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilisi, der Hauptstadt des benachbarten Georgien, und ist Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Meister rechnet nicht mit einem baldigen Ende der Kämpfe, allein schon wegen der Verluste auf beiden Seiten und erster Landgewinne für Aserbaidschan: "Die Befürchtung ist tatsächlich, dass das zu einem größeren Krieg wird, der nicht nur Karabach und die von Armenien besetzten Provinzen betrifft."

Worum geht es?

Der Konflikt um die Region Berg-Karabach schwelt seit dem Zerfall der Sowjetunion - Anfang der 1990er-Jahre hatten sich beide Kontrahenten bereits einmal bekriegt, seitdem kam es immer wieder zu Zwischenfällen. Berg-Karabach liegt in Aserbaidschan, das sich in seinem Anspruch auf das Prinzip der territorialen Integrität beruft. Jedoch wohnen in Bergkarabach mehrheitlich Armenier, weshalb Armenien auf die Selbstbestimmung der Bevölkerung pocht. Teile Berg-Karabachs hatten sich 1991 für unabhängig erklärt - das erkennt jedoch kein Staat der Welt an, nicht einmal Armenien. 

Im Wesentlichen handelt es sich nach wie vor um einen Konflikt zwischen zwei verfeindeten Nachbarländern. Jedoch tritt Aserbaidschan zunehmend selbstbewusster auf, seit sich die benachbarte Türkei immer stärker auf die Seite der Regierung in Baku schlägt. Ein Grund hierfür sind die großen ethnischen und kulturellen Ähnlichkeiten zwischen den turksprachigen Ländern - beide bekennen sich zum Grundsatz "Eine Nation, zwei Staaten". Allerdings versucht die Türkei seit Jahren intensiv, ihr Energieversorgung von russischem Erdgas unabhängig zu machen - durch Engagement in Libyen, Erkundungen im östlichen Mittelmeer, und eben große Deals mit den Partnern in Baku. Als recht sicher gilt, dass die Türkei sogar Söldner in Syrien angeworben hat, die Baku unterstützen sollen.

Welche Rolle spielt Russland?

Besonders kompliziert ist die Lage aus Moskauer Sicht: Russland unterhält Verbindungen in beide frühere Sowjetrepubliken, jene mit Armenien sind jedoch deutlich intensiver. So versorgt es beide Konfliktparteien mit russischen Waffen - nur Jerewan zahlt jedoch einen Vorzugspreis. In Armeniens zweitgrößter Stadt Gjumri unterhält Russland eine Militärbasis.

Armeniens Premier Nikol Paschinjan (2.v.l.) ist in Wladimir Putins Machtgeflecht eingebunden (hier bei einem Gipfel 2018)Bild: picture-alliance/Zuma Press/S. Guneev

"Russland spielt eine sehr problematische Rolle in diesem Konflikt, weil es ihn nutzt, um beide Länder von sich abhängig zu halten", sagt Meister im DW-Interview. Es sei nicht wirklich eine Schutzmacht von Armenien: "Die Armenier fühlen sich nicht wirklich sicher, sondern man hat eher das Gefühl, Russland spielt mit beiden Akteuren. Wir sehen auch jetzt eine relativ schwache russische Reaktion, während die Türkei militärisch massiv zugunsten Aserbaidschans in diesen Konflikt eingreift."

Wo könnten Verhandlungen ansetzen?

Auch Hans-Joachim Spanger von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung glaubt, Russland habe ein Interesse an einem Schwebezustand, der beide Seiten an Moskau bindet - Aserbaidschan durch Waffenlieferungen, Armenien durch einen Beistandspakt. Dennoch habe Moskau in der Vergangenheit mehrfach die aktivste Rolle bei Verhandlungen gespielt. Spanger hält es jedoch durchaus für möglich, dass im weiteren Verlauf die militärische Unterstützung für Aserbaidschan versiegen könnte: "Möglicherweise ist die Türkei nur an einem kurzen Vorstoß interessiert", sagt Spanger im Gespräch mit der DW.

Aus Sicht der EU, die in ihrer östlichen Nachbarschaft einen Waffenstillstand erwirken will, könnte es aus laut Spanger also durchaus sinnvoll sein, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über sein Engagement im Südkaukasus zu verhandeln. Spanger glaubt auch, dass Deutschland als derzeitige EU-Ratsvorsitzende über inoffizielle Verhandlungen mit den Konfliktparteien etwas erreichen könnte: 2008 hatte Frankreich unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy so während seiner Ratspräsidentschaft einen Waffenstillstand im Georgienkrieg ausgehandelt. Im aktuellen Fall hat Merkel bereits mit den Regierungschefs beider Länder telefoniert - aus Spangers Sicht reicht das allerdings nicht aus.

Frankreichs Ex-Präsident Sarkozy genießt wegen seiner Vermittlung im Georgien-Krieg dort weiter Anerkennung (Foto von 2018)Bild: Retuers/I. Gedenidze

Wer könnte vermitteln?

Weil in Frankreich viele Exil-Armenier leben, dürfte es aus aserbaidschanischer Sicht diesmal wohl kaum als neutraler Vermittler taugen.

Die EU als solche kann aus Sicht von Stefan Meister hingegen kaum Hebelwirkungen in Armenien und Aserbaidschan entfalten: "Man hält sich aus Sicherheitsfragen komplett raus", sagt der Leiter des Böll-Büros. Beide Länder sind Teil der Östlichen Partnerschaft der EU, es bestehen jedoch keine Assoziierungsabkommen wie mit der Ukraine - was mit mehr finanzieller Unterstützung einherginge. "Der Südkaukasus an sich ist eher eine marginale Region aus Perspektive Brüssels oder der meisten Mitgliedsstaaten", schätzt Meister; zumal schon viel Aufmerksamkeit etwa für die Situation in Belarus, den Vergiftungsfall Nawalny oder den neuen Konflikt in Kirgistan gebunden sei.

Als einflussreiches Gremium gilt die sogenannte Minsk-Gruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, deren Vorsitz sich Russland mit Frankreich und den USA teilt. Die Außenminister der drei Länder hatten in einer gemeinsamen Erklärung einen "sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand" gefordert. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu warf ihnen umgehend vor, keine Lösungsideen für den Konflikt zu haben.

In Stepanakert sind bereits einige Gebäude durch die Kämpfe schwer beschädigtBild: Getty Images/AFP

Recht gute Beziehungen zu beiden Seiten unterhält hingegen der gemeinsame Nachbar Georgien. Tbilisi hat zwar schon mehrfach angeboten, zu vermitteln. "Aber Georgien ist kein entscheidender Player hier", sagt Stefan Meister: "Es ist einfach nicht stark genug, um eine solche Rolle einzunehmen."

Was ist mit Iran?

An den Kaukasus grenzt jedoch noch die Regionalmacht Iran - die Armenien näher steht als Aserbaidschan, das wiederum Waffen von Irans Erzfeind Israel kauft. Bei Kämpfen im Süden Berg-Karabachs soll nach aserbaidschanischer Darstellung bereits mindestens eine Granate auf iranischem Gebiet eingeschlagen sein. "Iran schaut mit sehr, sehr großer Skepsis auf das türkische Engagement und auf die Machtverschiebung in der Region", sagt Stefan Meister. Auch aus iranischer Sicht wäre es gefährlich, wenn der Konflikt sich auf die Nachbarländer ausdehnt - auf der iranischen Seite der Grenze leben viele Aserbaidschaner.

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